×

Vater Staat will seine Bürger im Auge behalten

Die Überwachung des öffentlichen Raums könnte bald ausgeweitet werden – vor allem in den Gemeinden. Bereits regt sich Widerstand gegen die Pläne.

Olivier
Berger
11.11.17 - 04:30 Uhr
Politik
Die Polizei sieht mit: Der Kanton will die Kameraüberwachung neu organisieren.
Die Polizei sieht mit: Der Kanton will die Kameraüberwachung neu organisieren.
YANIK BÜRKLI

Mit der Revision des Polizeigesetzes will die Bündner Regierung die Überwachung des öffentlichen Raums neu organisieren. Damit reagiert sie unter anderem auf einen klar überwiesenen Auftrag von BDP-Kantonalpräsident Andreas Felix im Grossen Rat. Bisher bestehen im kantonalen Gesetz bloss bescheidene Regelungen für Audio- und Videoaufnahmen im öffentlichen Raum.

Ein Blick in den Vernehmlassungsentwurf der Regierung zeigt jetzt: Der Kanton und die Gemeinden sollen mit dem revidierten Gesetz eine Fülle neuer Möglichkeiten erhalten, Strassen und Plätze mit Kameras und Mikrofonen zu beobachten. So sieht der neu geschaffene Artikel 26 vor, dass die Kantonspolizei den gesamten öffentlichen Raum überwachen kann, «soweit Personen dabei nicht identifiziert werden».
Mit der Überwachung nicht identifizierbarer Personen hat es sich aber noch nicht. Sowohl die Kantonspolizei als auch die Gemeinden dürfen künftig «im öffentlichen Raum Personen oder Personengruppen sowie deren Äusserungen» aufzeichnen. Dies allerdings nur, «sofern die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt ist, insbesondere weil Straftaten begangen wurden oder die konkrete Gefahr besteht, dass es zu solchen kommen kann». Gleiches gilt für kantonale Gebäude, wenn «dies zum Schutz der Gebäude oder seiner Benutzerinnen und Benutzer erforderlich ist», wie es im Entwurf heisst.

Daten werden gespeichert

Stets ein Streitpunkt im Zusammenhang mit dem Einsatz von Kameras im öffentlichen Raum ist die Speicherung von Daten. Auch diese soll neu kantonal geregelt werden. Artikel 26e sieht vor, dass die Aufzeichnungen nach 30 Tagen gelöscht werden, «soweit sie nicht für die Erkennung oder Verhinderung von Straftaten oder die Gefahrenabwehr benötigt werden».

Neu will die Regierung der Kantonspolizei ausserdem die Möglichkeit geben, Autonummern automatisch zu erfassen und mit Datenbanken abzugleichen. Dies soll nicht nur bei konkreten Fahndungsaufträgen möglich sein, sondern auch beim Abgleich mit polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern sowie mit Listen von Personen, welchen der Fahrausweis entzogen oder verweigert worden ist. Zudem wird das Sammeln von Personendaten vereinfacht.

Der Datenschützer schaut hin

Der Bündner Datenschutzbeauftragte Thomas Casanova war in die Erarbeitung des neuen Polizeigesetzes nicht eingebunden. «Ich werde mich aber im Rahmen der Vernehmlassung zum Entwurf äussern», erklärt Casanova. Grundsätzlich begrüsse er aber eine kantonale Regelung für den Einsatz von Überwachungskameras. Bisher habe sich die Polizei bei Überwachungen auf die sogenannte Generalklausel, also ihren eigentlichen Auftrag zur Wahrung der Sicherheit berufen müssen.

Ob und in welchem Umfang es tatsächlich eine Überwachung des öffentlichen Raums brauche, darüber könne man diskutieren, so Casanova. «Wenn man aber zum Schluss kommt, dass man Kameras will, dann ist eine saubere kantonale Lösung sicher besser als ein Wildwuchs.» Bisher könnten die Gemeinden praktisch im Alleingang entscheiden, wie sie Kameras zur Überwachung einsetzen würden. «Es ist vernünftig, das jetzt auf kantonaler Ebene zu regeln.»

Die SP ist skeptisch

Gerade die höheren Kompetenzen für die Gemeinden beurteilt die SP Graubünden eher skeptisch, wie Grossrat Andri Perl – als Mitglied der Kommission für Justiz und Sicherheit in der Fraktion zuständig für das Thema – erklärt. Überhaupt sieht die SP die geplante Ausweitung der Überwachung des öffentlichen Raums mit einem gewissen Unbehagen. «Wir sind nicht der Meinung, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht», sagt Perl. «Immerhin ist die Kriminalität seit Jahren rückläufig.»

Zudem glaubt Perl nicht, dass Kameraüberwachung das geeignete Mittel ist, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erhöhen. «Die abschreckende Wirkung hält sich in Grenzen, wie verschiedene Studien belegen.» Beim Einsatz von Überwachungskameras gelte es, den Nutzen und «den hohen Wert der Privatsphäre» gegeneinander abzuwägen, so Perl. Die SP sei nicht der Meinung, dass die aktuelle Situation und die Wirkung von Kameras einen Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigten. «Das werden wir auch in unserer Vernehmlassungsantwort so festhalten.»

Rathgeb wehrt sich

Justiz- und Polizeidirektor Rathgeb dagegen sieht den Handlungsbedarf gegeben. Es liege im öffentlichen Interesse, dass «eine jederzeitige adäquate Reaktion auf eine sich verändernde Sicherheits- und Gefährdungslage möglich ist», sagt er. Zudem halte es die Regierung für wenig sinnvoll, den öffentlichen Raum zu überwachen, «ohne die Überwachung aufzeichnen, speichern und – falls eine Straftat begangen wird, auswerten und nutzen zu können». Bei der Kantonspolizei bestünden aber keine konkreten Pläne, die bestehende Überwachung des öffentlichen Raums auszubauen, so Rathgeb.

Olivier Berger wuchs in Fribourg, dem Zürcher Oberland und Liechtenstein auf. Seit rund 30 Jahren arbeitet er für die Medien in der Region, aktuell als stellvertretender Chefredaktor Online/Zeitung. Daneben moderiert er mehrmals jährlich die TV-Sendung «Südostschweiz Standpunkte». Mehr Infos

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Politik MEHR