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Leseratte Lina: eine Schülerin mit einer Leidenschaft, die immer seltener wird

Wenn Lesen kein Müssen, sondern Wollen ist: Die Fünftklässlerin Lina erzählt von ihrem Hobby als Leseratte.

Bündner Woche
17.05.25 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Linas Buchtipp an andere Jugendliche in ihrem Alter: Die Buchreihe «Rory Shy» oder «Mathe fürs Leben», ein Comic der mathematische Phänomene beschreibt.
Linas Buchtipp an andere Jugendliche in ihrem Alter: Die Buchreihe «Rory Shy» oder «Mathe fürs Leben», ein Comic der mathematische Phänomene beschreibt.
Bild: Lara Buchli

von Lara Buchli
 
«Gestern habe ich gerade das neuste Band von ‹Tom Gates› fertig gelesen und vorhin, als wir gewartet haben, habe ich mir gleich noch ein paar neue Bücher auf die Seite legen lassen», berichtet Lina und deutet in Richtung Eingang der Bibliothek Landquart. Die Elfjährige sitzt neben ihrer Mutter an einem Tisch. Um sie herum: Bücher. Überall, wo man hinschaut, erstrecken sich reihenweise Hefter, Hardcover und richtige Wälzer. Lina wirkt zu Beginn des Gesprächs noch ein wenig zurückhaltend und scheu. Doch als sie beginnt, über ihr Hobby zu sprechen, leuchten ihre Augen. Sie ist in der 5. Klasse und liebt es zu lesen. Egal wann und egal wo. 

Das Mindestkompetenzniveau nicht erreicht

Doch damit hat sie sich eine Beschäftigung ausgesucht, die mehr und mehr in Vergessenheit gerät. Immer weniger Kinder lesen. Aber auch deren Eltern lesen ihrem Nachwuchs immer seltener vor. Und so kommt es, dass die Kinder mit der Zeit immer schlechter lesen würden, wie es eine PISA-Studie von 2022 zeigt: Viele Jugendliche in der Schweiz würden Mühe mit dem Lesen haben und nicht das von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) definierte Mindestkompetenzniveau erreichen. Ausserdem würden auch immer weniger Jugendliche aus Freude lesen. Vorlesen könne dem entgegenwirken – es fördere die Sprachentwicklung, wecke Interesse am Lesen und stärke die Lesekompetenz (siehe Box am Schluss des Textes).

Anders ist die Landquarterin aufgewachsen, denn sie liest nicht erst seit gestern und vor allem nicht ungern, wie ihre Mutter Manuela Kohler erklärt. Angefangen habe sie schon im Kindergarten damit. «Lina konnte bereits sehr früh lesen. Eines Tages meinte sie zu mir: ‹Mami, i kann jetzt lesa.› Da habe ich mir nicht viel dabei gedacht und sie gebeten, mir aus einem Buch vorzulesen. Und als sie dann tatsächlich richtig vorgelesen hat, habe ich nicht schlecht gestaunt», fügt die Mutter hinzu und lacht. Woher das kommt, will die «Büwo»-Schreibende wissen und die Mutter zuckt bloss mit den Schultern. Ob eine Leidenschaft vererbbar sei, könne sie nicht mit Sicherheit sagen – aber vielleicht habe ihre Tochter sie schon früh beim Lesen beobachtet, überlegt Manuela Kohler. Sie selbst ist ebenfalls leidenschaftliche Leserin und verschlingt besonders gern Krimis. Wie sehr Lina sich für Sprache interessierte, zeigte sich bereits, als sie noch kleiner war: Tatsächlich hat sich Lina das Lesen nämlich selbst beigebracht. Mit ihrem Tiptoi-Bilderbuch und dem orangefarbenen Stift ausgerüstet liess sie sich die Buchstaben vorsagen und setzte sie nach und nach zusammen, erzählt ihre Mutter stolz. Danach griff Lina zu einfachen Kinderbüchern und später las sie dann auch Jugendromane.

Alles, nur kein Fantasy

«Am liebsten mag ich Buchserien wie ‹Rory Shy› oder ‹School of Talents›», fährt die Fünftklässlerin fort. «Hauptsache keine Fantasy-Geschichten. Ich mag reelle Handlungen lieber», stellt sie schnell klar. Interessant, das aus dem Mund einer Elfjährigen zu hören. Aber nicht weiter verwunderlich, wie Manuela Kohler erklärt. Die mehrfache Mutter ist nämlich Lehrerin und sieht in ihrer Klasse immer wieder Unterschiede bei den Kindern, wenn es ums Lesen geht. «Es gibt meistens zwei Gruppen von Lesern und Leserinnen», setzt sie an, «die einen lesen nur Fantasy und die anderen lieber reelle Geschichten. Es passiert nur sehr selten, dass jemand beides gleich gerne liest.» 

Für jemanden wie Lina spielt es dabei keine grosse Rolle, wo sie liest. «Wenn ich mit dem Zug unterwegs bin, habe ich immer ein Buch dabei. Und zu Hause kann ich eigentlich überall gut lesen. Am liebsten aber in meinem Sessel oder auf dem ‹Kutschi›», fügt die Fünftklässlerin an. Auch die Lautstärke habe dabei keinen Einfluss, findet sie und zuckt leicht mit den Schultern. Ihr Blick schweift im Raum umher und gleitet über die unzähligen Bücher, während sie weiter erzählt. «Eigentlich kann ich immer und überall lesen. Auch wenn andere Leute miteinander reden.» Dann wird ihr Blick plötzlich wieder fokussierter, als sie sagt: «Ausser beim Autofahren. Im Auto kann ich nicht lesen, weil dann wird mir schlecht.» Sie grinst verlegen, aber mit diesem Problem wird sie wohl nicht alleine sein.  

Zwei Bücherwürmer: Lina und ihre Mutter Manuela Kohler.
Zwei Bücherwürmer: Lina und ihre Mutter Manuela Kohler.
Bild: Lara Buchli

«Wenn ich eine Figur aus einem meiner gelesenen Bücher treffen könnte, wäre es wohl Franka aus ‹Die Schule der magischen Tiere›.» Sie legt den Kopf schräg und scheint kurz zu überlegen. «Oder Rory Shy», fügt sie hinzu und nickt zufrieden. Was würde sie gerne mit ihm unternehmen? «Detektivfälle lösen», kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. Und ihre Mutter lächelt. 

Bei jemandem, die so viel liest wie die Landquarterin, stapeln sich die Bücher schnell einmal. «Manchmal kaufe ich mir, zusammen mit meiner Mama, auch mal neue Bücher aber oft komme ich hier her und leihe eines aus.» Manuela Kohler ergänzt: «Wir sind bestimmt jede zweite Woche hier und holen neue Bücher ab. Das Tolle ist ausserdem, dass Lina auch mal neue Bücher vorschlagen darf, die dann hier in die Bibliothek bestellt werden. Die Bibliothekarinnen sind sehr offen, Vorschläge von den Jugendlichen anzunehmen, was wir wiederum mega schätzen!» 

Eintauchen in eine andere Welt

Hat es denn auch schon einmal ein Buch gegeben, welches besonders emotional war? Die Fünftklässlerin nickt. «Gelacht habe ich schon viel, aber ich bin auch einmal sehr traurig geworden», meint die Elfjährige. «Damals habe ich ein Buch begonnen zu lesen – ‹White Fox› hiess das, glaube ich – und musste nach ein paar Seiten aufhören, weil es mich so traurig gemacht hat.» 

Lina ist mit ihrem Hobby – dem Lesen – nicht alleine. In ihrem engsten Freundeskreis würden alle gerne lesen. «Zwei von ihnen lesen gerne fiktive Geschichten und die anderen reale.» Die Freundinnen würden untereinander auch Bücher austauschen und geben sich gegenseitig immer wieder mal Empfehlungen. 

Das Schönste am Lesen sei das Eintauchen in eine andere Welt, betont Lina und lächelt gedankenverloren. Aber welche das morgen oder übermorgen sein wird, bleibt ihr Geheimnis. 

Schweizer Vorlesetag

Der Schweizer Vorlesetag findet am  21. Mai statt. Das diesjährige Motto «Vorlesen macht stark» hebt hervor, welchen Beitrag Vorlesen zur sprachlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung leisten kann. Schulen, Familien, Bibliotheken und weitere Interessierte sind eingeladen, eigene Vorleseaktionen durchzuführen und diese auf der offiziellen Website anzumelden. Regelmässiges Vorlesen fördert nicht nur die Sprachkompetenz von Kindern, sondern weckt auch ihre Freude an Geschichten und am Lesen selbst. Gerade in einer zunehmend digitalen Welt ist es wichtig, Kindern den Zugang zur Sprache und zu Büchern frühzeitig und bewusst zu ermöglichen.

Mehr dazu unter: www.schweizervorlesetag.ch.

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