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Von Bedarf und Bedürfnissen in Waltensburg/Vuorz

Rund um die Uhr einkaufen: Ein 24/7 Laden im Bergdorf – zum Einkaufen und zur Post in Waltensburg/Vuorz.

Bündner Woche
06.07.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Cindy Ziegler

Ein kurzer Blick in den Kühlschrank. Gähnende Leere. Ein Blick auf die Uhr. Es ist schon spät. Zu spät. Der Laden hat geschlossen. Ein kurzer Blick ins Büro. Ein voller Schreibtisch. Ein Blick auf das Paket. Es ist schon spät. Zu spät. Das Päckchen müsste morgen auf die Post. Szenarien wie dieses spielen sich in vielen Haushalten wohl tagtäglich ab. Es sind Szenarien, die in einem Bergdorf noch mal eine andere Bedeutung haben. Aber auch dort geht es um Bedarfe und Bedürfnisse.

Es ist Dienstagmorgen in Waltersburg/Vuorz in der Surselva. Im Dorfladen herrscht reger Betrieb. Die Kassiererin scannt den Einkauf einer älteren Dame. Neben dem Piepsen des Scanners erfüllt das Gespräch der beiden den kleinen Laden. Durch die Regale mit Dingen für den täglichen Bedarf dringen romanische Wortfetzen. Sara Hoch, Geschäftsführerin der Läden in Waltensburg/Vuorz und Andiast (Genossenschaft «Associaziun da Consum Andiast»), und Thomas Simeon, Leiter Postgebiet bei der Schweizerischen Post, stehen neben dem Eingang und unterhalten sich ebenfalls. Sie inspizieren das neue Postmodul im Laden. Ein besonderes mit Rollladen. In einer halben Stunde nämlich schliesst der Dorfladen – oder zumindest das Postmodul. Denn im Laden kann seit Kurzem weiterhin eingekauft werden. 24 Stunden am Tag. Sieben Tage die Woche. Und das in einem Dorf mit weniger als 400 Einwohnenden.

Kurz vor dem Aus gestanden

«Wir standen mit den Dorfläden in Waltensburg und Andiast kurz vor dem Aus. Es wäre verantwortungslos gewesen, hätten wir weitergemacht, wie bisher. Es sind einfach zu viele Herausforderungen und zu viele Kosten», sagt Sara Hoch ernst. Es fällt ihr nicht leicht, das auszusprechen. Und doch tut sie es. Weil es ihr wichtig ist, dass die Läden überleben können. Und so machte sie sich Gedanken. Überlegte hin und her. Und kam auf die Idee, dass der Laden 24/7 geöffnet sein muss. Morgens bedient, danach unbedient. So, dass alle hier einkaufen können, die wollen.

Zwei in einem: In Waltensburg/Vuorz betreibt die Post eine Partnerfiliale im Dorfladen. Bild Cindy Ziegler
Zwei in einem: In Waltensburg/Vuorz betreibt die Post eine Partnerfiliale im Dorfladen. Bild Cindy Ziegler

Seit einigen Jahren besteht zwischen dem Laden in Waltensburg und der Schweizerischen Post eine Filialpartnerschaft. Kundinnen und Kunden können ihre Postgeschäfte im Dorfladen erledigen. Das ist nicht nur für sie wichtig, sondern auch ein wichtiges Standbein für den Dorfladen. Und so trat Sara Hoch mit ihrem Anliegen denn auch an die Post. Aus Sicherheitsgründen braucht der Dorfladen ein abschliessbares Postmodul. «Wir kamen ein bisschen ins Schwitzen, als uns Sara sagte, dass die Zeit drängt», meint Thomas Simeon und schmunzelt. Und so kommt es, dass das Postmodul im Bündner Bergdorf das einzige seiner Art ist. Ein Prototyp, dem wohl noch ein paar folgen werden.

Wie legt man die Öffnungszeiten fest, damit möglichst viele Kundinnen und Kunden kommen können, es aber gleichzeitig finanziell aufgeht? Dazu die Digitalisierung als Treiberin. Der Dorfladen und die Post kämpfen in Waltensburg/Vuorz mit denselben Schwierigkeiten. Eine schwierige Ausgangslage. Und trotzdem. «Ein Laden wie dieser hier ist für ein Dorf sehr wichtig», sagt Sara Hoch. Wenn man durch den Ort spaziere, dann sehe man überall angeschrieben, was es nicht mehr gibt. Läden. Restaurants. Eines gibt es zwar noch. Aber das gehört zu einem Hotel, das ausserhalb liegt. «Und so kommt man hier zu uns zum Einkaufen, zum Reden, für Austausch.» Umso wichtiger sei es deshalb gewesen, dass auch beim neuen Konzept der Laden zu gewissen Zeiten bedient ist. «Der Laden erfüllt auch eine wichtige Funktion als Begegnungsort», so die Geschäftsführerin.

Nicht weniger, nur anders

Auch bei der Post merkt man gesellschaftliche Veränderungen. «Das Angebot wird deshalb aber nicht weniger, nur anders», stellt Thomas Simeon sofort klar. Er spricht vom Auftrag, den die Grundversorgung definiert. Und er weist darauf hin, dass der Bedarf nach physischen Postdienstleistungen, wie Einzahlungen und das Versenden von Briefen immer weniger wird.

An der Kasse packt mittlerweile ein anderer Kunde seine Einkäufe zusammen. Über die Schulter ruft er einen Abschiedsgruss, während eine junge Frau das Kühlregal ansteuert. «Wir haben verschiedene Kundinnen und Kunden bei uns im Laden. Die Einheimischen, die Zweitheimischen und Ausflüglerinnen und Ausflügler», erklärt Sara Hoch. Kundinnen und Kunden, die verschiedene Bedürfnisse hätten. Im letzten Sommer versuchten Sara Hoch und der Vorstand der Genossenschaft, diese mittels einer Umfrage zu erfassen. Eines eint alle Gruppen. Der Wunsch nach regionalen Produkten. Bei den Öffnungszeiten hingegen habe es alles gegeben. «Da sind wir mit 24/7 ja jetzt gar nicht so schlecht», sagt Sara Hoch.

Seit Mai ist der Laden offiziell nie zu. Die Rückmeldungen seien bisher durchweg positiv. Ob positiv bald auch die Zahlen sein werden, kann die Geschäftsführerin noch nicht abschätzen. Aber sie ist optimistisch. Im Mai konnte der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr gehalten werden. Etwas, was man in den Monaten zuvor nicht konnte. Zudem sei ersichtlich, dass Menschen im Laden einkaufen, die das bis anhin nicht taten – oder es nicht konnten. Und, dass man an Feiertagen, Sonntagen und an den Abenden Geld einnehme.

«Viele kommen bewusst hierher, um sich auszutauschen.»
Sara Hoch, Geschäftsführerin

Und wie funktioniert denn das nun mit 24/7? Mit dem Rollladen des Postmoduls schliesst sich auch die Tür zum Laden. Dann ist der Zugang über eine App oder eine Zugangskarte möglich. Die Kasse wird umgedreht und die Oberfläche für den Self-Checkout eingerichtet. Dazu wird alles videoüberwacht. Zur Sicherheit. Ob das die Rettung des Dorfladens und der Filialpartnerschaft mit der Post ist, wird sich zeigen. Sicher ist, dass der Laden Bedarfe und Bedürfnisse stillt. Abends, am Sonntag und an Feiertagen zum Beispiel jenes nach einem Znacht. Unter der Woche morgens dasjenige nach der Abgabe des Pakets oder einem Gespräch. «Viele kommen bewusst hierher, um sich auszutauschen. Und vielleicht kaufen sie auch noch etwas», sagt Sara Hoch mit einem Augenzwinkern.

Das Postnetz in Graubünden

Das Postnetz in Graubünden ist weitläufig wie der Kanton. Insgesamt 636 gelbe Briefeinwürfe gibt es. Und insgesamt 317 sogenannte Zugangspunkte. Übrigens genau so viele wie Orte mit Postleitzahlen. Zufall? Wie dem auch sei. 31 davon sind eigenbetriebende Postfilialen, 92 Filialen mit Partnern, so wie im Dorfladen in Waltensburg. In 161 Orten wird der Hausservice angeboten. Dazu kommen noch 3 Geschäftskundenstellen, 6 Paketautomaten und 24 Servicepunkte.

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