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Frauenhaus Graubünden: Ein Schutzort für von Gewalt betroffene Frauen

Das Frauenhaus Graubünden bietet Hilfe und Unterstützung für Frauen, die von Gewalt betroffen sind – ein Gespräch über ein Thema, bei dem oft weggeschaut wird.

Bündner Woche
17.06.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Riccarda Hartmann

Jede vierte Frau in der Schweiz ist von Gewalt betroffen. Häusliche Gewalt, ein Thema in jedem Kanton, so auch in Graubünden. Viele Menschen sind davon betroffen, besonders Frauen. Und doch ist es ein gesellschaftliches Tabuthema. Gedanken wie, es ist nicht mein Problem oder die Frau kennt nichts anderes, und ein Schamgefühl oder Angst, die Betroffene davon abhalten können, Hilfe zu holen, führen dazu, dass oft weggeschaut wird. «Eigentlich sollte es so nicht sein, denn häusliche Gewalt ist ein Thema, das uns alle etwas angeht», meint Annemarie Grünig, die Leiterin des Frauenhauses Graubünden. Dieses Haus, ein Ort, an dem betroffene Frauen eben das finden, und bekommen, was sie brauchen. Hilfe, Unterstützung, Zuflucht.

Eine Anlauf- und Anrufstelle, die 24 Stunden besetzt ist und kostenlose Beratung anbietet. Niederschwellig und unkompliziert. «Frauen dürfen einfach zu uns kommen. Auch wenn sie nichts bei sich haben», sagt die Leiterin. Auch mit ihren Kindern, denn die sind oftmals auch betroffen. «Wenn wir eine Frau aufnehmen, treffen wir sie an einem externen Ort», erklärt Annemarie Grünig. Denn der Standort des Frauenhauses ist geheim. Zum Schutz der Frauen und Kinder dort.

Tag und Nacht für die Frauen da

Annemarie Grünig beschreibt das Leben im Frauenhaus als ein freies, sicheres, gewaltfreies Leben. Es sei vergleichbar mit einer Wohngemeinschaft. Man stehe miteinander auf – die einen früher, die anderen später –, man esse zusammen. Es gibt ein Tagteam, ein Nacht- und Wochenendteam. Ersteres besteht aus ausgebildeten Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen. Sie führen Gespräche. Es kann um eine Strafanzeige oder Spurensicherung im Spital gehen. Die rechtlichen Möglichkeiten thematisieren sie. Oder auch, wenn sich eine Frau dazu entscheidet, aus der Gewalt auszusteigen, unterstützen sie sie bei Angelegenheiten wie der Wohnungssuche. Während eines Aufenthalts werden alle möglichen Optionen durchgegangen, um die bestmögliche Lösung herauszuarbeiten. Das Nacht- und Wochenendteam gestaltet an den Abenden, an Samstagen und Sonntagen eine gemütliche Atmosphäre. Man macht Spiele miteinander, man tanzt, man singt. Was gerade eben ansteht und wo die Bedürfnisse liegen. Und so schauen sie, dass im Haus ein gutes Klima herrscht. Dass eine ruhige Insel geschaffen wird. Inmitten einer tosenden See.

Annemarie Grünig: «Niemand sollte Gewalt erfahren müssen.»
Annemarie Grünig: «Niemand sollte Gewalt erfahren müssen.»

So einfach es auch ist, von dem Angebot Gebrauch zu machen, umso schwerer kann es sein, diesen Schritt zu tun. Gewalterfahrungen sind oft verbunden mit Trauma und einer Handlungsunfähigkeit. Gerade bei psychischer Gewalt haben Frauen oft das Gefühl, dass sie an der ganzen Situation schuld sind. Neben psychischer und körperlicher Gewalt gibt es die soziale und ökonomische Gewalt, durch die eine Frau oftmals isoliert wird. Gewalt kann also auf mehreren Ebenen stattfinden. Die verschiedenen Formen greifen oft ineinander. Es ist ein fliessender Übergang von einer Form zur anderen. Für Annemarie Grünig ist etwas wichtig: «Wenn sich jemand offenbart, dann soll diese Person ernst genommen werden.»

Wenn man hört, dass etwas bei den Nachbarn nicht stimmt

Was kann man tun, wenn man häusliche Gewalt mitbekommt? Beispielsweise in der Nachbarwohnung? «Dort geht es einfach einmal darum, abzuholen», sagt die Leiterin des Frauenhauses. Damit sei gemeint, die Frau anzusprechen, wenn man sie alleine antrifft oder bei der Wohnung läuten, wenn man sich sicher sein kann, dass der Mann nicht da ist. Ansprechen, darauf hinweisen, dass man etwas mitbekommen hat und sie fragen, wie es ihr geht und ob sie Unterstützung braucht. Auch wenn sie Nein sagt und es für Aussenstehende offensichtlich ist. Denn die Frauen sind häufig eingeschüchtert und gelähmt, eingeschränkt in ihrer Handlungsfähigkeit. «Sie haben Angst und Angst lähmt. Der Mann könnte erfahren, wenn sie sich jemandem mitteilt», sagt Annemarie Grünig. Auch wenn sich die Frau einem nicht mitteilt, für sie ist es doch bereits eine kleine Hilfe, wenn sie weiss, dass da jemand ist, der nicht wegschaut. Jemand, der da ist. Eine Person, die ein offenes Ohr hat. Ansonsten könne man die Polizei verständigen, auch anonym. Wenn dann die Polizei kommt, ist es wichtig, dass die Frau weiss, dass die Möglichkeit für sie besteht, gleich mit der Polizei mitzugehen.

Für Gleichstellung in einer gewaltfreien Gesellschaft

«Es ist wichtig, dass es Frauen gibt, die sich durch den Streik gegen die Strukturen wehren. Die einstehen für Chancengleichheit», sagt Annemarie Grünig. Und das nicht nur auf dem Papier. Eine Chancengleichheit, die für alle gilt. Für Frauen, Männer, Non-Binäre. Für Menschen. «Es ist wichtig, dass man das sichtbar macht, auf die Strassen geht und sagt: Wir wollen eine gewaltfreie Gesellschaft und wir wollen eine Gleichstellung in der Gesellschaft mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten», sagt Annemarie Grünig. Einen direkten Zusammenhang mit dem Streik und einer Aufnahme im Frauenhaus sei nicht zu sehen, meint die Leiterin des Hauses. Aber es helfe dennoch, die Gesellschaft zu sensibilisieren. So wie es auch die nationale Kampagne gegen häusliche Gewalt gibt, wie zum Beispiel «16 Tage gegen Gewalt an Frauen».

«Niemand sollte Gewalt erfahren müssen und wenn eine Person welche erfährt, soll sie wissen, dass es ein Hilfsangebot in der Schweiz gibt. Es gibt Frauenhäuser. Es gibt Männerhäuser. Es gibt Schutzunterkünfte für Kinder. Schutzunterkünfte für Frauen mit Kindern», sagt Annemarie Grünig abschliessend.

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