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Im Lotsen-Prozess kochen die Emotionen hoch

Tränen, Lacher, Beleidigungen: Der Fall um einen Fluglotsen, der zwei Swiss-Maschinen gleichzeitig die Startfreigabe erteilt hatte, bot vor dem Zürcher Obergericht viel Zündstoff. Das Urteil wird im Dezember erwartet.

Linth-Zeitung
28.11.18 - 19:03 Uhr
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Beinahe-Unglück: Am Flughafen Zürich machte ein Lotse einen Fehler, nun stand er vor Gericht.
Beinahe-Unglück: Am Flughafen Zürich machte ein Lotse einen Fehler, nun stand er vor Gericht.
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Von Flavio Zwahlen

Bei der Verhandlung vor dem Obergericht am Dienstag waren Emotionen im Spiel: Der 36-jährige Beschuldigte war bei seinem Schlusswort den Tränen nahe und musste beim Sprechen Pausen einlegen, damit es nicht aus ihm herausbrach.

Er hat eine schwere Zeit hinter sich. Nach dem Vorfall im Jahr 2011, der zur Anklage geführt hatte, war er für die Arbeit bei Skyguide gesperrt. Vor einem Monat trat er die Ausbildung zum Fluglotsen erneut an – in einer abgespeckten Version. «Danach kann ich wieder bei Skyguide arbeiten», sagte der Beschuldigte.

Dazu braucht er aber nicht nur gute Prüfungsresultate – bei der ersten Ausbildung stufte ihn Skyguide als «sehr gut» ein –, sondern auch einen Freispruch des Zürcher Obergerichts. Im Falle einer Verurteilung wäre seine Anstellung gefährdet.

Die Staatsanwaltschaft möchte aber genau das erreichen. Das Bezirksgericht Bülach hatte den Fluglotsen vor zwei Jahren freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland zog den Fall aber ans Obergericht weiter und fordert erneut eine Verurteilung wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs. Dazu eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 100 Franken. Für den Staatsanwalt ist klar: «Es bestand die konkrete Gefahr, dass sich viele Menschen verletzen oder gar sterben.»

Gleichzeitige Startfreigabe

Im März 2011 hatte der Fluglotse zwei Maschinen der Swiss am Flughafen Zürich gleichzeitig die Startfreigabe erteilt. An Bord der Flugzeuge, die auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 starten sollten, befanden sich insgesamt mehr als 260 Passagiere. Weil die Besatzung des Flugzeugs auf Piste 28 die zweite startende Maschine bemerkte, brach sie den Start sofort ab und verhinderte Schlimmeres.

Zwar wären die Flugzeuge nicht zusammengestossen, wenn beide ihren Start fortgesetzt hätten, wie im Bericht der Flugunfalluntersuchung zu lesen ist. Die Staatsanwaltschaft ist aber der Meinung, dass die beim Abheben entstehenden Seitenwirbel und der Ausstoss aus den Triebwerken sehr wohl zu einer Gefährdung geführt hätten.

«Nur dank des beherzten Eingreifens des Piloten und durch Zufall ist nichts Schlimmeres passiert», sagte der Staatsanwalt am Dienstag. Durch die gleichzeitige Startfreigabe habe der Lotse auch seine Sorgfaltspflicht verletzt. «Er hat die dauernd anhaltende Überwachung nicht aufrechterhalten.»

Der Prozess stiess auf grosses Interesse. Rund 40 Zuschauer nahmen im grossen Gerichtssaal beim Hirschengraben in Zürich Platz. Die meisten von ihnen waren Arbeitskollegen des Beschuldigten. Einige Aussagen des Staatsanwalts würdigten sie mit hämischen Lachern. Die Richter liessen sie gewähren.

Aus 1,5 wurden vier Stunden

Vor den beiden Plädoyers wollte das Gericht von Staatsanwalt und Verteidiger wissen, wie viel Zeit sie für ihre Ausführungen benötigen.

Der Staatsanwalt lag mit seinen vorhergesagten zwei Stunden und 15 Minuten ziemlich richtig. Anders der Verteidiger: «Ich plädiere 1,5 Stunden», meinte er. Letztlich dauerte es ganze vier Stunden. Deshalb entschied sich das Gericht, noch kein Urteil zu fällen. «Es handelt sich hier um einen sehr komplexen Fall», sagte der Richter. Die Parteien werden am 12. Dezember zur Urteilsverkündung ans Obergericht gebeten.

«Es war ein Aussetzer»

Der Verteidiger erwartet dann einen Freispruch. Für ihn ist klar: «Die Staatsanwaltschaft hat vom vorliegenden Tatbestand wenig Ahnung.» Er nahm kein Blatt vor den Mund und kritisierte vor allem den Staatsanwalt, der bei der Verhandlung in Bülach noch für den Fall zuständig gewesen war – inzwischen wurde gewechselt.

«Es ist menschlich, wenn man kurz vor seiner Pension nicht den besten Tag hat», sagte der Verteidiger. «Die Verteidigung schiesst aus vollen Rohren. Es geht nicht um Personen, sondern um die Sache», konterte der Staatsanwalt in seiner Replik.

Zur Sache sagte der Verteidiger: «Es war ein Aussetzer des Lotsen, weil er zu diesem Zeitpunkt überlastet war. Die konkrete Gefährdung von Menschenleben hat aber zu keinem Zeitpunkt bestanden.»

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