Es heisst nicht nur Dunkelheit: Bündnerin spricht offen über ihre Depression
Mit ihrer Offenheit klärt eine 21-Jährige Vorurteile über Missverständnisse und Vorurteile gegenüber Depressionen auf. Der erste Teil der neuen Serie «die ‹Büwo› spricht darüber».
Mit ihrer Offenheit klärt eine 21-Jährige Vorurteile über Missverständnisse und Vorurteile gegenüber Depressionen auf. Der erste Teil der neuen Serie «die ‹Büwo› spricht darüber».
Von Lara Buchli
Menschen mit Depressionen möchten alleine sein – so das Vorurteil. Tatsächlich aber trifft dies nicht auf alle zu. Denn auf die Frage hin, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, antwortet Chiara* Folgendes: «Einen anderen Menschen.» Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
Mit 14 Jahren kam die Diagnose. Mittelschwere Depression, teilte man ihr mit. Heute ist sie 21 Jahre alt und wohnt zurzeit in einem kleinen abgelegenen Dorf. Doch wie äussert sich ihre Depression denn genau? «Merken tu ich es meistens zu spät. Oder ich will es gar nicht wahrhaben», erzählt die junge Frau und blickt verlegen drein. Ihr Körper kündige ihr die dunkle Nachricht meistens mit heftigen Bauchschmerzen, Atemnot und mangelndem Appetit an.
Es gibt jedoch jemanden, der es immer schon vor ihr weiss. Ihr Hund. Eine treue Seele, die auch der «Büwo» schwanzwedelnd entgegengekommen ist, als sie das Zuhause der 21-Jährigen betreten hat. Die beiden haben eine besondere Bindung, meint Chiara und ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. «Als unser alter Hund starb, war ich erst gar nicht begeistert, als meine Eltern einen neuen Vierbeiner nach Hause brachten. Ich mochte ihn nicht. Er kam trotzdem immer zu mir.» Später erklärte ihre Therapeutin ihr dann, dass Hunde Depressionen und negative Stimmungen spüren würden. «Er wollte mir einfach nur beistehen und ich habe es nicht realisiert.»
Menschen wiederum falle es weniger auf, wenn es ihr nicht so gut ginge. Es läge wahrscheinlich daran, dass sie nicht so gerne und offen mit ihren Freunden und Freundinnen darüber spreche. Wieder lächelt sie verlegen. Sie gehe mit dem Thema «Depression» sehr vorsichtig um und spreche auch ihre eigene Diagnose nur ganz selten an. «Es gibt unter meinen Freunden und Freundinnen immer noch solche, denen ich nichts von meinen Depressionen erzählt habe. Nicht böswillig, sondern um mich selbst zu schützen.»
Sie taste sich immer im Vorhinein langsam mit dem Thema an eine neue Person heran. Sobald das «Zauberwort Depression» gefallen ist, merke sie recht schnell, ob die Person damit umgehen kann oder eben nicht. «Vielmals werden leider auch Aussagen gemacht, die mich persönlich treffen, ohne dass das Gegenüber es weiss. Und nach so einem Gespräch habe ich dann meistens wenig Lust, sie aufzuklären, dass ich selbst darunter leide.»
Was hält sie davon ab, Klartext mit ihren Freunden und Freundinnen zu sprechen? Sie habe Angst davor, wie sie dann angeschaut werde. «Ich möchte auf gar keinen Fall, dass sie mich irgendwie bemitleiden oder sich mir gegenüber irgendwie anders verhalten. Na ja …», sie überlegt kurz, «ausser natürlich, es geht mir wirklich nicht gut, dann ist ein sensibler Umgang natürlich etwas Schönes und wäre auch wünschenswert. Aber ich möchte halt niemandem so ein Verständnis aufzwingen. Das muss von jedem und jeder selbst kommen.» Man könne nicht erwarten, dass jeder und jede versteht, wie sich Depressionen anfühlen, aber wenn das Interesse da sei, sei oft auch Verständnis dabei.
Doch es gebe nicht nur Schattenseiten in der Welt von Chiara. «Es sind die kleinen Momente, die enorm erfüllend sein können. Das letzte Mal so richtig glücklich gewesen war ich in den Ferien, als ich in San Francisco mit Freunden und Kolleginnen unterwegs gewesen war und wir uns gemeinsam den Sonnenuntergang angeschaut haben.» Da sei gar kein Platz mehr für ihre Depressionen gewesen und für einen kurzen Moment seien sie in den Hintergrund gerückt, sodass sie sie gar nicht mehr wahrgenommen habe. «Glück ist ein Gefühl, dass dich vollends einnimmt und keinen Platz mehr lässt für eine andere Emotion.»
Chiara legt den Kopf schief und blickt in die Ferne. Wenn sie einen guten Moment habe, dann seien da nur Gedanken, wie «Hach, jetzt ist es gerade schön», oder «In diesem Moment geht es mir gut». Ihre böse innere Stimme habe da nichts zu suchen. Diese komme nur dann hervor, wenn es ihr wirklich schlecht gehe.
Doch wie fühlt es sich überhaupt an, sich in so einem dunkeln Loch wiederzufinden? Meistens falle es ihr erst im Nachhinein auf. Währenddem sie sich im Tief befinde, sei sie so davon eingenommen, dass sie es gar nicht richtig mitbekomme. Meistens gehe sie wie gewöhnlich zur Arbeit und habe einfach funktioniert, ohne grosses Drumherum.
Kein Lachen, keine Spässchen, kein «Nach der Schule noch was unternehmen» – einfach nur sein und machen. «Oft kommt dann erst später so ein Gedanke, wie ‹Oh, oh, die letzten Tage waren wahrscheinlich nicht wirklich normal›.» Und das bringe sie dann zum Nachdenken, fügt sie an. Wie man mit solchen Tagen umgehe, sei bei jedem und jeder anders. «Mir wirds meistens erst dann so richtig bewusst, wenn jemand zu mir kommt und meint: ‹Was ist los? Du bist so still›. Dann ertönen die Alarmglocken und ich weiss, dass etwas nicht stimmt.»
Was hilft?
Chiara erzählt, was ihr meistens dabei hilft, besser mit solchen Tagen umzugehen: «Die richtigen Freunde und Freundinnen», sagt sie und grinst. Das sei mit Abstand das Wichtigste. In dunkeln Zeiten komme es jedoch eher seltener vor, dass sie selbst auf ihre Freunde und Kolleginnen zugehe und sie frage, ob sie was zusammen unternehmen wollen – dafür habe sie einfach keine Kraft. Wenn sie für sich sein möchte, gehe sie gerne nach draussen an die frische Luft. «Ich spaziere dann einfach mal los. Oft verschlägt es mich aber zu meinem Lieblingsbänkli.» Dort sitze sie dann und versuche, den Kopf freizubekommen. Leider hat die 21-Jährige oftmals Schmerzen beim Gehen und ist nicht jeden Tag gleich gut zu Fuss unterwegs. Das wiederum schlägt ihr zusätzlich auf das Gemüt. «Ich fühle mich dann eingesperrt und alles wird noch schlimmer.»
Dann verbringe sie am liebsten Zeit in ihrem Zimmer im eigenen Bett. Doch auch das könne irgendwann zu viel werden und das Dach falle ihr mit der Zeit auf den Kopf. Da kommen wieder ihre Freunde und Kolleginnen ins Spiel. «Ich freue mich eigentlich immer, wenn sie auf mich zukommen. Gemeinsam Zeit verbringen tut immer gut!» Sie müssten nicht einmal gross etwas unternehmen – solange sie sich aufgehoben und wohl dabei fühle, sei das schon genug.
Wünsche für die Zukunft
«Depression ist nicht nur Dunkelheit.» Das deutlich zu machen, ist Chiara unheimlich wichtig. Sie möchte mit diesem Gespräch nämlich nicht nur über ihre eigene Depression sprechen, sondern vor allem Missverständnisse aufklären und Vorurteile beseitigen. Was sie sich aber generell wünsche, ist, dass die Leute endlich anfangen würden, zu verstehen, dass Menschen mit Depressionen nicht nur traurig sind, sondern auch glücklich sein können. Sogar in einer schlechten Phase. Dieses Glücklichsein unterscheidet sich zwar ein wenig von jenem in einer guten Phase, ist aber dennoch möglich. Ausserdem sei es ihr wichtig, dass das Thema ernst genommen werde. Wenn zum Beispiel jemand so etwas sagt, wie: «Heute gehts mir nicht so gut, ich bin bestimmt depressiv», dann werde das Thema immer mehr verharmlost und normalisiert. Das würde dazu führen, dass Menschen wie Chiara nicht mehr ernst genommen werden, weil «ja jeder einmal einen schlechten Tag hat». Solche Aussagen seien in ihren Augen sehr heikel und man müsse sehr vorsichtig damit umgehen.
«Auf Tiktok hat es vor einiger Zeit einen Trend gegeben, bei dem alle irgendwelche Merkmale aufgelistet haben und wenn man diese erfüllt hat, dann litt man laut der Person, die dieses Video veröffentlicht hat, auch an Depressionen. Was natürlich völliger Schwachsinn ist!», meint die 21-Jährige verärgert. Wenn man das Gefühl habe, unter einer Depression zu leiden, dann solle man das bei einer Fachperson abklären lassen und sich nicht etwas von einem Video einreden lassen.
Ausserdem ist ihr wichtig, dass den Menschen bewusst ist, dass jemand, der oder die unter Depressionen leidet, nicht nur depressiv ist, sondern dass da noch ein Mensch mit vielen Facetten dahinter ist. «Es gibt Tage, an denen geht es mir gut und es gibt Tage, da geht es mir weniger gut. Und dann wiederum gibt es Tage, da unternehme ich viel, und Tage, an denen ich es nicht einmal schaffe, aus dem Bett rauszukommen.»
Ausserdem sollte der Auslöser nicht als grundlos angesehen werden. Jede Person, die an Depressionen leidet, hat sie aus einem anderen Grund und dabei ist einer nicht weniger schlimm als der andere. Nicht hinter jeder Depression steckt ein krasser Schicksalsschlag. «Die Leute erwarten immer von einem, dass man ihnen eine todtraurige Geschichte auftischt, und sind dann fast schon entsetzt, wenn es nicht so ist.» Das finde sie sehr schlimm. Dieses Thema habe sie auch schon oft in der Therapie angesprochen und musste lernen, dass es ihr trotz «minderem» Schicksalsschlag schlecht gehen darf. Aber auch das Alter sei schon oft Thema gewesen. Dass sie bereits als junges Mädchen diagnostiziert wurde, sei vielen Leuten anscheinend gehörig gegen den Strich gegangen. «Was? In diesem Alter hat man doch noch keine Probleme! So jung und schon depressiv – das kann gar nicht sein.» Die Leute, die Menschen wie Chiara solche Aussagen an den Kopf werfen, können in diesem jungen Alter noch sehr viel beeinflussen und tragen dazu bei, dass sie sich ein Leben lang schlecht fühlen deswegen. Man solle es sich einfach zweimal überlegen, bevor man so eine Aussage mache, meint die 21-Jährige. «Gewisse Menschen denken zu viel nach und andere wiederum zu wenig.» Sie lacht. Und ihr Lachen ist echt.
* Der echte Name der Person ist der «Büwo»-Redaktion bekannt und wurde bewusst geändert.
Über «die ‹Büwo› spricht darüber»
So, jetzt wurde genug totgeschwiegen – von jetzt an wird darüber geschrieben! Von den verschiedensten Tabuthemen wollen wir in dieser Serie berichten. Damit wollen wir Menschen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden.
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