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Fit im Kopf: So haltet ihr euer Gedächtnis jung

Die Bündner Neurologin Maria Ligon erklärt, wie unser Gedächtnis funktioniert, warum es mit dem Alter nachlässt – und was jeder tun kann, um das Gehirn fit und die Erinnerung stark zu halten.

Bündner Woche
19.10.25 - 12:00 Uhr
Leben & Freizeit
Maria Ligon erklärt und veranschaulicht, wie sich das Gehirn einer älteren Person (rechts) von dem einer jüngeren unterscheidet.
Maria Ligon erklärt und veranschaulicht, wie sich das Gehirn einer älteren Person (rechts) von dem einer jüngeren unterscheidet.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

Von Maria-Catharina Lechmann

Der Weg durch das Kantonsspital Graubünden bis zum Neurologietrakt ist ein ziemliches Labyrinth. Ärztin Maria Ligon wartet lächelnd vor ihrem Sprechzimmer: «Haben Sie den Weg gut gefunden?», fragt sie die «Büwo»-Schreibende. «Es haben uns schon einige Neurologinnen und Neurologen aus anderen Spitälern besucht, welche scherzhaft meinten, der Weg in den Neurologietrakt sei ein Gedächtnistraining für sich», hängt sie an und lacht. Weitere gedächtnisstärkende Massnahmen sind in der Box am Ende dieses Artikels zu finden. 

Was ist denn überhaupt das Gedächtnis? Und wieso soll man dieses stärken? «Gedächtnis ist eher ein Überbegriff für mehrere Funktionen und Prozesse, mit denen unser Gehirn Informationen speichert, vernetzt und abruft», erklärt Maria Ligon. Die Art der Information kann ganz unterschiedlich sein, zum Beispiel gelernte Fakten oder Konzepte, Selbsterlebtes, Bewegungsabläufe oder Erfahrungen.

Gedächtnisprobleme: Wie und was?

Doch das Gedächtnis kann beschädigt werden oder Funktionseinbussen erleiden. Dafür gibt es viele Ursachen, welche zu Gedächtnisverlust oder anderen Problemen mit dem Gedächtnis führen können. Was bedeutet ein Gedächtnisverlust aus neurologischer Sicht? Maria Ligon erklärt: «Das ist die Unfähigkeit, Informationen abzurufen, die in der Vorgeschichte gebildet wurden. Dabei kann sowohl die kürzere als auch die längere Vorgeschichte betroffen sein.» Es gäbe unheimlich viele Formen und Ausprägungsgrade von Gedächtnisdefiziten. «An was viele Menschen bei Gedächtnisverlust denken, sind sicher die Demenzerkrankungen. Das ist ein Beispiel für einen schleichenden, fortschreitenden Vorgang, bei dem neben dem Gedächtnis auch andere Hirnfunktionen betroffen sind. Dann gibt es aber auch ganz plötzliche Probleme bei der Gedächtnisbildung oder dem Gedächtnisabruf», führt die Ärztin aus. Für solche akuten Probleme gibt es mehrere Ursachen, wie Krankheitsbilder, zum Beispiel sogenannte «transiente globale Amnesien». Eine vorübergehende Gedächtnisstörung, bei der Betroffene für wenige Stunden keine neuen Informationen mehr speichern können. Die Symptome bilden sich weitgehend zurück, können akut, aber besorgniserregend sein. «Es gibt viele Erkrankungen des Gehirns: Schlaganfälle, Einblutungen, Verletzungen, Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, degenerative Erkrankungen, Tumore oder Operationen ...», erklärt Maria Ligon. Diese können verursachen, dass das Gedächtnis nicht mehr so gut funktioniert. Zudem trägt das Altern seinen Beitrag zu einer verringerten Gedächtnisleistung bei. Wie häufig Gedächtnisverluste auftreten würden, könne man jedoch nicht ganz so einfach beantworten, meint die Ärztin. «Man hat nicht entweder ein Gedächtnis oder kein Gedächtnis. Kein Schwarz oder Weiss. Es gibt viele Schattierungen dazwischen.»

Ärztin Maria Ligon in ihrem Sprechzimmer.
Ärztin Maria Ligon in ihrem Sprechzimmer.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

«Unbedingt zu erwähnen sind Einflüsse, welche die Gedächtnisleistung verändern können, auch ohne dass ein eigentliches Problem mit den Gedächtnisstrukturen vorliegt», schildert sie. «Das kennen wir alle selbst. Schlafmangel. Nervosität. Fehlendes Interesse; unser Gedächtnis arbeitet sehr pragmatisch. Da gibt es immer eine Gewichtung vom emotionalen System. Wenn uns etwas nicht die Bohne interessiert, geht das viel schwerer ins Langzeitgedächtnis.» Zu alltäglichen Einflüssen gehören auch Stimmungen. In einer Depression kann es für Betroffene schwieriger sein, sich zu konzentrieren oder Informationen zu verarbeiten. Auch unter Angst können Menschen schlechter lernen. «Es gibt also viele negative Einflüsse, die verhindern können, das volle kognitive Potenzial auszuleben», erklärt Maria Ligon. «Daher gilt es, immer ein bisschen breiter zu schauen, wenn man das Gefühl hat, dass das Gedächtnis leidet.» 

Welche Erinnerungen gibt es?

Es gibt unterschiedliche Arten von Erinnerungen, die in unterschiedlichen Arealen und Systemen gespeichert werden. Dazu gehört zum Beispiel das Faktenwissen, welches unter anderem Lehrstoff aus der Schule speichert. Dann gibt es die autobiografischen Erinnerungen, die Informationen über das eigene Leben beinhalten. Zentral für diese sogenannten episodischen und semantischen Gedächtnisinhalte, vor allem deren Abspeicherung im Langzeitgedächtnis, ist eine Struktur namens Hippocampus im Schläfenlappen des Gehirns. «Es gibt auch viele andere Erinnerungen, die auf anderen Wegen ins Gehirn reinkommen und in ganz anderen Systemen abgespeichert werden. Dazu gehören Bewegungsabläufe. Wird beispielsweise der Bewegungsablauf vom Fahrradfahren verinnerlicht, weiss man irgendwann automatisch, wie es geht. Dann muss man nicht wieder aufs Neue überlegen, wo der linke Fuss hinmuss. So auch beim Erlernen eines Musikinstruments», erzählt Maria Ligon. Seien diese Regelkreise intakt, könne man sie abrufen, ohne bewusst darüber nachzudenken. Auch Gerüche werden über ganz spezielle Areale und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil unbewusst aufgenommen und verarbeitet, eng gekoppelt mit dem emotionalen Gedächtnis. «Wenn Sie mich fragen würden, wie es bei der Oma in der Küche gerochen hat, könnte ich das vielleicht nicht so einfach beschreiben. Aber wenn mir der Geruch in die Nase steigt, würde es wahrscheinlich etwas auslösen», fügt sie an. 

Maria Ligon zeigt auf die Lokalisation des Hippocampus in der Tiefe des Schläfenlappens.
Maria Ligon zeigt auf die Lokalisation des Hippocampus in der Tiefe des Schläfenlappens.
Bild: Maria-Catharina Lechmann

Warum verliert man also Erinnerungen aus dem eigenen Leben oder Informationen, beispielsweise Gelerntes? Um diese überhaupt erst zu speichern, in das Langzeitgedächtnis zu überführen und abrufbar zu machen, wird ein Netzwerk an Nervenzellen mit Kernstück Hippocampus benötigt. Nehmen diese Strukturen einen Schaden, durch zuvor erklärte Ursachen, kann sowohl das Speichern neuer Erinnerungen als auch das Abrufen von bereits existenten gestört werden. Hirnareale, wie diejenigen für das Gedächtnis, sind stark spezialisiert. Dortige Probleme können nicht einfach von anderen Strukturen ausgeglichen werden. Handelt es sich um eine vorübergehende Störung, kann das Gedächtnis für Neues nach Erholung wieder funktionieren. Bei bleibenden Schäden unterscheidet man zwischen Speicher- und Abrufproblemen. «Darauf basierend werden spezielle Trainings entwickelt, um Kompensationsstrategien zu erlernen», fährt Maria Ligon fort. 

Das Gehirn trainieren

Braucht man gewisse Muskeln selten, werden diese abgebaut. So funktioniert es auch bei den Synapsen. Diejenigen Verbindungen, die im Gehirn oft in Gebrauch sind, werden verstärkt, die kaum verwendeten Nervenverzweigungen werden abgebaut. Daher sollte man sein Gedächtnis stärken. «Gemäss dem letzten ‹Lancet Paper› von 2024 (medizinische Fachzeitschrift, Anm. d. Red.) gibt es 14 Massnahmen zur Verringerung des Demenzrisikos im Laufe des Lebens», erklärt Ärztin Maria Ligon. Würde man diese Massnahmen (siehe Box) berücksichtigen, könnte jede Person einen meist beträchtlichen Teil zur eigenen geistigen Gesundheit beitragen, heisst es im Paper. «Das öffentliche Bewusstsein für Demenzerkrankungen finde ich gut, da damit auch angesprochen werden kann, welche Massnahmen jeder und jede Einzelne treffen kann. Je mehr Menschen generell Bescheid wissen über die Erkrankung, desto eher werden Anzeichen bei Betroffenen erkannt. Das ist die Voraussetzung für frühzeitige Abklärungen und Therapien, was wiederum meist von Vorteil für den Verlauf ist», möchte Maria Ligon zum Schluss erwähnen. Und übrigens: In Zukunft wird die Abteilung für Neurologie leichter zu finden sein. Nach Fertigstellung des neuen Hauptgebäudes des Kantonsspitals zieht die Abteilung dorthin um.

Gedächtnisstärkende Massnahmen

Massnahmen zur Vorbeugung und Interventionsmöglichkeiten bei Demenz wurden systematisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass zahlreiche Faktoren einen positiven Einfluss haben und einige durchaus einfach umgesetzt werden können. Eine Übersichtsarbeit lieferte hierzu kürzlich die Fachzeitschrift «The Lancet»:

- Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren wie erhöhte Blutfette, erhöhter Blutdruck, Diabetes und deren optimale Einstellung
- nicht rauchen
- Alkoholkonsum einschränken
- ausreichend bewegen, sportliche Aktivitäten betreiben
- einen Helm tragen, Hirntraumata vermeiden
- körperlich und geistig aktiv bleiben, dabei sind mehrdimensionale Aktivitäten wie Tanzen oder ein Musikinstrument-Lernen besonders förderlich
- soziale Kontakte pflegen, Isolation vermeiden
- Hör- und Sehvermögen unterstützen
- wirksame Behandlung von Depressionen
- ein gesundes Gewicht halten, Übergewicht frühestmöglich behandeln
- Bildung, vor allem in den frühen Lebensphasen

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