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«Die Bürger sollen auf Augenhöhe mit dem Gemeinderat reden»

Thomas Kistler kandidiert für das Gemeindepräsidium von Glarus Nord. Er will das Vertrauen in den Gemeinderat wieder aufbauen. An der Gemeindeversammlung sollen die Redner neu auf die Bühne steigen dürfen.

Fridolin
Rast
24.01.18 - 04:30 Uhr
Politik
Der 56-jährige Thomas Kistler aus Niederurnen kandidiert als Gemeindepräsident und Gemeinderat.
Der 56-jährige Thomas Kistler aus Niederurnen kandidiert als Gemeindepräsident und Gemeinderat.
SÜDOSTSCHWEIZ

mit Thomas Kistler sprach Fridolin Rast

Welches ist das wichtigste Problem, das Glarus Nord in den nächsten vier Jahren lösen muss?

Ich sehe drei wichtige Probleme: Erstens muss die Gemeinde die Finanzen ins Lot bringen. Als Zweites muss rasch einen mehrheitsfähigen neuen Nutzungsplan beschliessen. Und zwar so, wie es das Raumplanungsgesetz vorschreibt, also inklusive unvermeidbare Auszonungen. Sicher kann aber ein konventionelleres Baureglement erarbeitet werden – was aber vielleicht eine verpasste Chance wäre. Und zum Dritten muss sie das Vertrauen der Bevölkerung und der Gemeindeversammlung in den Gemeinderat und den Präsidenten wiederherstellen. Es ist im ganzen Kanton lädiert, aber in Glarus Nord am extremsten. Heute werden an der Gemeindeversammlung schon fast Zeichen gesetzt von «denen zeigen wir es» gegen den Rat und den Präsidenten. Das Volk betont: «Wir haben die Macht» – ohne Rücksicht auf den Inhalt. Ich halte das für gefährlich. Da muss man unbedingt viele Leute an einen Tisch bringen und dieses Vertrauen wieder aufbauen.

Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?

In erster Linie einmal nicht allein, das geht nicht. Wir müssen viel früher und regelmässig Involvierte und Betroffene anhören, mit ihnen diskutieren und sie und echt einbeziehen. Man hat bei der Nutzungsplanung zwar die Bevölkerungskonferenzen durchgeführt, dann aber verpasst, Interessierte bei der Stange zu halten, die am Anfang mitgetragen haben.

Und beim Sportzentrum Glarner Unterland?

Man hätte die Bevölkerung ins SGU einladen können, erklären, was kaputt ist, und herausfinden, wo die Bedürfnisse sind. Natürlich sind das nicht die Fachleute, aber sie sind die Leute, die es am Schluss zahlen, sei es via Gemeinde oder via Kanton. Es geht darum, viel früher und stärker zu sensibilisieren für die Probleme. Damit die Politiker auch das planen, was die Leute wollen. Dann ziehen viel breitere Kreise auch mit und verstehen, dass nicht nur ihre eigenen Wünsche berücksichtigt werden können.

Bei den Finanzen?

Ich würde zuerst mit dem Gemeinderat und der Verwaltung anschauen – nicht mit Externen –, welche Leistungen die Gemeinde wo wirklich braucht. Dann sollen die Stimmbürger beschliessen, wieviel Steuern sie dafür zu bezahlen bereit sind. Wir dürfen nicht dauernd Defizite hinterlassen und auch nicht Liegenschaften verkaufen, wie wir das jetzt machen. Was der Souverän bestimmt, ist der Massstab. Und: Es geht darum, ehrlich zu sein. Solange der innerkantonale Finanzausgleich fair gestaltet ist, muss Glarus Nord mit seinen Finanzen selbst zurechtkommen.

Kommt eine Kostenwelle durch die Zuwanderung?

Sicher, es braucht Schulräume, Strassen, Leitungen. Man hoffte, es kämen Steuerzahler, doch es kamen Familien mit Kindern, die Infrastruktur wie Schulhäuser brauchen und unter dem Strich Geld kosten für die Gemeinde.

Was hat Sie an Martin Laupper beeindruckt?

Sein Engagement, sein Einsatz und seine Identifikation mit der Aufgabe sind enorm. (denkt nach) Und ich bin nicht einmal sicher, wie gut das ist. Ich bin irritiert, wie stark eine Rolle als König besteht. Aber dass Martin Laupper der König ist, hängt nicht nur mit seiner Person zusammen, sondern auch damit, wie die Führung organisiert ist. Der Präsident ist als Einziger 100 Prozent präsent. Er hat dadurch einen so grossen Vorsprung seinen Ratskollegen gegenüber, dass er als einziger für die ganze Gemeinde verantwortlich ist und auch so auftritt. Der Einzige, der an der Gemeindeversammlung redet, die Vorschläge des Gemeinderats macht, ist immer der Präsident. Weil das System so ist, weiss er viel mehr, und er ist auch noch der Vorsitzende der Geschäftsleitung. So ist zu viel auf seine Person konzentriert, er allein bietet Angriffsfläche. Das Grundproblem haben alle drei Gemeinden: Die Gemeinderäte kommen mit ihren 20-Prozent-Pensen knapp dazu, ihren eigenen Bereich im Griff zu haben und die Ratssitzungen zu bewältigen. Sie können sich gar nicht ums Ganze kümmern.

Was würden Sie anders machen?

Ich würde die Gemeinderäte viel stärker einbeziehen, in die Pflicht nehmen. Auch sie sollen in der Sonne stehen, und auch einmal im Regen.

Sie bilden ja das strategische Gremium, das gemeinsam führen soll?

Ja, aber das ist bisher nicht so gelebt in Glarus Nord. Ich möchte kollegialer führen. Und in den Geschäftsleitungen, denen ich angehörte, war das auch immer viel kollegialer. Ich will nicht allein König sein, dabei ist mir nicht wohl. Auch wenn der Präsident eine besondere Verantwortung hat, ist die Aufgabe eine gemeinsame. Die einfachste und allererste Änderung: Ich würde sofort dafür sorgen, dass die Redner an der Gemeindeversammlung auf Augenhöhe mit dem Gemeinderat reden. An der Landsgemeinde reden die Votanten auch neben dem Landammann auf dem Podest.

Wie kann der Nutzungsplan im zweiten Anlauf gelingen?

Es braucht nochmals eine Diskussion mit gewissen Betroffenen. Aber man muss kraft Gesetz auszonen, den davon Betroffenen kann man ihre Wünsche nicht erfüllen. Aber man muss auch Lösungen finden, welche die breite Bevölkerung trägt. Beim Baureglement braucht es eine Diskussion und dann eine Lösung, die alle mittragen.

Wie wollen Sie wieder mehr Menschen an die Gemeindeversammlung bringen?

Eine Patentlösung habe ich dafür nicht. Schwierig ist, dass die Unterlagen sehr kurzfristig bekannt werden. Damit bleibt den Interessierten – auch den Parteien – extrem wenig Zeit für eine angemessene Diskussion und Vorbereitung. Diese Zeit kann man verlängern, die Gemeindeordnung fordert nur ein Minimum.

Ihre Partei kritisiert, dass Martin Laupper die Gemeinde wie eine Firma führe. Und nun kommen Sie ebenfalls aus der Finanzabteilung einer Firma?

Ich bin sehr wohl auch Politiker. Aber Leute führen, das muss man trotzdem. Ich habe – in einer Bauingenieurfirma, die beispielsweise den Bau des Monte-Ceneri-Basistunnels leitet – viele Projekte gesehen und geführt, oft auch das Controlling gemacht. Ich bringe Know-how mit in Finanzen und kann Personal führen, und ich weiss, dass das auch Geduld und Durchsetzung braucht. Gelegentlich genügt es nicht zu sagen, «es gibt dann schon eine Lösung». Gelegentlich muss auch ganz einfach das Gesetz eingehalten werden, der Rechtsstaat respektiert werden, der für alle die gleichen Bedingungen gibt.

Zur Person
Thomas Kistler ist 56-jährig und in Niederurnen aufgewachsen. Er kandidiert neu als Gemeindepräsident und Gemeinderat. In Glarus Nord ist er Vizepräsident der Geschäftsprüfungskommission. Seit 2005 Landrat für die SP, aktuell Vizepräsident Finanzkommission. Beruflich war er zuletzt in einer grossen Bauingenieurfirma Geschäftsleitungsmitglied und zehn Jahre lang verantwortlich für Finanzen, Personal und IT. Verheiratet, Vater von drei erwachsenen Söhnen.

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