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Sucht als Versteck in «Für immer alles» von Jeannette Hunziker

In ihrem Debütroman «Für immer alles» erzählt die Berner Autorin Jeannette Hunziker, wie eine junge Frau nach den Ursachen ihrer Sucht forscht. Anlass für die intensive Selbstbefragung ist der Tod des Vaters.

Agentur
sda
27.08.24 - 07:00 Uhr
Kultur
Die Berner Autorin Jeannette Hunziker erzählt in ihrem ersten Roman von einer doppelten Suche: nach dem Vater und nach sich selbst. Nach dem Tod des alkoholkranken Vaters geht eine junge Frau den Ursachen für ihre eigene Sucht auf den Grund.
Die Berner Autorin Jeannette Hunziker erzählt in ihrem ersten Roman von einer doppelten Suche: nach dem Vater und nach sich selbst. Nach dem Tod des alkoholkranken Vaters geht eine junge Frau den Ursachen für ihre eigene Sucht auf den Grund.
Handout: Marius Stalder/Lenos Verlag

Sucht vererbt sich von den Eltern auf die Kinder, heisst es. Dabei ist im Roman «Für immer alles» der alkoholkranke Vater gar nicht der eigentliche Erzeuger der Ich-Erzählerin. Die Nachricht von seinem Tod überrascht die 38-Jährige. Sie hat ihre Beziehung zu ihm längst auf seltene Besuche beschränkt. Seine Beerdigung betrifft sie dennoch.

Die Erzählerin nimmt die Inventur des väterlichen Erbes zum Anlass, Fragen an sich selbst zu stellen. Sie beginnt Erinnerungen an Vater, Mutter, das frühere Familienleben festzuhalten, auf der Suche nach den Wurzeln für ihr eigenes Verhalten, ihr Verhältnis zur Welt.

Dieser protokollarische Charakter drückt dem Debütroman von Jeannette Hunziker den Stempel auf. Dabei entwickelt die Autorin keine kontinuierliche Erzählung. Vielmehr schichtet sie die mal kurzen, mal längeren Eintragungen übereinander oder schneidet sie gegeneinander. Ihre Prosa erhält so etwas Tastendes, roh Gefertigtes.

Herkunft der Sucht bleibt unklar

Süchte sind kompliziert, genauso wie das Verhältnis zu einem Vater, mit dem sie keine Gene teilt. Mit zwölf erfuhr sie, dass sie das Kind eines anonymen Samenspenders ist. Auch wenn der väterliche Tod die Erzählerin nicht im Innersten berührt, sickert eine unterschwellige Empathie in ihr Gedenken ein.

Wo ihre eigene Sucht herrührt, bleibt jedoch offen. Die Erzählerin kann, will es gar nicht auflösen. Vielleicht gerät deshalb ihr Schreiben immer wieder ins Stocken: «Das Ende der Sätze kommt mir abhanden», notiert sie. Sie versteckt sich hinter der brüchigen, «erfundenen» Sprache wie hinter dem diffizilen Verhältnis zum eigenen Körper und seiner «grotesken Dünnheit». Die beiden Symptome verbinden sich, ohne dass das eine dem anderen ursächlich untergeschoben wird.

«Für immer alles» dreht sich intensiv und intim um «das Schweigen, die Scham, die leeren Stellen». Jeannette Hunziker legt ein Debüt vor, das formal nicht ganz ausgefeilt wirkt, genau dies aber auch nicht sein will, damit die Brüchigkeit des Stoffes nicht überdeckt wird.*

*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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