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Ein biss(chen) Heimat: Traditionen aus dem Veltin

Zu Besuch bei der «Pizzoccherata» vom Traditionsverein «Gruppo Valtellinesi e Valchiavennaschi nei Grigioni».

Bündner Woche
05.06.23 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Die Pizzoccheri werden vor Ort frisch von Hand zubereitet.
Die Pizzoccheri werden vor Ort frisch von Hand zubereitet.
Chiara Schmed

von Chiara Schmed

«Salute!», ertönt es von überall her im Saal. Rund 50 Personen sitzen gemeinsam am Tisch und stossen fröhlich mit italienischem Rotwein an. Auf ihren Tellern liegt frisch aufgeschnittene Salami, Bresaola und Coppa – passend zum Wein. Ausgelassene Akkordeonmusik trägt ebenfalls zur guten Stimmung bei. In der Luft liegt ein wunderbarer Duft. Und irgendwie ist ein Hauch von Italien zu spüren. An diesem Sonntag befinden wir uns aber weder in der Toskana noch im Veltlin. Wir sind in einem Saal im Schloss Haldenstein. Es ist Sonntag, der letzte im Monat. Für den Verein «Gruppo Valtellinesi e Valchiavennaschi nei Grigioni» heisst das «Pizzoccherata». Gut 50 Personen haben an diesem sonnigen Tag den Weg ins Schloss Haldenstein gefunden. Unter anderem auch die Präsidentin des Vereins, Claudia Stangoni.

Sie nimmt einen Bissen von den italienischen Fleischspezialitäten und beginnt zu erzählen. «Unser Verein zählt etwa 110 Mitgliederinnen und Mitglieder. 40 Personen davon sind waschechte Veltlinerinnen und Veltliner.» Die übrigen Personen kämen aus dem restlichen Italien und Graubünden. Claudia Stangonis Familie stammt aus Sondrio. «Aufgewachsen bin ich aber hier in Graubünden», erzählt sie. Bereits als Kind sei sie bei den monatlichen «Pizzoccherate» dabei gewesen. «Mir ist wichtig, dass wir mit den gleichen Wurzeln uns austauschen und gemeinsam lachen können», erklärt die Präsidentin.

Neben dem Austauschen und Lachen macht den Leuten heute auch sichtlich das Essen Spass. Fast alle Fleischteller sind bereits leer. Der Appetit ist dennoch lange nicht gestillt. Aber keine Sorge, denn hinten in der Küche geht es eifrig zu und her. Seit neun Uhr morgens wird hier alles zubereitet. Nach dem «Fleischplättli» gibt es Pizzoccheri. Der Tag heisst ja nicht umsonst «Pizzoccherata». Die Pizzoccheri, welche vor ein paar Stunden mit viel Liebe von Hand zubereitet wurden, kochen jetzt in einem grossen Topf. Auf dem Gasherd. So, wie es sich in einer traditionellen italienischen Küche auch gehört.

Die Auswanderer wollten sich verbinden

Traditionell ist auch der Verein. Dieser besteht nun seit fast 50 Jahren. Der Verein «Gruppo Valtellinesi e Valchiavennaschi nei Grigioni» wurde an einem Sommerabend im Jahre 1974 gegründet. 18 Auswanderer trafen sich jeden Mittwochabend, um gemeinsam Karten zu spielen. Eines Abends, vor 49 Jahren, beschlossen sie, einen Verein unter Veltliner und Valchiavenner zu gründen. Damals wollte man mit den italienischen Behörden kommunizieren. Und die Auswanderer wollten sich verbinden. Sie wollten Geschichten, Bräuche und Tugenden aus ihren Heimattälern weitergeben und weitererzählen. «Es war eine sentimentale Beziehung unter den Auswanderern. Sie wollten freundschaftlich verbunden bleiben», berichtet Claudia Stangoni.

 

Die Pizzoccheri samt Wirz, Mangold und den Kartoffeln kochen im Wasser.
Die Pizzoccheri samt Wirz, Mangold und den Kartoffeln kochen im Wasser.
Präsidentin Claudia Stangoni schöpft die noch heissen Pizzoccheri. Raffaele Pelizzatti serviert diese den hungrigen Gästen.
Präsidentin Claudia Stangoni schöpft die noch heissen Pizzoccheri. Raffaele Pelizzatti serviert diese den hungrigen Gästen.

Zu diesen 18 Gründervätern gehört auch Alberto Pelizzatti. Der 77-Jährige steht heute noch bei jeder «Pizzoccherata» in der Küche. Aber nicht alleine. Seine Familie hilft fleissig mit. Seine Frau, Theresa Pelizzatti, rührt gerade mit einer grossen Holzkelle die kochenden Pizzoccheri. Am anderen Herd steht ihr Sohn, Enrico Pelizzatti, der zugleich Vizepräsident des Vereins ist. Nachdem die Pizzoccheri samt dem Wirz, dem Mangold und den Kartoffeln fertig gekocht sind, werden sie mit reichlich Butter und Käse übergossen. Präsidentin Claudia Stangoni schöpft die Portionen. Ihr Ehemann, Radek Dandar, und Alberto Pelizzattis Enkel, Raffaele Pelizzatti, servieren die Pizzoccheri. Der Käse zieht sich in die Länge – ein gutes Zeichen. Der Appetit wächst. Die Gäste, die noch immer fröhlich miteinander plaudern, dürfen sich freuen. Hungrig muss hier nämlich keiner das Schloss Haldenstein verlassen. Bis zu zweimal werden die Portionen nachgeschöpft.

Gesang und Geplauder

Der Saal, in dem gegessen wird, haben die 18 Gründerväter selbst zurechtgemacht. Per Zufall konnten sie 1981 drei Zimmer im Schloss Haldenstein übernehmen. Doch es gab viel zu tun. An freien Tagen und an Wochenenden haben sie die Decken, Böden und den Putz erneuert. Und noch heute kommt der Verein hier zusammen.  So auch an diesem Sonntag. «Klirr, klirr.» Claudia Stangoni klopft mit ihrem Löffel gegen ihr Glas. «Jetzt wird gesungen», sagt sie mit feierlicher Stimme. Die Präsidentin verteilt allen eine Mappe mit Noten von italienischen Volksliedern. Fröhlich singt der ganze Verein. Lieder wie «Bella Ciao» oder «Azzurro». Auch das ist Tradition bei der «Pizzoccherata».

Kaum hat die Musik aufgehört, geht das Geplauder weiter – auf Italienisch und Schweizerdeutsch. Der Verein habe sich mit der Zeit verändert. «Die Generationen haben sich angepasst. Viele Veltlinerinnen und Veltiner sind in ihre Heimat zurückgekehrt oder können aus Altersgründen nicht mehr teilnehmen», teilt Claudia Stangoni mit. Dafür sind heute auch einige Sympathisantinnen und Sympathisanten des Veltlin, jedoch ohne Herkunft aus dem Tal, Teil des Vereins.

Egal, wie viel schon gegessen worden ist, das Dessert darf nie fehlen. Und was gibt es? Richtig, Panna Cotta. Dazu passt ein Espresso. Und wer will, kann noch einen Schuss hausgemachter Grappa dazunehmen. So lässt es sich einfach bis 17 Uhr verweilen. Dann ist aber genug. Nachdem die Vereinsmitglieder beim Kassierer Fabio Cantoni ihr Essen bezahlt haben, verabschieden sie sich voneinander – mit kräftigen Handschlägen und netten Umarmungen. Bis zur nächsten «Pizzoccherata», alla prossima volta!

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