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Vom Wald ins Tal: Traditionelles Holzführen im Prättigau

Das Holzführen mit Pferden wurde im Prättigau Winter für Winter praktiziert – ein Zeitzeuge erinnert sich

Bündner Woche
05.03.25 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Kraftakt: Die Pferdeführer Walli-Sturzenegger und Walli-Fausch beim Beladen des Holzfuhrschlittens von Hand.
Kraftakt: Die Pferdeführer Walli-Sturzenegger und Walli-Fausch beim Beladen des Holzfuhrschlittens von Hand.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

von Andri Dürst

Es gibt Dinge, die heute fast unvorstellbar wirken, die aber bis vor wenigen Jahren noch gang und gäbe waren. So sortierten «Bahnpöstler» noch bis 2004 Briefe in Bahnpostwagen der SBB. Die letzte Krankenkasse ohne Computerinfrastruktur konnte sich sogar bis 2017 halten. Und auch in der Natur trug sich bis vor einigen Jahren noch Urchiges zu. So etwa im Prättigau, wo wohl bis in die Nullerjahre jeden Winter Holz mit Pferden aus dem Wald geholt wurde. Eine anstrengende und zuweilen auch gefährliche Arbeit, wie ein Archivbeitrag des Schweizer Fernsehens aus dem Jahre 1981 zeigt. Ein Zusammenschnitt des Fernsehbeitrags machte kürzlich auf Tiktok die Runde und fand dort grosse Beachtung. 

Ein genauerer Blick auf dieses schon fast vergessene Thema lohnt sich also. Und da die Tätigkeit des Holzführens mit Pferden noch nicht allzu lange in der Vergangenheit liegt, gibt es durchaus noch Leute, die darüber berichten können. Einer von ihnen ist Stefan Hartmann aus Grüsch. Er war nicht nur lange in der Holzbranche tätig, sondern war auch viele Jahre ein «Rösseler», beschäftigte sich also intensiv mit Pferden. Zusammen mit seiner Frau begrüsst er die «Büwo» zum Gespräch in der eigenen Wohnung. 

Ein harter Alltag im Wald 

«Ich habe schon während der Schulzeit beim Holzführen geholfen», erzählt er zu Beginn des Gesprächs. Das habe ihm übrigens viel mehr Freude bereitet als das Drücken der Schulbank, meint er und schmunzelt. Auch wenn die harte Arbeit aus heutiger Sicht sehr streng gewesen sein mag: Stefan Hartmann ist keiner, der jammert oder sich beschwert. Doch was genau machte man da im Gehölz?

Die Pferde waren die grosse Leidenschaft von Stefan Hartmann.
Die Pferde waren die grosse Leidenschaft von Stefan Hartmann.
Andri Dürst

«Los ging es oft schon um 4 Uhr morgens», blickt der bald 84-Jährige zurück. «Bis wir bei den Holzlagerplätzen waren, wurde es dann geschwind mal 7 Uhr, deswegen starteten wir jeweils so früh.» Zuerst galt es, die Pferde bereit zu machen. Am Geschirr, das sie auch für andere Tätigkeiten trugen, wurden die «Landen» angehängt. Das waren Latten, die am Schlitten, dem sogenannten «Bocker», befestigt waren. Weitere Utensilien sowie verschiedene Ketten – «Chöttine», wie man im Prättigauer Dialekt so schön sagt – wurden ebenfalls mitgenommen. Dann ging es los, ab in die Höhe. Beim Hochgehen pressten die Pferde mit den Schlitten auch gleich den Schnee, sodass die benutzten Waldwege etwas planiert wurden. «Wichtig war, nie ein junges Ross vorauszuschicken. Vorausgehen musste immer ein älteres», verrät der Prättigauer. Meist sei man zu zweit oder zu dritt zum Holzführen gegangen, ergänzt er.

Am Endpunkt angekommen, galt es, die im Sommer vorbereiteten Holzbeigen etwas vom Schnee zu befreien. Dann wurde geladen. Auch hier wussten die Holzer genau, wie sie vorgehen müssen – gut erklärt wird dieser Schritt im besagten SRF-Archivvideo. War die Ladung dann bereit, ging es wieder ins Tal. Und dies zum Teil in rasantem Tempo. Ob es denn nie brenzlig wurde? Stefan Hartmann winkt ab. «Ach nein, das ging immer gut. Wir haben auch immer gut aufgepasst und hatten zum Glück nie Unfälle zu beklagen.» Dass immer alles gelang, ist aus heutiger Sicht keine Selbstverständlichkeit. Schliesslich musste das Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier funktionieren. Und auch dem Gelände musste man sich immer mal wieder anpassen. «Je nachdem, in welchem Wald man war, war das ‹albig› etwas anders», sagt der Senior in einer Seelenruhe. Einmal habe er in Klosters beim Holzen geholfen. «Da mussten wir das Holz sogar über das Bahngleis ziehen. Deshalb hatten wir vorher jeweils beim Bahnhofsvorstand angerufen, um sicherzugehen, dass kein Zug kam.» 

Fortschritt der Technik

Ob das heute auch noch so möglich wäre? Wohl eher nicht. Doch Stefan Hartmann ist ohnehin niemand mehr bekannt, der heute noch im Winter mit Pferden Holz führt. «Das ging kontinuierlich zurück.» Bei ihm selber seien es aber noch keine 20 Jahre her, als er das letzte Mal diese Tätigkeit ausübte. Doch nun scheint es niemanden mehr im Prättigau zu geben, der oder die diesen gefährlichen Job macht. «Das Wissen geht deshalb auch verloren.» Für Stefan Hartmann keine Tragik, sondern einfach der Lauf der Dinge. Die Hauptgründe für das «Aussterben» sieht er in der zunehmenden Mechanisierung, mit der man das Holz heute deutlich einfacher aus dem Wald holen könne. Dank Helikoptern, Seilzügen und besser ausgebauten Forststrassen werden die Stämme heute ohne grossen menschlichen Kraftaufwand aus dem Wald geholt. Ein weiterer Grund sei auch die Klimaveränderung. «Früher hatten wir ganz andere Winter. Heute wäre das Holzführen im alten Stil nur schon wegen des fehlenden Schnees nicht mehr möglich.» 

Freiberger-Pferde-Fuhrwerk in Aktion: Diese Aufnahme aus dem Winter 1990 zeigt den Abtransport von Rundholz im Badwald südöstlich von Fideris.
Freiberger-Pferde-Fuhrwerk in Aktion: Diese Aufnahme aus dem Winter 1990 zeigt den Abtransport von Rundholz im Badwald südöstlich von Fideris.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Das war früher wohl unvorstellbar. «Ab und zu war der Tiefschnee so hoch, dass die Ränder der frisch gestapften Schneise auf die Rücken der Pferde fielen.» Besonders eindrücklich sei es im Lawinenwinter 1999 gewesen. «Dort wollte mich eigentlich ein Kollege aus St. Antönien unterstützen. Doch er konnte nicht zu mir kommen, da die Strasse wegen Lawinengefahr gesperrt war.» Zwar nicht unbedingt schneereich, dafür bitterkalt sei der Winter 1956 gewesen. «Den ganzen Februar hindurch hatten wir hier Temperaturen von Minus 33 bis Minus 35 Grad.» 

Ein tierischer Auftritt in Paris

Stefan Hartmann wüsste noch viele Geschichten zu erzählen. Schliesslich holzte er nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer. Doch während der warmen Jahreszeit hätte man schon auf modernere Gerätschaften setzen können, erklärt er. «Zwar war ich auch im Sommer meist im Prättigau tätig, aber ich war auch schon im Münstertal, im Engadin oder in Obersaxen zum Holzen.» 

Noch immer da: Hinter dem Stall stehen die beiden Transportschlitten noch immer.
Noch immer da: Hinter dem Stall stehen die beiden Transportschlitten noch immer.
Andri Dürst

Auch wenn die Arbeit im Wald viel Platz in seinem Leben einnahm: Das Herz des bald 84-Jährigen schlägt vor allem für die Pferde. Dies wird schnell klar, als er das Büro seiner Wohnung zeigt: An der Wand hängen zahlreiche Erinnerungsstücke. Anschliessend zeigt Stefan Hartmann seinen ehemaligen Stall neben dem Haus, wo ebenfalls viele Auszeichnungen hängen. «Ich habe sehr viele Freizeitprüfungen im Holzrücken absolviert.» Seine Wettkampfkarriere habe ihn sogar mal bis nach Paris geführt. Was ihn an Pferden so fasziniert hat? Eine ausführliche Erklärung hat er dazu nicht. «Sie wachsen einem einfach ans Herz.» Zwar sind im Stall mittlerweile keine Tiere mehr zu sehen – der Prättigauer musste vor wenigen Jahren die Haltung aufgeben. Doch interessant ist der Augenschein vor Ort dennoch: Denn hinter dem Stall stehen tatsächlich noch die beiden metallenen Schlitten, mit denen er früher Winter für Winter Holz geführt hat. «Die habe ich extra herstellen lassen. Sie lösten Anfang der 90er-Jahre unsere alten Holzschlitten ab, die übrigens noch viel schwerer waren.» Er kennt noch jedes Detail der Konstruktionen und erklärt, was wie eingehängt werden musste. Das Wissen über diese alte Tätigkeit ist also noch voll vorhanden. Doch wie lange noch?

Schweres Gerät: Mit Hammer und starken Ketten bereiteten die Holzer den Transport der Stämme vor.
Schweres Gerät: Mit Hammer und starken Ketten bereiteten die Holzer den Transport der Stämme vor.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv
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