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Abheben und Nachdenken im künstlichen Klima-Raum

Luftiger Saisonstart in der Gepäckausgabe im Güterschuppen Glarus: Aktuell zeigen die Zürcher Architekten Sofie Unger und Crisost Koch ihre Raum-im-Raum-Installation «Inmitten der Luft».

Südostschweiz
05.06.23 - 16:33 Uhr
Kultur

von Claudia Kock Marti

Aus einem Fenster der Gepäckausgabe des Güterschuppens in Glarus wuchert eine grosse Blase aus Plastik. Der Blick durch die Fenster ist vom gleichen Material versperrt. Vor der Tür drängen sich bereits die Vernissage-Gäste. Ohne Schuhe dürfen sie in das Innere der Gepäckausgabe treten, das vollständig von luftdichter Folie ausgefüllt ist. Es knistert im künstlichen Klima-Raum. An den Wänden sind kleine Texte aufgeklebt. Es sind Zitate vom 14. Jahrhundert bis heute, die sich mit dem Thema (künstliches) Klima und der Trennung von Innen- und Aussenräumen beschäftigen. Wie Sofie Unger im Kunstgespräch erklärt, beschäftige sie das Thema schon länger.

Kennengelernt haben sich Sofie Unger und Crisost Koch im Studium an der ETH in Zürich. Künstlerisch zusammen arbeiten sie in Glarus zum zweiten Mal. Auf die Frage, wie mit dem Raum der Gepäckausgabe umgegangen werden könnte, seien sie auf das spannende Baumaterial gekommen, das als sogenannte Dampfbremse beim Dämmen verwendet wird.

Die Vernissage-Gäste interessiert vorerst, wie die beiden Kunstschaffenden bei ihrer luftigen Installation vorgegangen sind. «Die Folie wird nur durch ein Loch mit Luft durch einen Mini-Ventilator aufgeblasen, wie er zum Kühlen von Computern benutzt wird», sagt Crisost Koch. Aufgehängt wurde da nichts. Ausgegangen seien sie von einem 30 Meter langen Schlauch von 12 Metern Umfang, den sie an den Raum anpassten.

Inspirierende Texte

So langsam wird es stickig im Raum, der sich zunehmend mit den Ausdünstungen der zahlreichen Vernissage-Gäste füllt. Vorbereitend hätten sie damit gerechnet, dass der Aufenthalt in der künstlichen Blase weit weniger gemütlich sei, sagen die beiden Kunstschaffenden dazu. «Und eigentlich leben wir heute in solchen künstlichen Blasen», gibt Crisost Koch zu bedenken. Denn seit 1999 müssten alle Neubauten die Utopie der Blase erfüllen. Die SIA-Norm 180, die schweizerischen Regeln der Baukunde zu Wärme- und Feuchteschutz im Hochbau, fordere «eine grundsätzlich luftdichte Gebäudehülle, in der man, wenn nötig, Lüftungsöffnungen vorsieht».

Und wie die beiden Kunstschaffenden in ihrem anregenden Text zur Ausstellung schreiben: «Seit Anfang des 19. Jahrhunderts bauen wir immer dichter, kontrollieren die Luftzufuhr immer genauer und versuchen, uns immer mehr von unserer selbst verschmutzten Umwelt zu distanzieren.» Der runtergekühlte Supermarkt, das Bürogebäude mit kontrollierter Lüftung und das konstant auf 21,5 Grad temperierte Wohnzimmer seien da nur einige Beispiele.

Stoff zum Staunen und Nachdenken gibt die Installation somit in Hülle und Fülle. Angeregt wird über heutige und einstige Raumklimata weiterdiskutiert. Und angesichts der Klimaerwärmung könne auf Dauer der Schutz von Innenräumen nicht das Ziel sein, sondern die natürlichen Lebensgrundlagen wie Wasser, Boden und Luft zu schützen.

«Freund:innen» in der Gepäckausgabe

Seit zehn Jahren organisiert der Verein Gepäckausgabe Ausstellungen im ehemaligen Speditionsbüro im Güterschuppen in Glarus, wie Florian Spälti an der Eröffnung erklärt. Am Samstag fand die 47. Vernissage statt. 87 Kunstschaffende haben den Freiraum des Kunstprojektes bisher genutzt. Über die Sommermonate lädt der Verein auch dieses Jahr wieder Künstlerinnen und Künstler ein, die während zwei Wochen eine Ausstellung vor Ort erarbeiten und dann während 14 Tagen zeigen.

Thematisch gibt es 2023 keine Vorgaben oder anders gesagt, ist die «Bühne» offen. Die Auswahl traf das Ausstellungsteam unter befreundeten Kunstschaffenden, weshalb die Reihe 2023 den Titel «Freund:innen der Gepäckausgabe» trägt. Bis zum 16. Juni ist die Installation von Sofie Unger und Crisost Koch zu sehen. Danach folgen vom 1. bis 14. Juli Jonathan Ospina und Lourenço Soares. Vom 5. bis 18. August stellt Gregory Tara Hari aus. Vom 2. bis 15. September wird das Glarner Duo Sämi Ortlieb und Silvan Zweifel die Gepäckausgabe bespielen. Den Abschluss macht vom 7. bis 20. Oktober Maya Lama.

Vernissage ist jeweils am ersten Samstag des Monats, ab 17 Uhr samt Kunstgespräch und Apéro. Den Schlüssel zur Gepäckausgabe kann man an den anderen Tagen zu den Öffnungszeiten im Kunsthaus abholen. Zu beachten bei der aktuellen Ausstellung ist, dass nach Betreten der Installation die Tür wegen des Überdrucks sofort wieder zu schliessen ist.

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