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Die Jüngsten sind die Schwächsten

Jedes Jahr, wenn sich ein neuer Jahrgang Kindergärtner auf den Weg macht, ist auch der Davoser Wachtmeister Markus Meier zur Stelle.

Barbara
Gassler
19.11.23 - 07:00 Uhr
Menschen & Schicksale
Massive Gefärdung, nicht nur für die Jüngsten: Während die einen Automobilisten am Fussgängerstreifen den Vortritt gewähren, werden sie von anderen ungeduldig und rechtswidrig überholt.
Massive Gefärdung, nicht nur für die Jüngsten: Während die einen Automobilisten am Fussgängerstreifen den Vortritt gewähren, werden sie von anderen ungeduldig und rechtswidrig überholt.
zVg

Mit den Kindern übt er das Verhalten im Strassenverkehr und gibt ihnen die notwendigen Verhaltensregeln mit. Diese können jedoch nur funktionieren, wenn auch die anderen Verkehrsteilnehmenden über die Besonderheiten der Jüngsten im Verkehr informiert sind. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht er über deren speziellen Bedürfnisse.

DZ/KZ: Markus Meier, warum sind die Jüngsten im Verkehr am stärksten gefährdet?

Markus Meier: Aufgrund meiner über dreissigjährigen Erfahrung als Verkehrsinstruktor bei der Kantonspolizei Graubünden möchte ich meine gewonnenen Erkenntnisse gerne an die Fahrzeuglenkenden weitergeben. Mein Ziel ist es, ein besseres Verständnis für das Verhalten der jüngsten Verkehrsteilnehmer beim Überqueren unserer Strassen zu fördern. Es liegt mir am Herzen, die lokale Bevölkerung für das korrekte Verhalten als Fahrzeugführer vor einem Fussgängerstreifen zu sensibilisieren. Die Sensibilisierung für diese Problematik ist meiner Meinung nach dringend erforderlich.

Es passieren doch kaum Unfälle mit Kindern.

Jeder einzelne ist einer zu viel. Gerade eben kam in Freiburg ein fünfjähriges Kind auf einem Fussgängerstreifen zu Tode. Es wurde von einem 42-jähriger Autofahrer angefahren, der es übersehen hatte. Der Fahrer steht verständlicherweise unter Schock und braucht Betreuung. Vielleicht hätte das allen erspart bleiben können, hätte er gewusst, dass Kinder bis zum Alter von etwa neun Jahren gewisse Dinge einfach noch nicht können.

Wovon sprechen Sie?

Zum einen sind Kinder klein. Darum können sie leicht von Fahrzeugen verdeckt werden und können kaum über sie hinwegblicken. Ausserdem haben sie Schwierigkeiten, Fahrzeuggeschwindigkeiten richtig einzuschätzen und das Risiko von Verkehrssituationen angemessen zu bewerten. Ihre räumliche Warnnehmung ist dazu noch nicht in der Lage. Ausserdem ist ihr Gesichtsfeld, also der mit beiden Augen erfassbare Bereich seitlich, bis zum Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren um etwa 30 Prozent eingeschränkt. Erst ab dann entspricht es jenem eines Erwachsenen

Jüngere Kinder neigen zusätzlich dazu, eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne zu haben. Das führt dazu, dass sie sich im Strassenverkehr weniger konzentrieren und leichter abgelenkt werden. Zusätzlich brauchen Kinder Zeit, um Verkehrsregeln zu erlernen und zu verstehen. Bis zu einem gewissen Alter können sie nicht alle Verhaltensregeln im Strassenverkehr begreifen oder befolgen. Dazu kommen noch die motorischen Fähigkeiten, die bei jüngeren Kinder nicht mit jenen von Erwachsenen vergleichbar sind. Das kann ihre Sicherheit beim Überqueren von Strassen aber auch beim Fahrradfahren beeinträchtigen. Schlussendlich ist da noch der Punkt Erfahrung. Durch sie gewinnen wir Sicherheit im Strassenverkehr. Jüngere Kinder haben oft wenig bis kaum Erfahrung und können daher weniger sicher im Verkehr agieren.

Was bedeutet das für mich als Autofahrerin?

Kinder lernen die Regel «Rad steht, Kind geht.» Dies bedeutet, dass die Kinder erst losgehen sollen, wenn das Fahrzeug vollständig zum Stillstand gekommen ist. Wenn Kindergärtner und Schüler an einem Fussgängerstreifen stehen und ihre Absicht zum Überqueren signalisieren, fahren Sie bitte mit angepasster Geschwindigkeit auf den Fussgängerstreifen zu. Bremsen Sie das Fahrzeug ab und halten Sie unmittelbar vor dem Fussgängerstreifen komplett an. Vermeiden Sie es, zu weit davon entfernt zum Stillstand zu kommen. Dadurch wird das Risiko von Überholmanövern durch andere Fahrzeuge verringert, und die Kinder können die Situation besser bewältigen.

Nehmen Sie Blickkontakt mit den Kindern auf, um ihnen zu signalisieren, dass Sie aufgrund ihrer Anwesenheit angehalten haben. Verzichten Sie in dieser Situation darauf, Kindern mit einer Hand­bewegung anzuzeigen, dass sie jetzt laufen dürfen oder laufen sollen.

Solche freundlichen Gesten führen häufig dazu, dass sich Kinder ausschliesslich auf diese Signale verlassen und möglicherweise nicht mehr aktiv darauf achten, ob die Fahrbahn sicher überquert werden kann. Denn selbst die jüngsten Fussgänger sollten beim Überqueren des Zebrastreifens beachten, dass ein weiteres Fahrzeug möglicherweise die vor dem Fussgängerstreifen wartenden Fahrzeuge überholen kann und somit eine unerwartete und erhebliche Gefahr darstellen könnte.

Da stehe ich nun und warte. Wie geht es weiter?

Es ist entscheidend, zu berücksichtigen, dass die genannten Überprüfungen für Kinder eine bedeutende Herausforderung darstellen. In diesem Alter benötigen Kinder oft deutlich mehr Zeit für eine sorgfältige Beurteilung. Seien Sie sich dessen bewusst und gewähren Sie dem Kind die notwendige Zeit, indem Sie mit Ihrem Fahrzeug geduldig warten. Dabei überwachen Sie sowohl Ihren Aussen- als auch Ihren Innenspiegel.

Es könnte sein, dass ein Fahrzeug hinter Ihnen Sie plötzlich überholen will. Falls sich eine solche gefährliche Situation abzeichnet, verwenden Sie bitte Ihre Fahrzeughupe, um das Kind oder das den überholenden Fahrzeuglenker auf die bevor-stehende Gefahr aufmerksam zu machen.

Gibt es weitere Dinge, die zu beachten sind?

Das Befahren von Trottoirs durch Motorfahrzeuge, um mit anderen Fahrzeugen zu kreuzen ist ein wachsendes Problem, insbesondere auf schmalen Strassen. Dieses gefährliche und rechtswidrige Verhalten wird leider durch die noch verbreitet vorkommenden Gehwege mit niederen oder abgeschrägten Randsteinen begünstigt. Sie bieten für Fussgänger nur geringen Schutz. Das Befahren von Trottoirs ist vor allem an unübersichtlichen Stellen äusserst riskant. So etwa auf Kuppen, in Kurven oder bei Vorplätzen, Gärten und Ein- und Ausfahrten. Diese Situation birgt zusätzliche Gefahren, da man nie sicher sein kann, dass nicht plötzlich ein Kind auf dem Trottoir vor dem Fahrzeug auftaucht.

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