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Die Welt ist nicht schwarz-weiss

Herr Berger hält es in seinem moraltriefenden Kommentar für «widerlich», das Durchschnittsalter der Verstorbenen in einer Diskussion um die Coronamassnahmen mit ins Feld zu führen, da man damit den Alten das Lebensrecht abspreche. Das ist Unsinn. Es darf in einer Diskussion darauf hingewiesen werden, dass es vor 2020 normal war, dass 86-jährige vorerkrankte Menschen an einem Infekt (Grippe, Norovirus, Lungenentzündung) versterben können. Nie war es einem «völlig egal», wie Herr Berger unterstellt, aber man hat es als normal, natürlich akzeptiert, auch bei Angehörigen. Immer wieder kam es bei Grippewellen zu einer Übersterblichkeit und auch zu einer sehr hohen Belastung der Spitäler. Wie oft wurden deshalb die letzten Jahre die Restaurants geschlossen? Wer hat je die Forderung gehört, die Skigebiete müssten dichtmachen, weil die Spitäler voll Grippekranken seien? Es ist ja auch nicht so, dass die Massnahmen ohne Folgen bleiben. Wir lesen in der gleichen Ausgabe von vollen Kinder- und Jugendpsychiatrien im Gefolge der Massnahmen, wir hören verzweifelte Kulturschaffende und Gastronomen, wir lesen von vermehrtem Alkoholkonsum und häuslicher Gewalt, weltweit gar von einer Zunahme der Kindersterblichkeit und Verarmung grosser Bevölkerungskreisen. Zu Beginn der Pandemie wurde als Ziel definiert, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Das ist ein sinnvolles Ziel, auf das auch heute noch die Massnahmen ausgerichtet werden sollen. Um jeden Preis (psychische Krankheiten bei Jugendlichen / häusliche Gewalt / Arbeitslosigkeit / Verlust der Existenzgrundlage von vielen) den Tod von 86-Jährigen zu vermeiden, ist kein sinnvolles Ziel. Die Menschen sterben am Virus, dieses «spricht Ihnen das Lebensrecht ab», um den moralischen Vorschlaghammer von Herrn Berger aufzugreifen, nicht die Massnahmenkritiker. Letztlich ist es die Natur, die jedem von uns das unendliche Lebensrecht abspricht, solange das Leben mit dem Tod endet.

Stephan Baumann
10.12.20 - 18:07 Uhr
Leserbrief
Ort:
Landquart
Zum Artikel:
Tageskommentar «Beiz oder Begräbnis?» Ausgabe vom 10. Dezember
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Stephan Baumann führt einige sehr gute Gedanken auf. Es ist zu befürchten, dass unsere Entscheidungsträger unter einem immensen Gruppendruck handeln. Die haben jedes sachliche, logische Denken schon lange verloren.