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«Die zentralen Ziele sind erreicht»

Wie geht es nun weiter mit der Europa-Politik? Die Antwort auf diese und sechs weitere wichtige Fragen nach dem Rückzug der Rasa-Initiative haben wir für Euch zusammengetragen.

12.12.17 - 13:45 Uhr
Politik
Im Oktober 2015 reichten die Rasa-Initianten ihre 100'000 gültigen Unterschriften ein. Nun ziehen sie diese zurück.
Im Oktober 2015 reichten die Rasa-Initianten ihre 100'000 gültigen Unterschriften ein. Nun ziehen sie diese zurück.
Keystone

Weshalb ziehen die Initianten ihr Begehren zurück?

Noch vor wenigen Wochen schlossen die Initianten einen Rückzug ihrer mit fast 110 000 Unterschriften zustandegekommenen Volksinitiative kategorisch aus, falls sich das Parlament gegen einen Gegenvorschlag entscheiden sollte – und just dies tat nach dem Nationalrat vergangene Woche auch der Ständerat. Dennoch begraben die Initianten nun ihre Initiative «Raus aus der Sackgasse» (Rasa), mit der sie den Zuwanderungsartikel aus der Bundesverfassung streichen wollten, der auf die Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 zurückgeht. So wollten sie die Rechtssicherheit wiederherstellen. Zwar bleibt mit dem Rasa-Rückzug nun weiterhin ein Widerspruch zwischen Verfassung und Gesetz bestehen. Doch: «Ein zentrales Ziel von Rasa wurde erreicht: Der Erhalt der Personenfreizügigkeit und der bilateralen Verträge der EU», begründete das Komitee am Dienstagmittag den Rückzug ihrer Initiative.

Was hat Rasa bewirkt?

Argumentativ half die Rasa-Initiative jenen Kräften, die den Zuwanderungsartikel höchstens halbbatzig umsetzen wollten – und im Parlament im Herbst 2016 obsiegten. Um das Risiko einer Verletzung der Personenfreizügigkeit mit der EU zu minimieren, wählten die Volks- und Ständevertreter damals eine Umsetzung mit einem «Inländervorrang light»: Eine bloss indirekte Steuerung der Zuwanderung mit einer Stellenmeldepflicht. Der Versuch, Unterschriften für ein Referendum gegen dieses Umsetzungsgesetz zu sammeln, scheiterte – auch, weil sich die SVP irritierenderweise nicht an der Unterschriftensammlung beteiligte. Auch das Rasa-Komitee ist der Ansicht, seine Arbeit sei nicht vergebens gewesen: «Die Rasa-Initiative hat den nötigen Druck aufgebaut, damit das Parlament rechtzeitig eine gangbare Lösung finden konnte», erklärte es gestern. «Ohne Rasa hätte möglicherweise die Versuchung überwogen, den ‚Schwarzen Peter’ dem Bundesrat zuzuschieben, der in diesem Fall eine Umsetzungsverordnung hätte erlassen müssen. Eine solche Verordnung wäre wesentlich schwächer legitimiert gewesen als die Umsetzungsgesetzgebung.»

Wie kam die Rasa-Initiative in der Politik an?

Je länger die Diskussion dauerte, desto schlechter. «Wenn du ein totes Pferd reitest, ist es besser, abzusteigen», sagte der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler vergangene Woche während der Debatte der kleinen Kammer. Seine Überzeugung wurde über Parteigrenzen hinweg geteilt: Der Ständerat schickte die Volksinitiative mit 34:6 Stimmen bei vier Enthaltungen bachab. Der Nationalrat hatte dasselbe bereits im September mit 125:17 Stimmen bei 50 Enthaltungen getan. Auch vom ursprünglich geplanten direkten Gegenvorschlag nahmen Bundesrat und Parlament Abstand. Einzig die Grünliberalen hielten bis zum Schluss zur Rasa-Initiative. Über den Rückzug der Initiative zeigt sich die Politik nun erleichtert: So nahmen an der Pressekonferenz, an welcher das Komitee seine Entscheidung verkündete, auch etliche National- und Ständeräte teil: Beat Vonlanthen (CVP), Regula Rytz (Grüne), Tim Guldimann, Nadine Masshardt und Martin Naef (alle SP) sowie Andrea Caroni, Kurt Fluri und Christa Markwalder (alle FDP).

Warum schwand die Unterstützung für Rasa?

Nach der EU-konformen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative hatte die Volksinitiative ihren Zweck erfüllt und war unnötig geworden. Doch mehr als das: Bei vielen National- und Ständeräten überwog die Furcht, eine klare Ablehnung der Initiative könnte als Volksvotum für die Einführung von Kontingenten interpretiert werden.

Welche Folgen hätte ein Scheitern der Rasa-Initiative an der Urne gehabt?

Das war die grosse Frage, mit der man sich zuletzt auch im Initiativkomitee intensiv beschäftigte. Nur bei einem Ja zu Rasa wäre der Widerspruch zwischen dem seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vor bald vier Jahren in der Verfassung verankerten Zuwanderungsartikel und der vom Parlament gewählten nicht verfassungskonformen Umsetzung aufgelöst worden. Ein wuchtiges Nein zu Rasa aber hätte die SVP aufmunitioniert, die seit 15 Monaten bei jeder Gelegenheit «Verfassungsbruch» und «Hochverrat» moniert: Im Falle eines klaren Scheiterns von Rasa hätte die wählerstärkste Partei den «Volkwillen» als bekräftigt angesehen und mit Bestimmtheit eine Verschärfung des Umsetzungsgesetzes gefordert. «Wenn es ein Nein gibt, ist das eine weitere Bestätigung der Masseneinwanderunginitiative, und dann ist das Parlament ein weiteres Mal gehalten, den Verfassungsartikel umzusetzen», sagte SVP-Präsident Albert Rösti im vergangenen April.

Wie entscheidend ist die Kündigungsinitiative der SVP?

Die entscheidende Frage bleibt weiterhin ungeklärt – und wäre auch mit Rasa ungeklärt geblieben: Gewichtet die Bevölkerung den Erhalt der bilateralen Verträge mit der EU höher oder die eigenständige Steuerung der Zuwanderung mittels Kontingenten? Eine Klärung dieser Frage wird die Kündigungsinitiative bringen, welche SVP und Auns seit Jahren ankündigen und für das sie nun ab nächstem Jahr Unterschriften sammeln möchten. Sagt die Bevölkerung Ja zum von der SVP neuerdings «Begrenzungsinitiative» genannten Begehren, das eine Kündigung der Personenfreizügigkeit fordert, fallen wegen der Guillotineklausel sämtliche sektoriellen Abkommen der Bilateralen I, die in den vergangenen 20 Jahren viel zum Wohlstand der Schweiz beigetragen haben. Wer hofft, die EU drücke dann schon ein Auge oder auch deren zwei zu, dürfte sich täuschen: Gerade bei der Personenfreizügigkeit wird Brüssel keinesfalls zu Zugeständnissen bereit sein – erst recht nicht nach dem EU-Austritt Grossbritanniens (Brexit).

Und was will die Selbstbestimmungsinitiative der SVP?

Die Abstimmung über die Kündigungsinitiative, die wohl 2021 oder 2022 ansteht, wird der bis dahin wichtigste Urnengang des 21. Jahrhunderts. Noch zuvor aber kommt aller Wahrscheinlichkeit nach die Selbstbestimmungsinitiative an die Urne («Schweizer Recht statt fremde Richter»). Mit dieser will die SVP einem möglichen künftigen institutionellen Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU den Riegel schieben. Die Initiative verlangt, dass die Schweiz völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung widersprechen, neu verhandelt oder nötigenfalls kündigt. Infrage gestellt sind somit mehr als 4000 völkerrechtliche Verträge. Die Initiative gefährde die Wahrnehmung der Schweiz als zuverlässige Vertragspartnerin, warnt der Bundesrat.

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