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Mehr als 3300 Entschädigungsgesuche wegen Zwangsmassnahmen

Mehr als 3300 Gesuche um einen Solidaritätsbeitrag sind bisher von Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen eingereicht worden. Das sind allerdings nur wenige im Vergleich zu der Anzahl Kinder, die vor 1981 fremdplatziert wurden.

Agentur
sda
02.10.17 - 16:39 Uhr
Politik
Ehemalige Verdingkinder und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen posieren mit Kinderfotos vor dem Bundeshaus. Inzwischen wurden die Opfer per Gesetz rehabilitiert. (Archivbild)
Ehemalige Verdingkinder und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen posieren mit Kinderfotos vor dem Bundeshaus. Inzwischen wurden die Opfer per Gesetz rehabilitiert. (Archivbild)
KEYSTONE/LUKAS LEHMANN

Nach Schätzungen leben noch 12«000 bis 15»000 Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Bis am 2. Oktober, sechs Monate nachdem das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 in Kraft getreten ist, sind lediglich 3352 Gesuche um Solidaritätsbeiträge eingegangen. Dies teilte das Bundesamt für Justiz (BJ) am Montag mit.

Im Juli zeigte eine Zwischenbilanz, dass die Zahl der bis dahin eingereichten Gesuche mit 2536 tiefer war als erwartet. Aus diesem Grund wurden die Opfer aufgerufen, ihre Rechtsansprüche geltend zu machen.

Die Gründe, die viele Betroffene bisher davon abhielten, ein Gesuch zu stellen, seien vielfältig, und viele davon seien nachvollziehbar, schreibt das BJ. Zudem wüssten viele Betroffene noch gar nicht von ihrem Anrecht auf einen Solidaritätsbeitrag.

Der Bund hat daher zusammen mit den Initianten der Wiedergutmachungsinitiative eine breit angelegte Informations- und Sensibilisierungskampagne gestartet.

Mit einem Flyer, der im September schweizweit an Alters- und Pflegezentren, Kliniken, Arztpraxen und weitere Institutionen oder Organisationen verschickt worden ist, werden die Opfer informiert und eingeladen, ein Gesuch einzureichen. Die Frist läuft bis am 31. März 2018. Die Auszahlungen werden ab April 2018 vorgenommen

300 Millionen Franken

Insgesamt hat das Parlament 300 Millionen Franken für die Solidaritätsbeiträge bewilligt. Pro Opfer sollen je nach Anzahl Gesuche zwischen 20«000 und 25»000 Franken ausgezahlt werden.

Die Opfer müssen eine direkte und schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer physischen, psychischen oder sexuellen Integrität glaubhaft machen. Betroffene können sich im Hinblick auf eine Gesuchseinreichung unentgeltlich von den kantonalen Anlaufstellen und Staatsarchiven unterstützen lassen. Die Anlaufstellen helfen beim Ausfüllen des Gesuchs und veranlassen die Aktensuche bei den Staatsarchiven.

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen waren in der Schweiz bis 1981 angeordnet worden. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen wurden an Bauernhöfe verdingt oder in Heimen platziert, viele wurden misshandelt oder missbraucht. Menschen wurden zwangssterilisiert, für Medikamentenversuche eingesetzt oder ohne Gerichtsurteil weggesperrt, weil ihre Lebensweise nicht den Vorstellungen der Behörden entsprach.

Offizielle Entschuldigung

Im Lauf der letzten Jahre gab es erste Schritte zur Rehabilitierung der Betroffenen. An einem Gedenkanlass bat Justizministerin Simonetta Sommaruga im April 2013 die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen im Namen des Bundesrats um Entschuldigung.

Ende 2014 wurde die Wiedergutmachungsinitiative eingereicht. Diese forderte 500 Millionen Franken für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Bundesrat und Parlament nahmen das Anliegen mit einer Gesetzesänderung und dem tieferen Betrag von 300 Millionen Franken auf. Um die Auszahlung nicht zu verzögern, wurde die Initiative daraufhin zurückgezogen.

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