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Koch Fatmir Spescha: «Mir ist der Bezug zu den Produkten wichtig»

Fatmir Spescha hat Rezepte zur Kochchallenge «Graubünden kocht» beigesteuert – ein Gespräch über Heimat, Vorurteile und den Wechsel von der Spitzengastronomie ins Pflegeheim.

Bündner Woche
10.08.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Der Geschmack von Heimat: Spitzenkoch Fatmir Spescha kocht heute im Pflegeheim.
Der Geschmack von Heimat: Spitzenkoch Fatmir Spescha kocht heute im Pflegeheim.
Cindy Ziegler

von Cindy Ziegler

Fatmir Spescha kochte einst als Spitzenkoch in namhaften Restaurants in Deutschland und der Schweiz. Nun ist er Küchenchef des «Puntereis Center da sanadad» in Disentis, einem Pflegezentrum. Ein Perspektivenwechsel, der aber nicht zwingend einen solchen beim Kochen an sich verlangt. Der Koch begrüsst mit einem Lächeln, bei dem auch die Augen mitlachen. Stolz führt er durch die Küche, zeigt selbsthergestellte Salze, eingemachte, schwarze Nüsse oder Schnittlauchknospen und erklärt die Gastrogeräte. Und dann wechselt er in den Garten des Pflegeheims. Ein Highlight. Fatmir Spescha präsentiert die hauseigenen Hühner und Wachteln und den grossen Kräuter- und Gemüsegarten. In seinem Büro hängen Diplome und Auszeichnungen an den Wänden. Dazu eine Übersicht von Gewürzen aus aller Welt. Im Gespräch mit der «Bündner Woche» lobt er Regionalität und erzählt, was man von seinen Rezepten für «Graubünden kocht», einer Kochchallenge der «Somedia», erwarten kann.

Fatmir Spescha, was bedeutet für Sie Heimat?

Fatmir Spescha: Das ist eine gute Frage. Also man sagt ja nicht umsonst, dass Heimat da ist, wo man sich am wohlsten fühlt. Ich hatte das Glück, viele Heimaten zu haben. Schlussendlich ist Heimat für mich das, was man wiedererkennt.

Und wie schmeckt das?

Was soll ich sagen? Es ist das, was man schmeckt oder riecht, wenn man nach Hause kommt. Auch wenn die Form des Essens anders ist, der Geschmack ist immer erkennbar.

Wie wichtig ist Ihnen die lokale Wertschöpfung?

Wir kaufen alles, was wir können, aus der Region.

Brutal lokal also?

Ja genau. Besonders wichtig ist mir das beim Fleisch. Wir kaufen ganze Tiere und zerlegen sie im Haus. Für mich ist der Bezug zum Fleisch und zu den Produkten sehr wichtig. Deshalb gehe ich selbst auf die Landwirtschaftsbetriebe und schaue mir die Tiere an. Mich beruhigt es, zu wissen, wo die Produkte herkommen. Deshalb bin ich auch weiterhin auf der Suche nach Landwirtinnen und Landwirten aus der Region. In diesem Jahr habe ich Glück gehabt und konnte zwei Tonnen Kartoffeln aus der Region vorbestellen. Von einem Hof, zwei Dörfer weiter. Darüber hinaus haben wir einen grossen Garten, den wir nächstes Jahr vielleicht noch erweitern. Auch nutzen wir die Eier von unseren eigenen Hühnern und Wachteln. Wir haben pro Tag 50 Bewohnende plus je nachdem 20 bis 30 Personen, die à la carte essen. Mein Ziel ist, dass wir nur mit Selbstversorgung im Schnitt ein bis zwei Monate auskommen könnten. Natürlich übers Jahr verteilt. Sie sehen also, Regionalität bedeutet für mich sehr, sehr viel.

Die Eier stammen von den eigenen Hühnern.
Die Eier stammen von den eigenen Hühnern.

Sie kochen in einem Pflegeheim und nicht in einer Sterneküche. Was macht den Reiz aus?

Am Anfang war es für mich schwer, mich anzupassen. Ich kam von der gehobenen Gastronomie und landete in einem Pflegeheim, wo man wirklich alles anders kochen muss. Für mich war das Neuland. Aber ich habe hier Zeit gewonnen. Und die Aufgabe, den betagten Menschen etwas zurückzugeben. Für viele Bewohnende ist das Essen das Highlight des Tages. Das hat mich immer motiviert, weiterzumachen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass man sich auch hier entwickeln kann. Man hat Freiräume. Heute kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war, zu wechseln, weil ich nun mehr Zeit für meine Familie habe. Aber auch, weil ich mich hier kulinarisch austoben kann.

Und was sagen Sie zum Vorurteil, dass es in Pflegeheim-Küchen fad schmeckt?

Das hat sich tatsächlich in viele Köpfe eingebrannt: Altersheim gleich weich und fad. Aber die Zeiten haben sich geändert und ich bin der Meinung, wir können sehr gut mithalten mit anderen Restaurants.

Und für die Bewohnenden bedeutet das Essen ja auch Heimat.

Das stimmt. Ich habe schon das Gefühl, dass die Bewohnerinnen und Bewohner es schätzen, dass wir regionale Produkte verkochen. Ich werde oft gefragt, von wo das Fleisch kommt. Häufig kennen die Fragenden dann sogar den Betrieb. Das ist doch toll.

Wie sind Sie ursprünglich zum Kochen gekommen?

Ich glaube, da ist meine Mutter schuld. Sie hat uns ab und zu mal allein gelassen. Und dann hat sie immer gesagt: «Macht keinen Mist». Und so habe ich versucht, zu kochen. Für mich war schnell klar, dass ich Koch werden möchte. Auch wenn mir zu Beginn vieles nicht gelungen ist. Aber ich habe nie aufgegeben.

Warum war ihr Wunsch so gross, Koch zu werden?

Für mich war und ist es wichtig, Aromen zu verbinden. Am Anfang wusste ich gar nicht, wie das geht. Klar, ich wusste, wie ein Produkt, zum Beispiel ein Lauch, allein schmeckt. Aber wenn man den verbindet, zum Beispiel mit ein bisschen Kümmel oder mit einem anderen Gewürz, dann hat man sofort einen anderen Geschmack. Und das hat mich schon immer fasziniert.

Gemüse aus dem eigenen Garten.
Gemüse aus dem eigenen Garten.

Welches ist Ihr Lieblingsgericht?

Ich esse grundsätzlich alles. Alles, was ich koche, esse ich auch gerne. Aber das, was meine Frau kocht, schmeckt noch ein bisschen besser (lacht). Zu Hause kocht meistens sie. Ich koche nur, wenn es schnell gehen muss. Dann mache ich den Kühlschrank auf und schaue, was rumliegt. Aber meine Frau macht sehr gute Pizzoccheri mit Gehacktem.

Wie sind Sie zur Bündner Küche gekommen? Durch Ihre Frau?

Zu Beginn war das Neuland für mich. Ich kam vor etwa 15 Jahren in die Schweiz, davor kochte ich in Deutschland. Maluns, zum Beispiel, war für mich ein Fremdwort. Aber mit der Zeit ist mir diese Küche ans Herz gewachsen. Und ja, vielleicht liegt das auch daran, dass meine Frau Bündnerin ist. Ich kenne wirklich viele verschiedene Küchen, aber die Bündner ist eine meiner liebsten. Wenn man ein bisschen aufpasst und das Essen auch fürs Auge schön anrichtet, dann kann sie sehr gut mithalten.

Für die Aktion «Graubünden kocht» haben Sie mehrere Rezepte beigesteuert. Fiel Ihnen die Auswahl schwer?

Nein, überhaupt nicht. Ich koche ja immer regional. Übrigens habe ich sogar ein Buch geschrieben mit Bündner Rezepten. Darum war das für mich nicht so schwer. Ich glaube, in 20 Minuten hatte ich die Rezepte zusammen.

Warum wurden es diese Gerichte?

Weil ich denke, dass sie alle etwas Besonderes sind. Ich wollte das Altbekannte in eine andere Form bringen. Ich nahm Wörter wie Capuns oder Maluns. Und habe daraus neue Gerichte kreiert. Meine grössten Kritikerinnen und Kritiker sind übrigens meine Köchinnen und Köche. Ich denke, es ist wichtig, dass das Essen auch etwas fürs Auge ist. Und das ist im Pflegeheim, beispielsweise bei püriertem Essen, gar nicht immer so einfach.

Auf was können Sie beim Kochen nicht verzichten?

Hmm. Ich kann sagen, worauf ich gerne verzichte. Ich würze nie mit Fertigmischungen wie Maggi oder gekaufter Bouillon. Dafür bin ich nicht Koch geworden.

Und was ist Ihnen in Ihrer Küche besonders wichtig?

Dass man die Lebensmittel fühlt. Dass man mit den Händen arbeitet. Heute gibt es für alles Maschinen. Vielleicht bin ich da ein bisschen altmodisch, aber ich fühle mich mit meinen eigenen Händen immer noch am wohlsten. Das ist mir auch für unsere Lernenden wichtig. Sie sollen wissen, wie man richtig kocht. Und dabei soll auch der Lernort im Pflegeheim kein Nachteil sein. Auch deshalb fliegt einer unserer Lernenden bald für einen Monat nach New York, um dort in einer Küche zu arbeiten. Ich will, dass ihnen alle Türen offen stehen.

Hier gibt es weitere Infos zur Kochchallenge «Graubünden kocht» und zum Wettbewerb sowie Zugang zu Rezepten, Tipps und Tricks.

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