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Der steinige Weg zum roten Pass

Die Aargauer Gemeinde Buchs will eine gut integrierte Türkin nicht einbürgern. Der Entscheid erregt europaweit Aufsehen. Auch im Kanton St. Gallen wird nicht jeder Schweizer, der gern Schweizer würde. In einem Punkt ist der Kanton schweizweit sogar der strengste.

Südostschweiz
03.08.17 - 06:41 Uhr
Politik
Begehrtes Dokument: Im Jahr 2015 haben 1797 Personen im Kanton St. Gallen den Schweizer Pass bekommen.
Begehrtes Dokument: Im Jahr 2015 haben 1797 Personen im Kanton St. Gallen den Schweizer Pass bekommen.
BILD MICHEL CANONICA

von Katharina Brenner

Michael Kalberer, stellvertretender Stadtschreiber von Buchs im Werdenberg, stellt gleich zu Beginn klar: Die Medienberichte über die abgelehnte Einbürgerung der jungen Türkin in Buchs hätten nichts mit der Gemeinde Buchs im Kanton St. Gallen zu tun. «In den letzten Tagen gab es immer wieder Verwechslungen zwischen Buchs AG und Buchs SG.»

Der Fall hatte im In- und Ausland für Schlagzeilen gesorgt: Funda Yilmaz ist in der Schweiz geboren, spricht Schweizerdeutsch, arbeitet in der Schweiz und ist mit einem Schweizer verlobt. Einzig: Sie ist keine Schweizerin und sie wird es vorerst auch nicht werden. Einer der Gründe dafür ist, dass die 25-Jährige «nur sehr lückenhaft über die Abfallentsorgung Auskunft geben kann». Zu diesem Schluss kommt die Einbürgerungskommission der Aargauer Gemeinde Buchs, in der sich Yilmaz einbürgern lassen wollte.

Seit der Fall publik wurde, läuft eine Diskussion über das Schweizer Einbürgerungssystem, bei dem viel Macht bei den Gemeinden als erste und bedeutende Instanz liegt. Erst wenn sie zustimmen, geht das Gesuch bei einer ordentlichen Einbürgerung weiter an Kanton und Bund.

Weil jede St. Galler Gemeinde ihr eigenes Verfahren hat und nur angenommene Gesuche an den Kanton weitergeleitet werden, gibt es keine gebündelten Daten zu abgelehnten Gesuchen. Eine Nachfrage im sanktgallischen Buchs zeigt: Der Einbürgerungsrat hat im Jahr 2014 vier Gesuche abgelehnt und 35 gutgeheissen. Im Jahr 2013 hat er alle 25 eingereichten Gesuche gutgeheissen und im Jahr 2012 hat er sechs von insgesamt 68 Gesuchen abgelehnt. «Ablehnungen erfolgen in Buchs ausschliesslich wegen fehlender Integration und wenn eine Person mit den schweizerischen oder örtlichen Lebensverhältnissen nicht vertraut ist», sagt Michael Kalberer.

Steuerschulden als Ablehnungsgrund

Neben einer Ablehnung haben Gemeinden auch die Möglichkeit, eine Einbürgerung zu sistieren. Der Gesuchsteller hat dann die Möglichkeit, an den festgestellten Mängeln zu arbeiten und das Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. Die Rheintaler Gemeinde Au hat seit 2011 fünf Gesuche sistiert und zwei abgelehnt. Dieser Zahl stehen im selben Zeitraum 170 bewilligte Einbürgerungen gegenüber. «Negative Referenzen der Polizei oder der Schule, Betreibungen und Steuerschulden sind Gründe für eine Ablehnung», sagt Christian Sepin, Gemeindepräsident von Au. Ein Grund für Sistierungen in den vergangenen Jahren seien fehlende Deutschkenntnisse gewesen.

Weiter südlich im Rheintal heisst es bei der Gemeindeverwaltung von Rüthi: «Häufig wurden Gesuche von Personen aus den Balkanstaaten mangels Integration und Teilnahme am Dorfgeschehen abgewiesen.» Zwischen 2007 und 2015 wurden insgesamt 65 Personen in Rüthi eingebürgert. Dieser Zahl stehen 18 abgelehnte Gesuche gegenüber, einschliesslich jene des Jahres 2016. Im Vergleich zu den grösseren Gemeinden Buchs und Au ist dies eine hohe Ablehnungsquote. In Rüthi hatten auch 72,1 Prozent der Stimmenden im Februar die Vorlage zur erleichterten Einbürgerung von Ausländerinnen und Ausländern der dritten Generation verworfen.

Verweigerte Einbürgerung als Druckmittel für Ehemänner

Ähnlich stimmte die Nachbargemeinde Oberriet ab: 71,7 Prozent sagten Nein zur Vorlage. Oberriet war vor einigen Jahren wegen eines abgelehnten Einbürgerungsgesuchs in die Schlagzeilen geraten. Dreimal hatten die Stimmbürger dem Albaner Benon Pjetri, der im Rollstuhl sitzt, den Schweizer Pass verweigert.

Er lebt seit seinem 20. Lebensjahr in Oberriet und ist heute Mitte 40. Pjetri ging nach dem Entscheid der Gemeinde vors Kantonsgericht. Das wies seine Beschwerde ab, mit der Begründung, er pflege keine nennenswerten Kontakte zu Einheimischen, wirke in keinem Dorfverein mit und nehme auch keine anderen Angebote der Gemeinde wahr, um sich zu integrieren. Ausserdem gehe er seit der Aufgabe seiner Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt trotz guter Deutsch- und EDV-Kenntnisse keiner Tätigkeit nach. Pjetri zog den Fall weiter ans Bundesgericht in Lausanne – und verlor.

Ein weiteres Beispiel: In Ebnat-Kappel wollten sich im Jahr 2009 drei Türkinnen und eine Montenegrinerin einbürgern lassen. Die Gesuche der gut integrierten Frauen wurden abgelehnt. Die Begründung: mangelnde Deutschkenntnisse der Ehemänner. An der Bürgerversammlung hatte es geheissen, die verweigerte Einbürgerung solle als Druckmittel dienen, damit die Männer besser Deutsch lernten.

Während in kleineren Gemeinden in den vergangenen Jahren mehrfach Gesuche abgewiesen wurden, war es in Rorschach und in der Stadt St. Gallen in den vergangenen zehn Jahren kein einziges. Die Stadt St. Gallen ist der Ort im Kanton mit den meisten Einbürgerungen. 294 waren es 2015.

Insgesamt wurden in diesem Jahr im Kanton 1797 Personen eingebürgert. Die Daten von 2015 sind die aktuellsten des Amts für Statistik. Die Anzahl der Einbürgerungen im Kanton schwankt, in den vergangenen zehn Jahren lässt sich kein Trend ausmachen. Das Bevölkerungswachstum im Kanton ist gemäss dem Amt für Statistik aber hauptsächlich auf die Einbürgerungen zurückzuführen.

Kanton lehnt Gesuche äusserst selten ab

Ist das Orts- und Gemeindebürgerrecht erteilt, wird das Gesuch an die nächste Stufe weitergeleitet: an das Amt für Bürgerrecht und Zivilstand des Kantons. Ablehnungsentscheide seien sehr selten, heisst es dort. Sie kämen nur vor, wenn beispielsweise im Verlauf des Verfahrens Steuern nicht gezahlt wurden.

Was die Wohnsitzfrist betrifft, ist der Kanton St. Gallen schweizweit am strengsten. Neben den zwölf Jahren, die Gesuchsteller mindestens in der Schweiz gelebt haben müssen – die Jahre zwischen dem 10. und dem 20. Lebensjahr zählen doppelt – kommen acht Jahre im Kanton St. Gallen dazu. Und: Mindestens vier Jahre muss der Gesuchsteller in derselben Gemeinde des Kantons gelebt haben, damit er sich um den roten Pass bewerben kann.

In Buchs SG gelten somit acht Jahre Wohnsitz im Kanton und vier Jahre in der Gemeinde. In Buchs AG müssen Gesuchsteller fünf Jahre im Kanton und mindestens drei Jahre in derselben Gemeinde gelebt haben.

Anzahl Einbürgerungen im Jahr 2015

Amden                        4
Benken                     15
Eschenbach               8
Gommiswald            25
Kaltbrunn                  12
Rapperswil-Jona    176
Schänis                      5
Schmerikon              26
Uznach                     38
Weesen                      3

Quelle: Kantonales Amt für Statistik

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