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«Die SRG ist ein Fremdkörper»

Im Schweizer Medienmarkt sei der gebührenfinanzierte Koloss SRG ein zwiespältiges Gebilde, sagt ­Medienexperte Ueli Custer. Allerdings sieht er in der viersprachigen Schweiz keine vernünftige Alternative.

Südostschweiz
12.12.15 - 13:42 Uhr
Politik

mit Ueli Custer sprach Robert Ruoff*

Die Medien in der Schweiz leben von der Werbung. Die Online-Angebote, die privaten Radios, das private Fernsehen und zu einem Viertel sogar der Service public der SRG. Die Frage ist nur, wie lange das noch gut geht. Angesehene Fachleute wie der Medien- und Werbungsexperte Ueli Custer haben da ihre Zweifel.

Herr Custer, wo immer man von Medien und Werbung liest, hat man den Eindruck, dass es kriselt?
Ueli Custer:
Das ist etwas zu einfach. Die Fernsehwerbung wächst noch ein bisschen. Aber das geht auch nicht mehr zehn Jahre so weiter. Die Tagespresse hingegen kämpft gegen den schlechten Trend. Sie hat Lesereinbussen und verliert massiv an Werbung.

Das klingt dramatisch?
Das ist besorgniserregend. Die Presse hat eine sehr wichtige Funktion als Service public. Ohne sie kann man sich eine direkte Demokratie, wie die Schweiz sie hat, gar nicht vorstellen.

Dabei bietet das neue Medium Internet eine Fülle von Informationen.
Online ist ein oberflächlich genutztes Medium. Nur sehr wenige Leute haben Lust, sich auf dem Bildschirm mit längeren Texten zu beschäftigen. Radio wiederum ist ein flüchtiges Medium und wird von der grossen Mehrheit als Begleitmedium genutzt. So gesehen ist es nur in der Presse möglich, sich mit einem Gegenstand in längeren Texten nachhaltig zu befassen.

Das wäre ja ideal für ein politisch interessiertes Publikum?
Mit politischen Themen befassen sich vertieft nur noch relativ wenige Leute. Alle sind beruflich ausgequetscht, auch jene, die für die Medien arbeiten. Dazu kommt: Zeitungsleserinnen und -leser gehören zu einem guten Teil zu den ­älteren Altersgruppen. Das heisst: Der Leserschwund wird weitergehen.

Darum suchen die Verlage ihr junges Publikum ja im Internet.
Das stimmt. Nur gilt die brutale Regel: Wer mit klassischer Werbung in der Zeitung 100 Franken verdient, verdient damit online noch zehn Franken und mobil – also auf dem Smartphone – noch einen Franken. Also müssen die Medienhäuser andere Geschäftsmodelle entwickeln.

Ein duales Modell mit einer werbefreien SRG wäre schon fast wirtschaftsfeindlich.

Man spricht von Gemischtwarenhandel …
Ringier hat sich neben der Publizistik zum Unterhaltungs- und Shoppingkonzern entwickelt und hat ausserdem digitale Rubriken wie zum Beispiel Stellenangebote. Bei Tamedia sind die digitalen Rubriken das zweite grosse Standbein neben der Presse – also die Anzeigen, die früher in hohem Mass die Tageszeitungen finanziert ­haben. Bei den Tageszeitungen selber ist Tamedia noch immer sehr stark in der Schweiz. Aber das heisst auch: Sie hat ein sehr starkes Klumpenrisiko im Pressebereich. So viel zu den beiden Grossen.

Das Geschäftsmodell ist doch wohl, dass die Nutzer für die Zeitungsinhalte im Internet irgendwann genug bezahlen?
Das ist theoretisch absolut richtig. Doch mir fehlt der Glaube. In der Praxis hat das in der Schweiz bisher niemand geschafft. Und auch weltweit sind es nur ein paar wenige Titel.

Also müsste man heute die Zeitungen aus den digitalen Rubriken querfinanzieren?
Woher auch immer. Nur sind Querfinanzierungen auf dem Markt verpönt. Ich sehe nur irgendwann die Lösung nicht mehr, denn irgendwann ist eine Zeitung zu Tode gespart.

Also stellt sich die Frage, ob mit Werbung der ausreichende Ertrag überhaupt erzielt werden kann?
Ich denke, das funktioniert nicht. Wenn man die Landschaft der Tagespresse ins Auge fasst, stellt man fest: Die Nutzung der digitalen Angebote – also die elektronischen Ausgaben im Netz – können nur bei den Allergrössten mit der gedruckten Ausgabe mithalten. In der Deutschschweiz sind das «20 Minuten», «Blick», das Newsnet von ­Tamedia, die NZZ und auch SRF.

Nun haben Sie am Anfang gesagt, in der Schweiz sei die gedruckte Presse ein Teil des Service public. Und jetzt stellen wir fest: Dieser Teil des Service public ist ökonomisch gefährdet?
Das ist so. Und das macht mir auch Sorgen. In der politischen Polarisierung ist die Presse noch der Ort für Zwischentöne, und das ist wichtig für eine vielfältige Demokratie.

Umso wichtiger ist also der Service public der SRG?
Zuerst einmal muss man feststellen, dass ein Koloss wie die SRG ein Fremdkörper ist in einem Medienmarkt, der privatwirtschaftlich finanziert ist.

Die SRG ist ein Fremdkörper?
In einem privatwirtschaftlichen Medienmarkt ist ein Gebilde automatisch ein Fremdkörper, das – ich benutze mal das hässliche Wort – durch Zwangsgebühren finanziert ist. Ich sehe aber keine Möglichkeit, dass man diesen Zwiespalt auflösen kann.

Ich wünsche viel Vergnügen bei der Debatte, welche Programme man der SRG verbieten soll.

Warum nicht?
Weil eine Organisation wie die SRG für die drei- oder viersprachige Schweiz sehr wichtig ist. Man muss nur mal die Deutschschweizer Optik aufgeben. Dann sieht man: Im Tessin hätten wir sehr schnell kein eigenständiges Fernseh-Vollprogramm mehr, es würde zur italienischen Fernsehprovinz. Wir können es uns nicht leisten, das Tessin massiv schlechter zu behandeln als die Deutschschweiz. Dasselbe gilt grundsätzlich auch für die Westschweiz.

Dieser gebührenfinanzierte Service public hat mit Genehmigung des Bundesrats nun immer wieder auch seine Werbezeit ausgedehnt ...
… und dabei blieben die Erträge praktisch gleich. Die Werbeminuten in der Hauptsendezeit zwischen 18 und 22.30 Uhr waren immer schon gut gebucht, und in dieser Zeit wird der Hauptteil der Erträge erzielt. Und diese Erträge werden heute bestimmt durch den Preiskampf zwischen immer mehr Fernsehanbietern.

Beim Publikum ist die Grenze des Erträglichen bei der Werbung offenbar auch überschritten.
Das ist auch so eine Zwickmühle. Der Markt fragt eindeutig nach der begehrten Werbezeit, und das Publikum sagt nicht zu Unrecht: Wir bezahlen schliesslich Gebühren für dieses Programm. Warum müssen wir uns also noch so viel Werbung gefallen lassen?

Dabei gibt es in mehreren europäischen Ländern das duale Modell, in dem starke private Veranstalter mit Werbung neben öffentlichen Sendern mit eingeschränkter oder sogar ohne Werbung bestehen?
Das duale Modell mit einer mehr oder weniger werbefreien SRG bietet sich nur auf den ersten Blick an. Auf den zweiten Blick ist es aber schon fast wirtschaftsfeindlich. Es würde der Schweizer Wirtschaft einen wichtigen Werbekanal wegnehmen.

Und warum sollen Private wie Ringier oder Tamedia nicht fähig sein, für die 350 Millionen Werbefranken, die jetzt die SRG einnimmt, ein attraktives Programm anzubieten?
Weil sie kurzfristig das Publikum gar nicht haben. Sie müssten zuerst einen hervorragenden Job machen, und danach der SRG auch noch Zuschauer wegnehmen. Dadurch wäre der Werbemarkt – mindestens während längerer Zeit – amputiert und die Fernsehwerbung würde in ihrer Bedeutung massiv reduziert.

Aber der Markt ist ja prinzipiell offen. Die Sportrechte der Schweizer Super League sind ja heute schon nicht mehr bei der SRG …
… sondern bei der Swisscom (lacht). Da hat auch der Staat noch die Mehrheit, was sowieso ein Fehler ist.

Sie erinnern mich an den eingängigen Slogan von rechtsbürgerlichen Politikerinnen und Gewerbepräsidenten: Die SRG soll nur noch machen, was die Privaten nicht können.
Diese Forderung von Frau Rickli oder Herrn Bigler führt zu einer ganz anderen Diskussion, nämlich zur Frage, welche Programme man der SRG verbieten soll. Ich wünsche viel Vergnügen bei dieser Debatte. Und ganz grundsätzlich gilt so oder so: Die Grösse des Publikums in der Schweiz ist gegeben. Die Privaten müssen also Zuschauer von SRG-Programmen und von deutschen Programmen absaugen. Das ist ein Verdrängungswettbewerb mit einem Zeithorizont von zehn Jahren.

Und das erklärt, warum Gegner der SRG das SRG-Budget zügig kürzen wollen. Die Demontage der SRG scheint zwingend notwendig, damit Private erfolgreich und schnell auf dem Markt bestehen können …
Genau. Wie hat man es in Frankreich gemacht? Man hat damals den staatlichen Sender TF1 an den Bauunternehmer Francis Bouygues verkauft. Wenn man das Privatfernsehen in der Schweiz stärken will, müsste die SRG ganze Programme an einen privaten Unternehmer verkaufen.

Und die SRG könnte sich ohne ständige Jagd nach der Werbung auf die Programmgestaltung eines ­Service public konzentrieren?
Sie hätte ohne Werbung vielleicht sogar mehr Publikum. Man muss sich aber einfach im Klaren sein darüber, was es für das Programmangebot der SRG bedeutet, wenn mit der Werbung ein Viertel der Einnahmen wegfällt. Und man muss an die Folgen für den Werbemarkt ohne den Werbeträger SRG denken. Und schliesslich darf man die Grundversorgung der lateinischen Schweiz nicht vergessen, die ja wohl zum Kern des Service public in der Schweiz gehört.

Die Serie «Service public: Die SRG-Debatte» leistet einen Beitrag zur Diskussion über 
den Service public der SRG, die in der Wintersession der Eidgenössischen Räte in die heisse Phase kommt. Der Publizist und Medienkritiker Robert Ruoff spricht für die «Südostschweiz» mit engagierten Köpfen über Stärken und Schwächen und eine mögliche Zukunft des Schweizer Service public. Bereits erschienen sind Interviews mit: Jakob Tanner, Ladina Heimgartner, Samir.

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