Plötzlich überall Rauch und Feuer
Es war der zweite grosse Brand in Chur innert weniger Tage: Die Postgarage beim Bahnhof ist in der Nacht auf gestern völlig zerstört worden. Einsatzkräfte und Anwohner erlebten eine Nacht zwischen Hoffen, Bangen und Dankbarkeit.
Es war der zweite grosse Brand in Chur innert weniger Tage: Die Postgarage beim Bahnhof ist in der Nacht auf gestern völlig zerstört worden. Einsatzkräfte und Anwohner erlebten eine Nacht zwischen Hoffen, Bangen und Dankbarkeit.

Von Oliver Berger
Es ist ein ganz normaler Mittwochabend. Das Schweizer Fernsehen zeigt auf SRF2 den Film «Champions» rund um den fiktiven Überlebenskampf des EHC Arosa; das ZDF setzt auf «Die Toten von Salzburg», bei RTL verteilt der «Bachelor» seine Rosen. Kurz nach 20.45 Uhr geht bei der Einsatzleitstelle der Kantonspolizei Graubünden eine Meldung ein: In der Postgarage an der Oberalpstrasse unterhalb des Bahnhofs brennt es.
Das Ausmass sofort erkannt
Etwa zur gleichen Zeit sitzt der frühere Churer Stadtrat Roland Tremp in seiner Wohnung an der Scalettastrasse. Das Wohngebäude liegt direkt neben der Postgarage, ist wie diese erst im Jahr 2005 gebaut worden. Bei Tremp und seiner Ehefrau ist eine der Töchter mit den Kindern zu Besuch. Die Tochter sei es auch gewesen, die den Brand zuerst bemerkt habe, erzählt Tremp. Er sei deshalb auf seine Terrasse gegangen, um nachzusehen. Ihm sei sofort klar gewesen, dass es sich um einen Grossbrand handeln müsse, so Tremp. «Auf der ganzen Länge loderten Flammen zwischen den beiden Dachebenen der Garage in die Höhe.»
Tremp reagiert sofort, lässt seine Ehefrau und seine Tochter die Kinder wecken und anziehen, schickt sie aus dem Haus. Er selber macht sich auf zu den anderen Wohnungen und alarmiert die übrigen Hausbewohner – sofern sie die Gefahr noch nicht selber ausgemacht haben. «Innerhalb kurzer Zeit hatten sich alle in Sicherheit gebracht», sagt Tremp. Er selber sei dann noch ins Nachbarhaus gegangen, um auch dort die Nachbarn zu warnen. «Als wir aus dem Haus kamen, waren auch schon Polizei und Feuerwehr vor Ort.»
Eine Hundertschaft kämpft
Auch die Rettungskräfte haben inzwischen mit der Evakuierung der direkt an die Garage grenzenden Gebäude begonnen. Ausgerückt sind die Gesamtfeuerwehr Chur, die Feuerwehr Domat/Ems-Felsberg und die Betriebsfeuerwehr der Ems-Chemie. Insgesamt steht allein eine Hundertschaft an Feuerwehrleuten im Einsatz. Dazu kommen 15 Personen der Stadtpolizei Chur, welche die Umgebung absperren. Die Sanität Chur ist mit einem Krankenwagen vor Ort; im Laufe der Rettungsarbeiten muss sie einen Stadtpolizisten mit Atembeschwerden ins Spital bringen.
Auf der Bahnhofseite der Postgarage ist derweil ein Anwohner, der anonym bleiben will, von einem Nachtessen in sein Haus zurückgekehrt. «Es war eine schwarze Wand, überall war Rauch», erzählt er am nächsten Morgen. Sein Haus grenzt praktisch direkt an den Brandplatz. Mit Sorge habe er vom Balkon aus den Brand mitverfolgt. Ihm ist mit wenigen Stunden Abstand zum Geschehen klar: «Wir in unserem Haus hatten riesiges Glück. Wenn der Wind im Laufe der Nacht gedreht hätte, wäre vielleicht alles anders ausgegangen.»
In Sicherheit – und solidarisch
Die Bewohnerinnen und Bewohner der evakuierten Randgebäude des Areals werden von den Rettungskräften währenddessen ins nahe Kino Apollo geschickt. «Ich bin dann noch einmal zurückgekehrt, weil noch jemand fehlte», erzählt Tremp rückblickend. Vom Kino seien die geretteten Anwohnerinnen und Anwohner dann ins «Sunshine Pub» gewechselt, «wo wir sehr gut aufgehoben waren». Die Polizei habe dort auch mit der Auflistung der Geretteten begonnen.
Auf dem Brandplatz kämpfen die rund hundert Feuerwehrleute zur gleichen Zeit immer noch gegen die Flammen. Ihre Aufgabe ist heikel. In die Halle, wo das Unternehmen Postauto seine Fahrzeuge einstellt, ist eine Tankstelle integriert. Die Feuerwehren können verhindern, dass der Brand auf diese übergreift. Die Tankstelle wird beim Feuer «nach ersten Erkenntnissen nur oberirdisch beschädigt», wie die Kantonspolizei am Tag danach schreiben wird.
Für Familie Tremp und die übrigen Anwohner ist längst klar, dass sie den Rest der Nacht nicht in ihren Wohnungen werden verbringen können. Eifrig werden Schlafplätze organisiert. «Die Solidarität unter den Hausbewohnern war eindrücklich», betont Tremp. Er windet aber auch den Rettungskräften ein Kränzlein. «Was Feuerwehr und Polizei geleistet haben, war grossartig.»
Mit mulmigem Gefühl zurück
Im Lauf der Nacht können die Feuerwehren das Feuer löschen – von einigen kleinen Brandnestern einmal abgesehen, die auch am Morgen danach noch glimmen. Um 8 Uhr früh erhält Tremp bereits die Mitteilung, er könne in seine Wohnung zurückkehren. «Das habe ich dann mit einem mulmigen Gefühl gemacht», sagt er. Ein erster Augenschein habe gezeigt: «Die Schäden halten sich in Grenzen, stammen vor allem von Rauch und Russ.»
Auch das Caritas-Center, das im gleichen Gebäude untergebracht ist, ist weitgehend unversehrt geblieben. «Allerdings müssen jetzt Fachleute abklären, wie die Verrussungen entfernt werden können und was sonst noch instandgestellt werden muss», sagt Karin Streiff, Geschäftsleiterin von Caritas Graubünden, am Tag nach dem Brand. Der Laden und das Café im Center blieben deshalb geschlossen, bis man mehr wisse. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Einsatzprogramms für Erwerbslose, haben erst einmal frei.
Wie gross die Schäden an den Wohnungen sind, kann am Tag nach dem Brand noch nicht beziffert werden, wie Jann Hartmann, Vizedirektor der Gebäudeversicherung Graubünden, erklärt. Er gehe aber davon aus, dass die Einstellhalle völlig zerstört sei. Werde sie wieder aufgebaut, werde die Gebäudeversicherung die Kosten zum versicherten Neuwert übernehmen.
Tatsächlich ist die Dachkonstruktion der Halle an mehreren Stellen eingestürzt. Unter sich begraben hat sie unter anderem Post- und Privatautos. Wie durch ein Wunder wurde beim Brand aber niemand ernsthaft verletzt. «Wir hatten Glück im Unglück», sagt Tremp denn auch erleichtert.