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Undurchsichtiges Spiel der Krankenkassen bei Off-Label-Medikamenten 

Wenn Krankenkassen Medikamente mal zahlen, mal nicht, ist das Zweiklassenmedizin. Die Geschichte der Bündner Krebspatientin Ursula Willi* zeigt die Ungerechtigkeit auf.

Pierina
Hassler
21.11.22 - 04:30 Uhr
Politik
Ein langer Weg: Der Krebspatientin Ursula Willi geben Natur und Sport Kraft, die Krankheit gelassen zu sehen und ihren eigenen Weg zu beschreiten.
Ein langer Weg: Der Krebspatientin Ursula Willi geben Natur und Sport Kraft, die Krankheit gelassen zu sehen und ihren eigenen Weg zu beschreiten.
Bild Ennio Leanza / Keystone

Angst vor dem Tod? Sicher nicht Ursula Willi*. Sie lebe, und das sehr gut, sagt die 70-jährige Bündnerin in einem Gespräch über ihren Krebs. Über dessen Behandlung. Und den Ärger mit der Krankenkasse, weil diese es ablehnt, ein für sie wichtiges Medikament zu bezahlen. Es geht um ein sogenanntes Off-Label-Medikament: also eines, das offiziell in der Schweiz noch nicht zugelassen ist. «Hier sind diese Medikamente sehr oft noch nicht verfügbar, weil sich das Bundesamt für Gesundheit und die Pharmaindustrie bei der Vergütung der Kosten nicht einig sind», sagt Roger von Moos, Chefarzt für Onkologie und Hämatologie am Kantonsspital Graubünden. Deswegen kämen die Medikamente später auf die Spezialitätenliste als in anderen Ländern.

Wenn gewisse Krankenkassen ein Medikament zahlen, andere aber nicht, dann ist das unfair. Wenn Menschen nur noch behandelt werden können, wenn sie das Medikament selber zahlen, sprechen wir von Zweiklassenmedizin. Die Geschichte der Bündner Krebspatientin Ursula Willi zeigt, wo der Schuh drückt. Ein Beitrag von Kristina Schmid.

Rückblick: Im August 2019 erhält Willi den Befund Endometriumkarzinom, Gebärmutterschleimhautkrebs. Zur Krankengeschichte etwas später. Das Off-Label-Medikament setzt Willi seit dem 14. Januar 2022 ein. Zu einem Zeitpunkt, als sie zwar noch nicht als geheilt gilt, aber auch wegen dieses Medikaments auf guten Wegen dazu ist. Aus nachvollziehbaren Gründen hat Willi keine Gebärmutter mehr. «Mein Hormonhaushalt steht deshalb fast still.» Wegen dem und damit der Krebs besiegt werden kann schlägt ihr der Onkologe ein wirksames Antihormon-Off-Label-Medikament aus England vor. Sie ist einverstanden – und versteht nach dem Antrag auf Vergütung bei ihrer Krankenkasse die Welt nicht mehr.

Medikamente selber bezahlen

Was Willi zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Schweizer Krankenkassen behandeln die Vergütung von Off-Label-Medikamenten je nach Lust und Laune. «Mein Antrag wurde drei Mal abgelehnt», erzählt sie. Und weil Willi keinesfalls auf den Mund gefallen ist, selber so einiges über Medizin versteht und nie aufgibt, meldet sie sich bei ihrer Krankenkasse und erkundigt sich, weshalb ihre Therapie nicht bezahlt werde. Das Mittel stehe nicht auf der Spezialitätenliste, so die Dame vom Krankenversicherer. Willi insistiert und erzählt von einer Patientin mit der gleichen Krankheit. Sie sei bei einer anderen Krankenkasse versichert, das genau gleiche Medikament werde ihr bezahlt. «Wenn meine Kasse das Medikament nicht bezahlt, weil es nicht auf der Spezialitätenliste ist, gilt diese Begründung doch für alle Kassen.» Nicht eben freundlich versucht die Krankenkassenfrau das Gespräch mit: «Das ist so. Punkt. Amen.» zu beenden.

Willi will von der Kasse wissen, ob sie ihr eine Alternative anbietet. Das macht die Krankenkasse: Sie kostet 20’000 Franken im Jahr. Das Off-Label-Medikament ist mit rund 1000 Franken im Jahr 20 Mal billiger. Und ganz erschreckend: Ohne Willi nur einmal untersucht zu haben, empfiehlt ihr die Krankenkasse ein Medikament, von dem ihr Onkologe entschieden abrät. 

Willi zahlt die Off-Label-Medikamente jetzt selber. «Das ist es mir wert.» Aber ihr ist auch klar, dass diese Ungleichbehandlung so nicht funktioniert. «Mein Medikament ist zahlbar, aber es kann sehr schnell sehr teuer werden, sodass nur noch Gutverdienende profitieren können.» Der gleichen Meinung ist auch Onkologe von Moos: Es hänge davon ab, wo Patientinnen und Patienten wohnen würden, wo sie versichert seien und welcher Krankenkassen-Vertrauensarzt ihr Gesuch behandle; wie bei einer Lotterie. 

Drei Dutzend Metastasen

Zurück zu Willis Krankengeschichte: Willi ist eine grosse Anhängerin ganzheitlicher Medizin. Ihr Leben lang hat sie sich gesund ernährt. Viel Sport getrieben. Keine Chemie eingenommen. Kurz, die 70-Jährige war immer fit wie ein Turnschuh. Die Ärzte seien anfänglich nicht sehr zuversichtlich gewesen. «Im Universitätsspital Zürich sagten sie mir, dieser Krebs befinde sich im Stadium 4, er sei also aggressiv und habe eventuell schon andere Organe befallen.» Den Mut habe sie aber nie verloren», sagt Willi. Sie habe auch keine Angst gehabt. Auch dann nicht, als der Krebs im Dezember 2021 wieder einmal drei Dutzend kleine Metastasen auf der Lunge gebildet habe. «Ich habe noch Pläne und die will ich live erleben und nicht von oben zuschauen.»

Wenn es um Off-Label-Medikamente geht, gibt es gewisse Krankenkassen die das Medikament zahlen und andere, die das nicht tun. Der Fall der Bündner Krebspatientin Ursula Willi zeigt eindrücklich, wo das Problem liegt. Ein Beitrag von Kristina Schmid.

Willi geht den ganzen Weg auf ihre Weise. Erzählt hat sie nur gerade ihren Kindern von der Krankheit. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb sie nicht ihren richtigen Namen nennt. Lachend meint sie: «Ich will niemanden nachträglich schockieren.» Sie unterzieht sich zwei Chemotherapien und diversen Bestrahlungen. «Nach fünf Behandlungen musste ich die erste Chemo abbrechen, die zweite dann nach vier Mal.» Ihr sei entsetzlich übel gewesen. «Ich konnte über Tage nichts essen und war sehr schwach.» 

Kein Einzelfall

Im Sommer 2022 zeigt die Computertomografie, dass die Metastasen auf der Lunge kleiner geworden sind. Im Oktober sind sie auf den zwei bestrahlten Stellen weg. Grund dafür war, dass  Mitte Januar 2022 das Off-Label-Medikament ins Spiel kam. «Professor von Moos sagte, um den Hormonhaushalt in den Griff zu bekommen, müsse ich ein Medikament nehmen, das ich gut vertrage, aber das sei bei mir sehr schwierig, siehe die beiden Chemos.» Er würde ihr ein Off-Label-Medikament verschreiben. Damit habe er sehr gute Erfahrungen gemacht. Das könnte jetzt das Ende einer ganz persönlichen Geschichte sein – nur ist Willi bei Weitem kein Einzelfall. 

*Name der Redaktion bekannt

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