Alleinsein für Fortgeschrittene
Am letzten Wochenende des Davos Festivals geht es den Überschriften nach um «Alleinsein für Fortgeschrittene». Und schliesslich wird gemeinsam das «Ende der Einsamkeit» zelebriert.
Am letzten Wochenende des Davos Festivals geht es den Überschriften nach um «Alleinsein für Fortgeschrittene». Und schliesslich wird gemeinsam das «Ende der Einsamkeit» zelebriert.

Zum Offenen Singen sind noch einmal alle eingeladen, am Freitag um 10 Uhr in der Pauluskirche, mit Cyrille Nanchen. Das spontane, ungebundene Umspielen bekannter Kompositionen, etwa von Johann Sebastian Bach, ist dann zu entdecken, um 11 Uhr «Allein auf der Orgelbank» in St. Theodul, und am Abend, wenn der Vokalzirkel Knut Nystedts Improvisation über Bachs «Komm süsser Tod» intoniert. Die «Nachtschatten» vieler verletzter Seelen wehen im Konzert am Freitagabend durch das Kongresszentrum. Das Trio Streich widmet sich dem 1944 entstandenen Streichtrio von Bernd Alois Zimmermann. Als dessen Kompositionslehrer in den Kriegstrümmern von Köln das leidenschaftlich durchglühte Werk kritisierte, antwortete der damals 26-jährige Komponist, man müsse «jeden Ton verantworten können! Und das kann ich gerade bei dem Trio. Was so mit ‹Herzblut› geschrieben ist, kann nicht anders verstanden werden.» Pianist Carter Muller setzt dem leidenschaftlichen Werk Bachs Toccata e-Moll entgegen und bereitet die Ohren vor auf Schostakowitschs Kammersinfonie 110a. Sie ist eine Bearbeitung seines achten Streichquartetts, in nur drei Tagen geschrieben, als Schostakowitsch sich nahe des weltkriegszerstörten Dresdens aufhielt. Er widmete das Quartett den Opfern von Krieg und Faschismus. Holly Choe dirigiert die Davos Festival Camerata mit der Fassung für Streichorchester.

Bis in die Nacht
Im Abschlusskonzert am Samstag, 17 Uhr, darf das festivaleigene Streicherensemble noch einmal strahlen, mit einem Arrangement von Pjotr Tschaikowskis Streichsextett d-Moll. In diesem Jahr sei das Ensemble aus Musikstudierenden unglaublich schnell zusammengewachsen, sagt Holly Choe, die die Davos Festival Camerata über gute zwei Wochen nicht nur musikalisch geleitet hat. «Das ist so verblüffend, weil wir alle aus so unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kommen. Fast Jede und Jeder kommt aus einem anderen Land. Wir haben ja neben den Proben auch viele Sessionen über andere Aspekte des Musikerlebens. Das ist oft von einer Stunde auf die halbe Nacht ausgeufert. Wir haben über das Leben gesprochen, aktuelle berufliche Entscheidungen und wie wir die Gesellschaft ändern möchten. Das ist an der diesjährigen Camerata besonders.» Begleitet natürlich von der erkennbaren Leidenschaft, die die teils kaum 20-Jährigen in ihr Musizieren legen. Zum letzten Konzert mit dem Titel «Vom Ende der Einsamkeit» hat sich Intendant Marco Amherd vom gleichnamigen Roman von Benedict Wells inspirieren lassen. «Ein wunderbarer Autor, der das Thema Einsamkeit differenziert und feinfühlig darstellt. Auch wenn wir nur an der Oberfläche kratzen konnten, sollte das diesjährige Festivalprogramm einen möglichst breiten Blick auf das Thema ‹Allein› ermöglichen. Im Schlusskonzert möchte ich aber nochmals das Leben feiern und auch utopisch in die Zukunft blicken. Die Einsamkeit besiegen und Gemeinschaft erstarken lassen!»

«Utopia» im nächsten Jahr
Gestärkt im Bewusstsein, dass das Alleinsein etwas Köstliches und Kraftspendendes sein kann, man aber in Gemeinschaft noch so viel mehr schaffen kann, ist das Publikum schon jetzt vorbereitet auf das Festivalthema im nächsten Jahr, «Utopia». Wieder werden den halben August junge Musikerinnen und Musiker auf ihrer künstlerischen Entdeckungsreise und mit absolutem eigenem Hineingeben in die Kunst Davos bereichern. Drei utopische Lebenskunst-Entwürfe junger Ensembles, verrät Marco Amherd, sind bereits in der Entwicklung und werden am Davos Festival 2024 zu erleben sein.
Text von Mara Engel, die für das Davos Festival schreibt