Schweizer Filme an der Berlinale
Die Schweiz hat an der diesjährigen Berlinale überzeugt, mit historischen und gegenwärtigen Stoffen. Vor allem aber: mit starken Frauen.
Die Schweiz hat an der diesjährigen Berlinale überzeugt, mit historischen und gegenwärtigen Stoffen. Vor allem aber: mit starken Frauen.

Zwei Filme im Wettbewerb und eine Gala-Premiere: Die Schweizer Präsenz an der diesjährigen Berlinale, die letzten Sonntag zu Ende ging, durfte sich sehen lassen. Zwar spielen zwei der Filme gar nicht in der Schweiz und bei allen dreien handelt es zudem um Co-Produktionen.
Dies tut aber dem Eindruck keinen Abbruch, dass das schweizerische Kinoschaffen im Ausland momentan einen besseren Stand hat als auch schon. Und: Auch wenn es dieses Jahr für keinen goldenen oder silbernen Bären gereicht hat, darf man sich in der Schweiz doch bereits auf drei Filme freuen, die sich in Berlin auch neben der internationalen Konkurrenz nicht zu verstecken brauchten. Auch haben sie grosse Teile des Publikums und der Kritik hat überzeugt.
Formal Eigenwilliges von Lionel Baier
Da ist «La cache» von Lionel Baier. Wie schon das bisher bekannteste Werk des Lausanner Filmemachers «Les Grandes Ondes (à l’ouest)», behandelt auch sein neuster Film einen historischen Stoff. Es handelt sich um die Adaption des autobiografischen Romans «Das Versteck» von Christophe Boltanski. In diesem 2015 erschienenen formal eigenwilligen Werk erzählt der Autor von seiner Kindheit in Paris während der späten 1960er-Jahre und insbesondere während der Ereignisse des Mai 1968, als stadtweite Studierendenproteste eine neue gesellschaftliche Ära einzuläuten begannen. Bloss, dass der kleine Junge, aus dessen Sicht diese Ereignisse geschildert werden, davon kaum etwas mitbekommen hat. Von seinen politisch aktiven Eltern im Haus seiner etwas skurrilen Grossfamilie abgestellt, schildert er die unterschiedlichen Reaktionen auf die Ereignisse seiner jüdischen Familie, bestehend aus verschiedenen Onkeln, Grosseltern und Urgrossmüttern.
Die unkonventionell und nicht chronologisch erzählte literarische Vorlage wird in Baiers Verfilmung zum sehr unterhaltsamen Sittengemälde, das mit viel Liebe zum Detail und zu seinen Figuren inszeniert ist. Insbesondere der Umstand, dass die Familie ihre grosse Wohnung nur selten verlässt, erlaubt es Baier, trotz schmalem Budget die vergangene Epoche sehr plastisch auferstehen zu lassen. Und als sich gegen Ende des Films gar die Weltgeschichte in die Wohnung mit dem titelgebenden Versteck aus der Zeit der deutschen Besatzung verirrt, wird deutlich, dass «La cache» mehr ist als eine jener typischen französischen Familienkomödien, die man vielleicht nicht zuletzt aufgrund der Anwesenheit von Michel Blanc in seiner letzten Rolle erwartet hätte.
Zwei Mal weibliches Spannungskino
Im Vergleich dazu äusserst gegenwärtig treten die anderen beiden Filme auf. Zudem haben «Mother’s Baby» und «Heldin» einige Gemeinsamkeiten. So zeigen sich bei beiden Filmen Frauen für Regie und Drehbuch verantwortlich, es steht in beiden eine weibliche Figur im Mittelpunkt der Erzählung, und beide lassen sich auf ihre eigene Art als Thriller bezeichnen – obwohl es eigentlich um etwas ganz Unterschiedliches geht.
In «Mother’s Baby» von Johanna Moder beginnt eine Mutter nach einer schwierigen Geburt daran zu zweifeln, dass mit ihrem Kind alles in Ordnung ist. Tatsächlich ist das Baby oft so unnatürlich ruhig, dass die von Marie Leuenberger («Die göttliche Ordnung») gespielte Mutter einmal sogar absichtlich versucht, es zum Weinen zu bringen.
Mit den Mitteln des Spannungskinos und sogar des Horrorfilms, insbesondere durch eindringliches Sounddesign, schafft es der Film, das Thema der postpartalen Depression eindringlich und nachvollziehbar aus der Sicht der Mutter zu vermitteln. Leider lässt sich «Mother’s Baby» in seiner zweiten Hälfte dann etwas gar stark von seinen Thrillerelementen mitreissen und versucht sich an einer düsteren Verschwörungserzählung, die weder besonders motiviert wirkt, noch glaubwürdig ist. Die überzeugende Darstellung davon, wie es sich für eine frischgebackene Mutter anfühlt, wenn sie sich nicht mit ihrem Kind, beziehungsweise mit ihrer Mutterrolle anfreunden kann, und damit oft auf Unverständnis beim Partner und der Gesellschaft stösst, macht «Mother’s Baby» trotzdem mehr als sehenswert.
Der Tag einer Pflegefachfrau
Dasselbe gilt für «Heldin» von Petra Volpe, der ab 27. Februar in den Deutschschweizer Kinos zu sehen ist. Im Gegensatz zu «Mother’s Baby» sind die Spannungselemente hier gänzlich in der Realität verhaftet. «Heldin» schildert einen Tag im Leben einer Pflegefachfrau in einem Schweizer Kantonsspital. Ganz ohne künstliches Drama und auch – wenn man von der Wahl des Filmtitels und des Schlusssongs absieht – ohne Pathos. Flora, eindrücklich und professionell gespielt von Leonie Benesch («Das Lehrerzimmer»), bleibt im Verlauf ihrer Arbeitsschicht auch im grössten Stress und im Angesicht der grössten Zumutungen nahbar und menschlich.
Der packende und aufwühlende Film ist zugleich eine Ode an das Pflegepersonal, das weltweit unter dem Mangel an Fachkräften und an entsprechend harten Arbeitsbedingungen leidet, und eine Anklage ebendieser Bedingungen. Vor allem aber ist «Heldin» gutes und spannend inszeniertes Kino, made in Switzerland.*
*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.