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Perspektivenwechsel

Von Hollywood nach Almens – ein Besuch bei Anja Fromm.

Bündner Woche
20.05.23 - 11:00 Uhr
Leben & Freizeit
Einblicke:  Heute fast nur noch digital, gibt es bis vor acht Jahren noch Booklets von fertigen Studiobauten und anderen Sets. Hier mit einigen wenigen Recherchefotos und Handskizzen.
Einblicke: Heute fast nur noch digital, gibt es bis vor acht Jahren noch Booklets von fertigen Studiobauten und anderen Sets. Hier mit einigen wenigen Recherchefotos und Handskizzen.
Bild Anja Fromm

Von Susanne Turra

«All’ meine Berufe haben wahnsinnig viel mit dem Studieren von Atmosphäre zu tun. Damit, aus welchen Komponenten sich Atmosphäre zusammensetzt. Dieser Blick ist so drin in mir, dass ich das schon gar nicht mehr wahrnehme. Wenn ich meine Kompetenzen aufzähle, dann kommt dieser ganze gestalterische Bereich fast zu kurz. Weil ich das so verinnerlicht habe. Eine Qualität eigentlich, die man auch noch anders nutzen könnte. Und so sagen viele zu mir, du kannst doch einen ganz eigenen, neuen Beruf daraus machen. Aber das ist mir bislang noch gar nie eingefallen.» Das sagt Anja Fromm an jenem Dienstagnachmittag, dem ersten im Mai, in Almens. Sie sitzt hoch oben, am Ende des Dorfes, auf dem lindgrünen Sofa, vor dem ochsenblutroten Tisch in ihrer altehrwürdigen holzgetäferten Stube. Sie trinkt Tee und erzählt. Aus ihrem Leben. Irgendwo. Irgendwann. Mittendrin. Eine Geschichte ohne Anfang und ohne Ende.

Klein genug

In den 90er-Jahren kommt die damals 30-Jährige aus Deutschland in die Schweiz. Genaugenommen von Berlin nach Chur. Mit einem Grundstudium in Architektur und dem Diplom als Innenarchitektin in der Tasche. «Chur war mir damals klein genug», verrät Anja Fromm und lacht. Sie arbeitet zwei Jahre lang in Architekturbüros. Und dann geht sie zurück in ihr Heimatland. Nach Köln. Sie möchte noch kreativer arbeiten. Lernt den Theaterbetrieb am Schauspielhaus Bonn kennen und wird Bühnenbildnerin im deutschsprachigen Raum. Wenige Jahre später ein neues Angebot. «Man suchte eine Entwurfszeichnerin», erinnert sich Anja Fromm. Sie ist mit Freude bei der Arbeit. Kann sich schnell in Situationen hineinfinden. Und übernimmt Verantwortung. Das fällt auf. Und so kommt sie zum Film. Dort ist sie die nächsten 20 Jahre als Art Director im Szenenbild tätig. Das bringt sie durch Co-Produktionen in viele verschiedene Länder. Die Filmbranche löst Begeisterung aus. Trotzdem. Sie hat auch ihre Schattenseiten. «Das Filmgeschäft erfährt eine Glorifizierung, die nicht der Realität entspricht», betont die Szenenbildnerin. Der rote Teppich und berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler sind nicht Teil des Alltags, in dem man auch in schmuddeligen Motiven herumläuft oder während des Ramadan in Abu Dhabi verzweifelt nach einem offenen Stoffgeschäft sucht.

Anja Fromm.
Anja Fromm.

Wie auch immer. Die Filmarbeit gefällt ihr. Anja Fromm arbeitet mit vielen namhaften Schauspielerinnen und Schauspielern zusammen. Mit Kate Winslet, Keira Knightley, Michael Fassbender, Viggo Mortensen, Ralph Fiennes, Tilda Swinton und Tom Hiddleston. Um nur einige zu nennen. Und mit den Regisseuren Stephen Frears, David Cronenberg, Margarethe von Trotta, Jim Jarmusch und Stephen Daldry. Letzterer wird zu ihrem Lieblingsregisseur. Auch, weil er jedem einzelnen bis hin zum Fahrer so viel Wertschätzung entgegenbringt. Und sein Film «Der Vorleser/The Reader» wird zu ihrem längsten Projekt. Fast ein Jahr lang arbeiten sie daran. Für ihre Rolle als Hanna Schmitz bekommt Kate Winslet schliesslich den Oscar. Und Anja Fromm? Sie lacht und winkt ab. Und erzählt gleich eine Pointe aus ihrem Alltag. «Da gab es diese Situation, als vor einem Kaufhaus in Görlitz gedreht werden sollte», erinnert sie sich. «Es war alles vorbereitet für Montag, den Drehtag. Freitagabends ist Stephen eingefallen, er möchte doch gerne noch eine Szene im Kaufhaus drehen. Und so wurde das ganze Wochenende das Erdgeschoss dieses Kaufhauses aus dem Jahre 1958 umgebaut und eingerichtet. Und am Montagmorgen kommt er ans Set und verkündet, er habe es sich nun doch wieder anders überlegt. Solche Sachen können passieren. Sie sind Teil der Arbeit.»

12 bis 16 Stunden täglich

Eine Arbeit, die mit den Jahren anstrengend wird. Anja Fromm arbeitet 12 bis 16 Stunden täglich. Als Art Director stellt sie zusammen mit dem Szenenbildner oder der Szenenbildnerin ein Team von rund 50 Personen zusammen. Pro Film sind es bis zu 45 Sets, die es zu erstellen gilt. «Alles, was du siehst im Film, und sei es nur eine Strasse, muss gesucht, definiert und vorbereitet werden», erklärt Anja Fromm. «Was historisch ist, muss umgestaltet werden. Und als historisch gelten bereits die 80er-Jahre.» Und dann geht es los. Drehbuch. Motivliste. Baustil. Entwürfe. Logistik über mehrere Länder hinweg. Wie sieht die Lebenswelt der Hauptfigur aus? Was passt zu ihr? Was würde sie im Kühlschrank haben? Welches Auto würde sie fahren? Was würde sie lesen? Nach und nach werden die Figuren mit Charakterzügen gefüllt. «Ich mag das», so die Filmschaffende. «Dieses Eintauchen in die Persönlichkeiten. In unbekannte Situationen.» Und so kann sich Anja Fromm besonders gut in andere Menschen hineinversetzen. «Besser, als in mich selbst, manchmal», sagt sie augenzwinkernd und trinkt einen Schluck Grüntee. «Der Tee hat viel zu lange gezogen», bemerkt sie und lacht. «Zum Glück ist er nicht bitter.»

Studiobauten: Ob Art Déco Villen, Mittelalterliche Burgen, Messi-Wohnungen oder Spaceshuttle – hier wird nahezu jede Lebenswelt kreiert.
Bild Anja Fromm
Studiobauten: Ob Art Déco Villen, Mittelalterliche Burgen, Messi-Wohnungen oder Spaceshuttle – hier wird nahezu jede Lebenswelt kreiert. Bild Anja Fromm

Und heute? Weshalb dieser Perspektivenwechsel? «Heute geht es mir um andere Werte», betont Anja Fromm. «Ich wollte schon immer nicht nur räumlich gestalten, sondern auch in der Gesellschaft etwas bewegen. Entwickeln.» Das fand viele Jahre nur in privaten Projekten Platz. Beispielsweise hat sie kürzlich gerade die Gestaltung des «KulturPunkt GR» in Chur abgeschlossen. Sie schaut zum Fenster hinaus. Vor ihr öffnet sich die Bergwelt. Die Natur. Das tut ihr gut. Hier bekomme sie Energie, sagt sie. «Im Art Department konnte ich zwar Verbesserungen einführen. Aber die Strukturen der Branche änderte ich nicht. Auch brauche ich diese Dynamik nicht mehr. Den durchgängigen Feuerwehrmodus.»

Kommt dazu, dass Anja Fromm eine Zeit lang ihre schwerkranke Schwester gepflegt hat. Da verändert sich die Perspektive gleich nochmals. Und die Filmschaffende gibt zu bedenken: «Die Filmbranche muss aufpassen, dass sie noch attraktiv bleibt. Auch diese Arbeitswelt muss adaptiert und verändert werden.» Es geht um Atmosphäre. Auch hier. Und dann bekommt die Filmbranche doch noch ein Lob von ihr. «Beim Film habe ich ständig mit allen Generationen gearbeitet», erhählt sie. «Alt und Jung. Das ist überhaupt kein Thema. Auch mit verschiedenen Kulturen. Hier wird Diversität gelebt. In diesem Punkt ist die Branche sehr frisch.» Und schon ist sie wieder mittendrin. In der Filmwelt. Der Leidenschaft. Dem Eifer. Stopp. Anja Fromm geht nach draussen. Atmet die frische Luft ein. «Ich möchte einen Gang zurückschalten», sagt sie und blickt über die grüne Wiese. «Nach 20 Jahren im Filmgeschäft bin ich für ein ’normales Arbeitsumfeld’ immer noch genug wach und schnell.» Und offen für Neues.

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