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Majorz-Beschwerde droht an Formfehler zu scheitern

Der Bündner Majorz soll endlich gerichtlich überprüft werden. Womöglich wird aber auch der zweite Versuch dazu scheitern. Grund: Der verantwortliche Jurist ist zur Rechtsvertretung gar nicht berechtigt.

22.11.17 - 07:30 Uhr
Politik
Wie soll künftig gewählt werden? Eine Beschwerde will, dass Richter die Verfassungsmässigkeit der Bündner Majorzwahl für den Grossen Rat überprüfen.
Wie soll künftig gewählt werden? Eine Beschwerde will, dass Richter die Verfassungsmässigkeit der Bündner Majorzwahl für den Grossen Rat überprüfen.
MARCO HARTMANN

Fünf Parteien und 54 Stimmberechtigte wollten dieses Mal auf Nummer sicher gehen. Nachdem die erste Beschwerde gegen das Bündner Majorzsystem vor drei Jahren noch an verpassten Fristen scheiterte (siehe unten), haben sie für den zweiten Anlauf einen renommierten Schweizer Staatsrechtler aus Zürich engagiert. Unter der Federführung von Andreas Auer, ehemaliger Professor der Universitäten Zürich und Genf, sollte die Verfassungsmässigkeit des Bündner Wahlrechts endlich vom Verwaltungsgericht oder, wenn nötig, vom Bundesgericht überprüft werden.

Möglicherweise wird aber auch dieses Mal nichts daraus. In einem Brief an das Verwaltungsgericht, welcher der «Südostschweiz» vorliegt, weist die Bündner Regierung nämlich abermals auf einen Formfehler der Beschwerdenführer hin. Vordergründig geht es dabei nicht um die Fristen, sondern um den gewählten Rechtsvertreter Andreas Auer. Dieser ist nämlich nicht im kantonalen Anwaltsregister eingetragen, was in Graubünden aber Voraussetzung wäre, um als Rechtsvertreter vor Gerichten aufzutreten. «Es fehlte ihm somit die Postulationsfähigkeit, weshalb die Beschwerdeerhebung nicht rechtsgültig erfolgte», schreibt die Regierung im Brief. Mit anderen Worten: Wegen dieses Formfehlers sei bis jetzt gar keine rechtsgültige Beschwerde eingereicht worden.

Auer gibt nicht auf

Das Schreiben der Regierung erreichte das Bündner Verwaltungsgericht am 8. November. Nun haben die Beschwerdeführer, vertreten durch Auer, bis am 27. November Zeit, Stellung zu nehmen, bevor das Verwaltungsgericht über das weitere Vorgehen entscheiden wird.

Auer hat sich in der Zwischenzeit bereits in einem Brief an die Beschwerdeführer gewandt. In diesem gesteht er ein, bei der Einreichung der Beschwerde leider nicht beachtet zu haben, «dass ich als Nicht-Anwalt, im Gegensatz zu anderen Kantonen und zum Bund, in Graubünden nicht zur Rechtsvertretung berechtigt bin». Aufgeben kommt für ihn aber nicht infrage. «Dieser Formfehler ist aber korrigierbar. Dazu brauche ich aber Ihre Hilfe», schreibt er weiter. Konkret bittet er die Beschwerdeführer, einen vorgedruckten Brief zu unterschreiben, in dem sie unter anderem ihren Willen bekunden, an der eingereichten Beschwerde im eigenen Namen festzuhalten und das Verwaltungsgericht darum ersuchen, die Beschwerde «als von den Beschwerdeführern persönlich eingereicht zu behandeln». Mit diesem Vorgehen, so heisst es weiter im Brief, hoffe er, die vom Verwaltungsgericht und der Regierung verfolgte Strategie zur Nicht-Behandlung der Beschwerde zu vereiteln. Auer wollte gestern auf Anfrage keine Stellung zum laufenden Verfahren nehmen.

Unter den Beschwerdeführern sind unter anderem die Bündner Kantonalparteien der SP und SVP. «Wir erwarten vom Verwaltungsgericht, dass es dem Recht der Beschwerdeführer Rechnung trägt», erklärte SP-Parteipräsident Philipp Wilhelm auf Anfrage. Heinz Brand von der SVP war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Fällt Entscheidung in Bern?

Möglicherweise fällt der Entscheid des Verwaltungsgerichts gar nicht zu sehr ins Gewicht. Dann nämlich, wenn Nationalrat und Ständerat und später das Volk der Staatspolitischen Kommission des Ständerats folgen sollten. Diese hat gestern mit 7:5 Stimmen eine Verfassungsänderung befürwortet, welche den Kantonen beim Verfahren zur Wahl ihrer Behörden mehr Spielraum zugesteht. Das teilten die Parlamentsdienste gestern mit.

Konkret heisst das: Die Kantone sollen freier werden in der Festlegung ihrer Wahlkreise und spezieller Wahlrechtsregelungen. Hintergrund sind Urteile des Bundesgerichts, mit welchen die Anforderungen ans Wahlsystem in den letzten Jahren immer mehr präzisiert wurden. Weil sie damit nicht einverstanden waren, reichten die Kantone Zug und Uri Standesinitiativen ein.

Majorz soll im zweiten Anlauf vor Gericht
Der Bündner Majorz war bereits bei den Grossratswahlen 2014 Gegenstand einer Beschwerde. Der Erfolg blieb damals aber aus. Nach dem kantonalen Verwaltungsgericht befand im Sommer des vergangenen Jahres auch das Bundesgericht, dass das Wahlsystem vor der Wahl hätte angefochten werden müssen und nicht erst im Nachgang. Eine materielle Prüfung der Verfassungsmässigkeit fand damit nicht statt. Im zweiten Anlauf reichten die Majorzgegner deshalb ihre Beschwerde schon gegen den Regierungsbeschluss zu den kantonalen Wahlen 2018 ein, was am 18. September dieses Jahres passierte. Die Hauptkritikpunkte änderten sich dabei nicht: Der Bündner Majorz verletze die in der Bundesverfassung garantierte unverfälschte Stimmabgabe sowie die Gleichheit vor dem Gesetz. So hat etwa die unterschiedliche Grösse der Wahlkreise zur Folge, dass die für einen Grossratssitz nötigen Stimmen je nach Wahlkreis stark variieren. (so)

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