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Die Menschen auf Stromboli verehren und fürchten ihren Vulkan

Wie lebt es sich im Schatten des Vulkans? Die Berner Regisseurin Miriam Ernst porträtiert Menschen auf Stromboli. Ein ruhiger, leidenschaftlicher Dokumentarfilm.

Agentur
sda
28.08.24 - 07:00 Uhr
Kultur
Gaetano lebt auf Stromboli. Sein Leben ist bestimmt vom Feuer des Vulkans und vom Wasser des Meeres. Wie das ist, erzählt er im Dokumentarfilm "IDDU - Racconti dell’isola", der nun in die Kinos kommt.
Gaetano lebt auf Stromboli. Sein Leben ist bestimmt vom Feuer des Vulkans und vom Wasser des Meeres. Wie das ist, erzählt er im Dokumentarfilm "IDDU - Racconti dell’isola", der nun in die Kinos kommt.
Handout: Filmstill/Prosa Film

Der Stromboli, so sagen es Inselbewohnerinnen und -bewohner, sei der intelligenteste Vulkan Europas. Die Regisseurin war mitten in den Dreharbeiten zu «IDDU - Racconti dell’isola» («IDDU - Inselgeschichten»), als der Berg Feuer spuckte. Das war im Sommer 2019, und bald sollte nichts mehr so sein wie zuvor.

Was den Vulkan angeht: Er brach aus zwei Stunden bevor Touristen zu seinen Kratern unterwegs waren, ganz so, als ob er niemanden verletzen, aber doch den Mahnfinger heben wollte. Auch im Juni dieses Jahres riefen die Behörden die höchste Alarmstufe aus. Dunkler Rauch stieg auf, aus dem Krater quoll ein Lavastrom den Berg hinunter ins Meer.

Vom Vulkan beherrscht

Wie lebt es sich in unmittelbarer Nachbarschaft dazu? Einwohnerinnen und Einwohner von Stromboli, der Äolischen Insel nördlich von Sizilien mit dem gleichnamigen aktiven Vulkan, leben in dessen Schatten. Sie verehren und fürchten ihn. Seine Launen beherrschen ihr Schicksal. Der Vulkan - sie nennen ihn «Iddu» («Er» im sizilianischen Dialekt) - bestimmt seit Jahrhunderten ihr Leben.

Touristenströme und Tausende von Abenteuerlustigen, die in Schlangen hinauf zu den Kratern steigen, füllen die Kassen. Doch ein so heftiger Ausbruch wie jener in besagtem Sommer, reisst auch eine erfahrene Inselgemeinschaft aus der Normalität. Die Naturgewalt konfrontiert die Menschen mit Veränderungen und Fragen zu Nachhaltigkeit und Massentourismus.

Davon handelt der Film von Miriam Ernst. Die Bernerin hat die Insel immer wieder besucht, schon als Kind mit ihren Eltern, heute mit ihrem Partner und ihrem Kind. Erst als Touristin. Doch sie und ihre Familie haben schon damals viele Kontakte geknüpft, die bis heute gehalten haben. Sie sei, sagt sie, mit ihren Kindheitsfreunden von Stromboli älter geworden.

Bildgewaltig

Über diese Freundinnen und Freunde und ihre Familien sammelte sie über Jahre Geschichten - und hat sie nun in einem bildgewaltigen Film zusammengeführt. «Die Bevölkerung von Stromboli befindet sich in einem Balanceakt: Die grosse Eruption hat die Gemeinschaft in eine tiefe Krise gestürzt, stellte aber gleichzeitig auch eine Chance für einen Neuanfang dar», sagt Miriam Ernst gegenüber de Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Der Vulkanausbruch wie auch die Pandemie führten in den letzten Jahren zu einem tiefgreifenden Stillstand auf der Insel, der die Menschen zum Reflektieren und Innehalten aufgefordert hat.»

Menschen auf Stromboli beten zum Vulkan, fragen ihn um Rat - und hadern mit ihm. So auch Sebastiano, der Angst hat, seine Freundin Valeria halte die auch momentan wieder angespannte Situation nicht aus. Im Film kommen ganz verschiedene Personen zu Wort. Auch Pierpaolo, der Ladenbesitzer, der sagt: «Wir behandeln ihn schlecht. Wir sind respektlos, wir verschmutzen ihn, weil wir zu viele Leute hinaufsteigen lassen und ihnen erlauben, Sand und Steine mitzunehmen.» Ihnen allen ist aber die grosse Ehrfurcht vor dem unberechenbaren Mitbewohner gemein.

Ein Jahr auf Stromboli

Der Film “IDDU - Racconti dell’isola” setzt kurz vor Weihnachten ein, geht über in die Silvesterparty («es gibt sogar Feuerwerk!» ruft eine Frau im Restaurant) und führt durch ein Jahr auf Stromboli. Es war der Regisseurin wichtig, alle Jahreszeiten zu zeigen. Nicht nur die Hochsaison, wenn Tausende (oft nur für Stunden) auf die Insel strömen. Oder auf den Vulkan. Sondern auch den Winter, wenn 400 Personen in den engen Gassen leben, wenn Schiffe nicht mehr anlegen können wegen der Stürme. Denn auch das ist Alltag auf Stromboli, «man lebt mit allen Elementen», sagt die Regisseurin, «nicht nur mit dem Feuer.»

Viele sind abgewandert. Das war Miriam Ernsts Ausgangspunkt: Gehen und Bleiben. Werden und Sterben. Der Friedhof ist wichtig. Und Rituale. Am Anfang nimmt der Dokumentarfilm seine Zuschauerinnen und Zuschauer mit in die Kirche.

Nach dem grossen Ausbruch 2019 war das Trekking auf den Krater nicht mehr erlaubt und der Massentourismus brach zusammen. Als Folge hat die jüngere Generation von Stromboli begonnen, nach alternativen Einkommensquellen zu suchen. Sie produzieren Olivenöl. Oder sie kultivieren alte und neue Pflanzensorten. Der Vulkan hat für fruchtbare Böden gesorgt.

Die Bewohnerinnen und Bewohne auf Stromboli sind an Filmteams gewöhnt. Selbst ein Hauch von Hollywood weht über die Insel: Roberto Rossellini drehte dort schon Ende der 1940er Jahre einen Erfolgsfilm mit seiner späteren Frau Ingrid Bergman in der Hauptrolle.

Miriam Ernst hat, und das mag sie von anderen unterscheiden, von Anfang an versucht, das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner (und jenes der Katzen) von Stromboli einzufangen. Es ist ihr gelungen. Der Film strahlt eine Kraft aus, die des mächtigen Vulkans würdig ist.*

*Dieser Text von Nina Kobelt, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

www.filmbringer.ch/iddu-racconti-dellisola/

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