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Vom Glück der Dinge: Wie es eine Engadinerin ins «Happy Day» von SRF schaffte

Jolanda Thanei hat vor grossem TV-Publikum wiederbekommen, was sie schrecklich vermisste. Welche Geschichte steckt hinter ihrem Schemeli?

Bündner Woche
20.10.25 - 13:42 Uhr
Menschen & Schicksale
Hängt mit dem Herz an Dingen: Jolanda Thanei.
Hängt mit dem Herz an Dingen: Jolanda Thanei.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

Von Cindy Ziegler

Unser Herz hängt oft an Dingen. Wir schreiben Gegenständen einen Wert zu, der sich nicht mit Geld beziffern lässt. Wenn wir an sie denken, werden wir emotional, weil wir sie mit Emotionen verbinden, die sich tief ins Material eingeschrieben haben. Das kennt wohl fast jeder und jede. Und doch gibt es Menschen mit einer besonderen Affinität für diese Art von Beziehung. Jolanda Thanei ist wohl ein solcher Mensch. «Ich kann mich nur schwer von Sachen trennen», sagt sie am Esstisch in der modernen Wohnung in Scuol. Sie zeigt um sich. Der Raum ist nicht vollgestellt und doch findet das Auge überall alte Dinge. Dinge mit Geschichte. Eine ganz besondere Geschichte erzählt ein unscheinbares Schemeli. Es steht am Boden und ein alter Teddybär mit abgegriffenem Fell sitzt auf ihm. Der Hocker ist weiss lackiert, da und dort ist die Farbe abgeblättert. Jolanda Thanei nimmt das kleine Möbel in die Hände und streicht über die vielfach benutzte Oberfläche. So liebevoll, als könnte der Gegenstand das fühlen.

Ein kleines Möbel und eine grosse Geschichte: Der Hocker schaffte es gar ins Fernsehen.
Ein kleines Möbel und eine grosse Geschichte: Der Hocker schaffte es gar ins Fernsehen.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

Szenenwechsel: Es ist Samstagabend, zur besten Sendezeit. Die Happy-Day-Premiere von Nik Hartmann. Im Publikum sitzen auch Jolanda Thanei und ihre Freundin. Plötzlich sagt der Moderator den Namen der Unterengadinerin. Sie erschrickt, ist verwundert und freut sich dann riesig, als sie merkt, dass sie nun etwas wiederbekommt, was sie für immer verloren glaubte. Im Scheinwerferlicht steht ein kleiner Hocker. Die Freude von Jolanda Thanei könnte nicht grösser sein.

Ein Stück Kindheit

Zurück in der Wohnung in Scuol. Mittlerweile hat die 68-Jährige etwas Zeit gehabt, um durchzuatmen. Und sich an ihrem geliebten Gegenstand zu erfreuen. Noch in der Sendung musste sie versprechen, ihn nie mehr wegzugeben. «Auch meine Kinder haben mir versichert, dass das Schemeli nie mehr weggegeben wird», sagt sie und lacht.

Wir wollen nun aber mehr über diese besondere Geschichte erfahren. Jolanda Thanei lässt sich nicht zweimal bitten. «Ich bin in einem grossen Bauernhaus aufgewachsen. Ich habe dieses Haus geliebt. Jede Ecke und jedes Geräusch kannte ich. Wenn ich die Vorhänge zur Seite zog oder wenn ich die knarrende Holztreppe hinab rannte. Und ich liebte das Schemeli. Als Kind habe ich viel damit gespielt, trug es aus dem Haus und wieder hinein», erzählt sie und holt ihr Handy hervor. Sie zeigt ein Bild. Eine Schwarz-Weiss-Aufnahme eines kleinen Mädchens neben einem grossen Hund. Es sitzt auf einem hölzernen Hocker. «Mein Grossvater, den ich leider nie kennenlernte, weil er sehr früh starb, hat das Schemeli gemacht. Meine Mutter hat es irgendwann angemalt. Sie hatte leidenschaftlich immer wieder Sachen angestrichen. Die Küche zum Beispiel zweimal komplett», sagt die Pensionärin, die Erinnerungen noch so klar, als hätte sie alles erst gestern erlebt. «Ich wusste, dass ich dieses Schemeli irgendwann mitnehmen werde.»

Schemeli und Hund: Jolanda Thanei in Kindesjahren.
Schemeli und Hund: Jolanda Thanei in Kindesjahren.
Bild: zVg

Doch es kam anders. Jolanda Thanei zog als junge Frau ins ferne Graubünden, weit weg von der Heimat Oberwil (BL). Das Schemeli nahm sie nicht mit. Viele Jahre später räumen die vier Schwestern das Elternhaus. Sie veranstalten einen Flohmarkt. «Ich habe mir immer wieder sagen müssen, dass ich nicht alles mitnehmen kann», sagt Jolanda Thanei. Ein Antiquitätenhändler, der am Vorabend des grossen Flohmis vorbeikam, meinte zu ihr, sie müsse für das, was ihr wichtig sei, einfach einen höheren Preis verlangen. Das Schemeli bekam einen Kleber. 40 Franken. Und doch war es das erste Stück, welches das Haus verliess. «Mir sind nur noch die Tränen runtergelaufen. Mein Herz hat wehgetan, aber der Verstand hat sich durchgesetzt.»

Eine Leere

Das Schemeli hat sie nie losgelassen. Immer wieder musste sie an das Möbel denken und immer wieder wurde ihr schwer ums Herz. «Ich habe mich fast ein bisschen geschämt für diese Gefühle. Es ist ja nur ein Ding», gibt Jolanda Thanei zu. Sie hatte vor, dieses Kapitel zu schliessen. Und sich dann doch bei «Happy Day» mit ihrer Geschichte gemeldet. Die SRF-Produktion meldete sich zurück. Sie hätten das Schemeli leider nicht gefunden. «Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht. Über die Tickets für die Sendung zum Trost habe ich mich sehr gefreut», erzählt die 68-Jährige eifrig. Umso überraschter war sie dann in ebendiesem Moment, als Nik Hartmann plötzlich in der Livesendung ihren Namen sagte. Als sie auf die Bühne geführt wurde, habe sie gespürt, dass das Schemeli da war. «Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Das Schemeli kam mir auf der grossen Bühne vor wie ein Königsstuhl.»

Wieder in den eigenen Händen: Jolanda Thanei mit ihrem Schemeli.
Wieder in den eigenen Händen: Jolanda Thanei mit ihrem Schemeli.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

Endlich zu Hause

Unbewusst habe sie das Gefühl des Verlustes tief in sich vergraben. Immer wieder rationale Gedanken vorgeschoben. «Jetzt, wo das Schemeli wieder da ist, fühle ich mich komplett.» Das Möbel wieder zu bekommen, habe ihr geholfen, ganz von ihren Eltern und ihrem Elternhaus Abschied zu nehmen. «Für mich symbolisiert das Schemeli Zuhause. Und ich bin ex­trem froh, dass es nun wieder in meiner Küche steht», sagt Jolanda Thanei und lächelt dankbar.

Die «Happy Day»-Sendung mit Jolanda Thanei ist auf www.buendnerwoche.ch verlinkt.

Warum wir an Dingen hängen
So wie Jolanda Thanei mit ihrem Schemeli geht es vielen Leuten mit anderen Sachen. Und doch haben diese Geschichten eines gemeinsam: Sie wecken Emotionen. Die deutsche Journalistin Susanne Mayer hat ein Buch darüber geschrieben, warum wir an Dingen hängen, die im Grunde keinen materiellen Wert besitzen. In einem Interview sagte sie: «In den Dingen verdichten sich Geschichten.» Ausserdem geben bekannte Gegenstände Sicherheit, weil sie eng mit positiven Erinnerungen und unserer Identität verbunden sind. Ein psychologisches Phänomen, das unsere Bindung an Dinge erklärt, ist der Besitztumseffekt. Er besagt, dass wir Dingen, die uns gehören, einen viel höheren Wert beimessen als ähnlichen Dingen, die wir aber nicht besitzen. Der Effekt basiert auf neuropsychologischen Entwicklungen, die unter anderem das Belohnungssystem in unserem Hirn betreffen. Wir fühlen uns belohnt, wenn wir gewisse Dinge besitzen. Studien zeigten, dass sich Menschen belohnt fühlen, wenn sie Bilder von Gegenständen sehen, die ihnen gehören. Hirnforscher konnten zudem nachweisen, dass es gar zu physischen Schmerzen führen kann, wenn wir etwas verlieren, was uns am Herzen liegt.

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