Motivation, die ansteckt: Das treibt die erste studierte Jodlerin aus Graubünden an
Andrea Küttel ist die erste studierte Jodlerin aus Graubünden. Die Lust am Jodeln gibt sie auch anderen weiter, unter anderem im Rahmen von Kursen des Bündner Jodelverbands.
Andrea Küttel ist die erste studierte Jodlerin aus Graubünden. Die Lust am Jodeln gibt sie auch anderen weiter, unter anderem im Rahmen von Kursen des Bündner Jodelverbands.
Von Andri Dürst
An was denken Sie, wenn Sie das Wort «Jodel» hören? Vielleicht an Männer mit schwarzen Hüten und blauen Sennenkutten, oder an Frauen in traditionellen Trachten mit «Hübli» auf dem Kopf? Vielleicht aber auch an die intensiven Klänge, die durch die vielen kräftigen Singstimmen ertönen? Wohl kaum in Verbindung bringen Sie das Jodeln aber mit einem Studiengang. Den gibt es aber tatsächlich, nämlich an der Hochschule Luzern. Andrea Küttel ist die erste Bündnerin, die diesen Bachelorstudiengang absolviert hat. Nun ist sie auch noch frischgebackene Absolventin eines Masters; diesen hat sie in Musikpädagogik abgelegt.
Viele Orte, an denen sie sich wohlfühlt
Nun sei sie sehr viel unterwegs, meint die 28-Jährige im Online-Gespräch mit der «Büwo». Tatsächlich, sie meldet sich direkt aus dem fahrenden Zug. «Ich bin gerade unterwegs nach Sils im Engadin, wo wir mit unserem Volksmusikensemble Quarz einen Auftritt haben. Wir haben gerade eine neue CD herausgegeben und präsentieren die Lieder an verschiedenen Konzerten.» Ansonsten bewege sie sich oft zwischen den Städten Luzern, wo sie wohnt, Basel, bei ihrem Freund, und Chur, wo sie für den Bündner Jodlerverband Jodelkurse gibt. «Graubünden ist für mich noch immer ein wichtiger Ort. Wenn ich hierher reise, fühlt es sich wie ein Nachhausekommen an», so die Heimwehbündnerin. Seit ihrem zwölften Lebensjahr verbrachte sie ihre Kindheit und Jugendzeit in der Bündner Hauptstadt. Schon früh kam sie in Kontakt mit Volksmusik – beide Eltern sind in diesem Bereich tätig. Von klein auf hat sie auch selber gejodelt. «Während der Oberstufe und Anfang der Lehrzeit ging diese Leidenschaft etwas verloren. Jodeln galt in der Teeniezeit als uncool.» Doch gegen Ende ihrer Lehrzeit – sie lernte Pharmaassistentin in Chur – fand sie wieder den Weg zurück zum Jodeln. In ihrer Vertiefungsarbeit griff sie das Thema auf. «Ich wollte ab dann wieder verstärkt etwas mit Musik machen», blickt sie zurück. So entschloss sie sich, das damals neu geschaffene Hauptfach Jodeln im Volksmusik-Studiengang zu studieren.
Parallel dazu begann sie, Jodeln zu unterrichten. Aktuell ist sie unter anderem bei «jodel.ch», eine Jodelschule ihrer Lehrerin Nadja Räss, tätig. Und eben auch in Chur. Wie steht es denn hier im Kanton um das Interesse der Jungen am Jodeln? «Es gibt zwar andere Orte in der Schweiz, wo das Interesse der Jungen noch etwas ausgeprägter ist. Aber man muss auch bedenken, dass unser Kanton sehr weitläufig ist und die Anfahrtswege zu einem Kurs teilweise lange sein können.» Bei der Nachwuchsförderung werde aktuell aber recht gepusht.
Niederschwelliger Einstieg
Welche Anforderungen muss denn ein Jodel-Neuling mitbringen? Andrea Küttel grinst und meint: «Keine!» Wichtig sei, dass man einfach Freude habe, etwas Neues kennenzulernen. «Man kann noch so viele Techniken erlernen, aber all dies nützt einem nichts, wenn man keine Freude hat.» Doch was ist mit Leuten, die sich nicht getrauen, mit Singen anzufangen? Die Jodellehrerin entkräftet dieses Argument schnell. «Bereits wenn wir reden, haben wir eine gewisse Sprechmelodie. Dessen sind sich viele Leute nicht bewusst. Beim Singen ist diese Melodie einfach ausgeprägter.» Das Notenlesen sei übrigens auch nicht zwingend notwendig. «Es gibt viele Jodlerinnen und Jodler, die keine Noten lesen können – der Gesang funktioniert dennoch wunderbar.» Wichtig beim Jodeln sei der Wechsel zwischen Kopf- und Bruststimme. Dass man mit diesen beiden Registern «spielen» könne, würden viele nicht ahnen. Auch das Zusammenspiel von Frauen- und Männerstimmen sei immer wieder interessant.
«Das, was ich von Herzen gerne mache»
Ihre Motivation für das Unterrichten findet Andrea Küttel bei ihren Schülerinnen und Schülern, die wiederum eigene Motivation mitbringen. «Diese Gegenseitigkeit macht Freude», meint die junge Kursleiterin. Sie selber spürt beim Jodeln selber viele Emotionen: «Wenn ich jodeln darf, bin ich ganz ich. Ich habe das Gefühl, dass mein Charakter dann am besten zum Vorschein kommt. Jodeln ist das, was ich von Herzen gerne mache.» Gibt es ein Jodellied, das Andrea Küttel besonders gut gefällt? Sie überlegt ein wenig und meint, dass ihre Lieblingsrichtung der Naturjodel sei. «Die wortlosen Gesänge berühren mich sehr. Und ich finde es spannend, dass man auch ohne Worte, sondern nur mit dem Klang Menschen berühren kann.» Ein konkretes Lieblingslied habe sie nicht, aber die «Moutathaler Juuzer» lägen ihr besonders am Herzen. Übrigens gebe es erkennbare regionale Unterschiede zwischen den verschiedenen Jodel-Varianten. Ein «Zäuerli» aus dem Appenzellerland töne ganz anders als ein «Moutathaler Juuzer». «Es gibt sieben Hypothesen, wie Jodeln entstanden ist. Eine davon besagt, dass die Jodelmelodien die Landschaft und die Natur widerspiegeln. Im Toggenburg etwa haben die Gesänge viele Sprünge drin, was zum Beispiel die geografische Struktur der Churfirsten repräsentiert», erklärt die frischgebackene Masterabsolventin. Ob diese Entstehungsgeschichte wirklich stimmt, sei dahingestellt – eine interessante Theorie ist sie aber trotzdem.
Jodeln entwickelt sich aber auch heute noch weiter. Das soll es auch, findet Andrea Küttel. «Ich wünsche mir, dass das Jodeln weiterlebt. Es darf sich weiterentwickeln. Aber auch das traditionelle Jodeln soll bewahrt werden. Beides ist für mich wichtig.» Es gelte, die Wurzeln nicht zu vergessen. «Auch damit soll man sich beschäftigen», fordert die Jodlerin. Genau dies scheint auch der rote Faden in ihrem Leben zu sein: Sie geht mutig Neues an und vergisst dabei nicht die Wurzeln.
Kürzlich hat Andrea Küttel an der Stubete am See in Sils im Engadin gejodelt, wie in folgendem Video zu hören ist:
Informationen zu den Kursen des Bündner Jodlerverbands, bei denen Jugendliche und Studierende gratis teilnehmen können, gibt es hier.
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