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Von analogen und digitalen Schneemännern

Der Schnee türmt sich in den Gassen, die Temperaturen fallen. Gleich tun es ihnen die besonders wintertauglichen Jammeris, deren Flachlatschen sie nicht sicher über vereiste Trottoirs tragen wollen.

Südostschweiz
20.12.17 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Gian Andrea Accola

Der Winter hat in Graubünden definitiv Einzug gehalten. Und mit ihm auch die Winterjammeris. Genau. Jene Heuchler, deren mit Schneeflocken, Schneemännchen und Herzaugen-Smileys verzierte Instagram-Stories und Einträge in Facebook-Gruppen die längst überfällige Ankunft der weissen Pracht auch noch dem Hinterletzten verkünden, der sein Fenster nur zum Lüften braucht.

Nur, um sich gleich im nächsten Atemzug darüber auszulassen, dass der Winter das Trottoir vor der Tür vereist hat. Die glatten Siechen also, denen ihre Glätte dann entgleitet, wenn es wirklich glatt wird.

Ausgeschlafen und undankbar

Die Schuldigen sind schnell gefunden: Verantwortlich sind natürlich die Stadt und die Gemeinden, deren Räumkommandos sich in aller Herrgottsfrühe durch die Häuserschluchten wuchten, um die gefallene Schneemenge für den Morgenverkehr aus dem Weg zu räumen. Jene, die ihren eigenen Schlaf den ausgeschlafenen Undankbaren opfern, die sich frühestens nach ihrer dritten Tasse Kaffee darüber enervieren, wenn sich der geräumte Schnee am Strassenrand vor der Haustür türmt. Oder auf dem Parkplatz vor ihrem mittlerweile eingemauerten, weil stehengelassenen Fahrzeug. Oder vor dem ebenso eingemauerten, weil ebenso stehengelassenen Drahtesel am Drahteselständer. Oder eben, wenn sie auf ihren ausgesprochen wintertauglichen Flachlatschen über die vereisten Trottoirs schlittern.

Schon schallen Jubelgesänge auf die Klimaerwärmung durch die sozialen Kanäle, wie das Hupkonzert südländischer Fussballfans zur klimawärmeren Jahreszeit durch die Gassen jeden Kaffs. Es hagelt Vorwürfe an die unfähige Stadt oder die unfähige Gemeinde, die ihre Trottoirs partout nicht mit Streusalz zu versehen scheinen. «Die Armen müssten halt einmal Überstunden einlegen», heisst es an einer Stelle. Auf die Stadt Chur werde auch in 20 Jahren noch kein Verlass sein an anderer. Man müsse halt Geld sparen, «fragt sich nur, wo», heisst es an dritter. «Wer bezahlt, wenn ich mir mein Bein breche?», wieder anderswo. Jeder will etwas wissen und meint, damit zu glänzen.

Analoge Schneemänner

Selbst eine Handvoll Salz zu streuen, bevor die zum aktuellen Kalendermonat durchaus zu erwartenden Temperaturen den eigenen Hauseingang mit dickem Eis zupanzern, kommt keinem in den Sinn. Sich eine Schaufel zu besorgen und selbst mitanzupacken, wie das in einer funktionierenden Gemeinschaft eigentlich gang und gäbe sein sollte, kommt keinem in den Sinn. Sich bei der Stadt oder der Gemeinde um Räumung zu erkundigen, kommt auch keinem in den Sinn.

Was erinnere ich mich gerne zurück an Zeiten, zu denen die Kinder der Nachbarschaft freudig zur – im Vergleich zur eigenen Körpergrösse – völlig überproportionalen Blechschaufel griffen, um den für analoge Schneemänner benötigten Rohstoff aus der Hauszufahrt zu beschaffen. Aber man benötigt für Instagram- und Facebook-Schneemänner halt keinen echten Schnee. So ist das.

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