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Nora Osagiobare erzählt die Schweiz als tägliche Seifenoper

In ihrem klugen Debüt «Daily Soap» verpackt die Zürcher Autorin Nora Osagiobare ihre Kritik an der Schweizer Gesellschaft in den Look-and-Feel einer Seifenoper. Arm und Reich, schwarz und weiss, Klischee und Racial Profiling prallen mit viel Humor aufeinander.

Agentur
sda
28.02.25 - 07:00 Uhr
Kultur
Die Zürcher Autorin Nora Osagiobare hält den Umgang mit Rassismus in der Schweiz für scheinheilig. In ihrem Debütroman "Daily Soap" nähert sie sich diesem sensiblen Thema mit Humor. Sie verpackt ihre Gesellschaftskritik in die Form einer Seifenoper.
Die Zürcher Autorin Nora Osagiobare hält den Umgang mit Rassismus in der Schweiz für scheinheilig. In ihrem Debütroman "Daily Soap" nähert sie sich diesem sensiblen Thema mit Humor. Sie verpackt ihre Gesellschaftskritik in die Form einer Seifenoper.
Keystone/MICHAEL BUHOLZER

«Der Roman ist eigentlich eine Dokumentation meiner Frustration, die ich mit meinem persönlichen, humorvollen Ton nun literarisch verarbeitet habe», sagt Nora Osagiobare im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Ihren «humorvollen Ton» lässt sie gleich zu Beginn ihres Debütromans «Daily Soap» anklingen. Sie stellt dem Werk eine Triggerwarnung voran: «In diesem Text wird mehrmals eine Banane gegessen.» Das passiert auch tatsächlich. Aber Osagiobare unterwandert damit offensichtlich das Konzept solcher Hinweise.

Spielerische Herangehensweise

Auf der nächsten Seite sortiert sie ihre Hauptfiguren «nach steuerbarem Vermögen». Auf Platz 1 wäre da Zita Bodeca, Inhaberin und Geschäftsführerin von Banal & Bodeca; auf dem 10. und letzten Platz Anneli Killer-Osayoghoghowemwen, die Mutter der Protagonistin Toni. Diese Rangliste nach Vermögen nimmt die übliche Hierarchie von Seifenopern auf. In klassischen Soaps gebe es eigentlich immer eine reiche Familie und dann eben (deutlich) weniger Reiche, so Osagiobare. Anneli nennt im Buch solche Formate «Gehirnwäsche für die kleinen Leute, Propaganda, um den Status quo aufrechtzuerhalten».

Die Autorin teilt diese Beobachtung mit ihrer Figur. Am Ende gehe es in Seifenopern immer jenen gut, die reich sind und das nicht gross thematisieren, sowie jenen, die arm sind und dies akzeptieren. Als böse gilt, wer gierig ist, wer den eigenen Reichtum zur Schau stellt und wer gegen die eigene Klasse aufbegehrt. «Aber einfach viel Geld zu haben und so zu tun, als wäre es nicht da, scheint heilig und geschützt», sagt die Autorin, um gleich anzufügen, dass Seifenopern bei ihr ein latentes Unbehagen auslösten. Nun nutzt sie das Format, um unsere Gegenwart zu sezieren und zu kommentieren.

Rassismus in der Schweiz

Wenn Osagiobare von ihrer Frustration redet, meint sie vor allem Rassismus und wie wir dem Problem begegnen oder eben nicht. In der erzählten Welt schlittert die Firma Banal & Bodeca in einen Imageskandal; mit einer eigens produzierten Seifenoper will sie das Rebranding versuchen: Man habe keine Vorurteile, der eigene Sohn sei liiert mit einem Schwarzen Künstler, so ungefähr der geplante Plot.

Damit will Osagiobare die Scheinheiligkeit der öffentlichen Diskurse ausstellen. Sie erinnert sich an die «Arena» von Schweizer Radio und Fernsehen SRF mit dem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen». Die Sendung wurde ausgestrahlt, nachdem Black Lives Matter 2020 die Schweiz erreicht hatte. In der Diskussion ging es für sie viel zu lange darum, ob es in der Schweiz überhaupt Rassismus gebe. «Ja, gibt es», sagt Osagiobare. In ihrem Roman «Daily Soap» stellt sie die Facetten davon aus, indem sie die weisse Geschäftsführung von Banal & Bodeca, also Menschen ohne Diskriminierungserfahrung, eine Soap planen lässt über Menschen mit Diskriminierungserfahrung. Osagiobare erzählt damit die Naivität jener, die nicht betroffen sind. Sie sei selbst fast «fasziniert von der absoluten Weigerung anzuerkennen, dass wir teilweise gar nicht anders können, als Täter zu sein. So viel Widerstand treffe ich sonst selten», sagt sie.

Das Buch sei ihr Befreiungsschlag. Sie haben den Frust in Humor umgewandelt und dies literarisch produktiv gemacht. Als Inspiration nennt Osagiobare «Oreo» von Fran Ross, deren Schreiben von einem Journalisten mal als «jazzing around» beschrieben wurde. «Das mache ich auch. Natürlich liegt ein grösseres Konzept dahinter, aber eigentlich nehme ich zwei Figuren, stelle sie in einen Raum und schaue, was passiert.»

Seifenoper als literarisches Konzept

Tatsächlich ist es beste Unterhaltung, Osagiobare und ihren Figuren durch mögliche und unmögliche Situationen zu folgen. Je länger, desto chaotischer scheinen alle miteinander verbandelt. Darum herum platziert die Autorin viele sogenannte «Easter Eggs», versteckte Anspielungen für Serienjunkies wie beispielsweise die Hauptfigur Toni. So gibt es beispielsweise einen Klinikdirektor Lüthi und einen Doktor Blanc.

Zwischen die Episoden schaltet Osagiobare immer wieder Werbung. So heisst es etwa: «Sind auch Sie ein weisser, mitteleuropäischer, heterosexueller, reicher Cis-Mann und deshalb immer an allem Schuld? Dann lassen Sie sich noch heute von uns beraten.» Ein Unterbruch der Unterhaltung und gleichzeitig eine Referenz an einen ursprünglichen Zweck von Soaps als unterhaltsamer Rahmen für Fernsehwerbung.

Dazu dienen auch Fussnoten, die die Figuren und die erzählte Welt beziehungsweise uns Lesende in der eigenen Naivität eiskalt erwischen und Privilegien vorführen. «Ohne die Fussnoten würde der Roman nicht funktionieren. Dann wäre es eine Daily Soap, wie jede andere auch. So gibt es eine kritische Metaebene. Eine kommentierte Fassung von etwas Problematischem», meint Osagiobare, die damit ein weiteres Fernsehmittel – die kommentierende Off-Stimme oder Bauchbinden – spielerisch ausschlachtet, um das Format Seifenoper und die Schweizer Gesellschaft zu dekonstruieren. Ihr Debüt «Daily Soap» hat mehr mit der Realität zu tun, als einem lieb ist. Und trotzdem macht das Lesen Spass – wie auch das Schreiben Spass gemacht habe, lacht die Autorin.*

*Dieser Text von Philine Erni, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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