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Der Kanton Glarus ehrt Eveline Hasler

Sie gibt vergessenen Heldinnen mit poetischer Intuition und profunder Recherche eine Stimme. Am Samstag wurde die aus Glarus stammende Autorin Eveline Hasler mit dem Kulturpreis ausgezeichnet.

Südostschweiz
01.05.23 - 04:30 Uhr
Kultur
Stolz auf die Schriftstellerin: Regierungsrat Markus Heer freut sich mit Eveline Hasler über den Kulturpreis.
Stolz auf die Schriftstellerin: Regierungsrat Markus Heer freut sich mit Eveline Hasler über den Kulturpreis.
Bild Claudia Kock Marti

von Claudia Kock Marti

Das Ambiente zur Feier von Kulturpreisträgerin Eveline Hasler könnte nicht stimmiger sein. Hinter der zu ehrenden grossen alten Dame auf der Bühne des Anna-Göldi-Museums leuchten von ihr gemalte Aquarelle in allen Farben. Die Sonne dringt durch die offenen Jalousien des Hänggiturms. Von der Empore herab und aus dem Schatten der Anna-Göldi-Dauerausstellung erklingen sphärische Klänge, gespielt von John Wolf Brennan und Tony Majdalani, für die beeindruckende Dichterin.

«Heute ist ein ganz grosser Tag für mich. Ich musste 90 Jahre alt werden, um das zu erleben», bedankt sich eine vitale, strahlende Eveline Hasler bei der Glarner Regierung für den mit 20 000 Franken dotierten Kulturpreis. Ihren Dank richtet sie auch ans grosse Publikum, das aus nah und fern erschienen ist. Dabei schliesst sie sogar Anna Göldin irgendwo hoch oben ein, die hingerichtete stolze Glarner Magd, die im Jahr 1782 wegen sogenannten Hexentums von den Mächtigen in Glarus zum Schweigen gebracht wurde.

Eveline Hasler hat Göldis Geschichte in ihrem ersten historischen Roman «Anna Göldin. Letzte Hexe» aus dem Vergessen geholt. So wie ihr dies in folgenden Romanen immer wieder mit zu Unrecht ausgegrenzten, verdrängten oder verstummten Menschen gelang.

Grosser Tag in der alten Heimat

Bereits als kleines Mädchen las Hasler in der Schule Geschichten vor, weil sie dies so gut konnte. «Der Glärnisch war mein Zauberberg», erzählt die Autorin mit dankbarem Blick auf ihre Glarner Kindheit. Wer Eveline Hasler sei und warum sie den Glarner Kulturpreis erhalte, müsse man niemanden erklären. «Höchstens warum erst jetzt», sagt Bildungsdirektor Markus Heer, der den Preis im Namen der Regierung als Auszeichnung und in Würdigung ihres erfolgreichen Schaffens überreicht. Eveline Hasler sei eine «Menschenfreundin». Der Kanton Glarus sei stolz auf seine berühmte Autorin, ihren wachen Geist und ihre bis heute ungebrochene Schaffenskraft.

Verstummte werden lebendig

Eveline Hasler bewege sich in den unterschiedlichsten Räumen der Literatur, vom Kinderbuch zum Hörspiel und vom Gedicht zur Kurzgeschichte, eröffnet Beatrice von Matt ihre feinsinnige Laudatio, in der sie vor allem Haslers Schaffen als Romanautorin würdigt. Denn der Roman sei ihre «Königinnendisziplin», so die bekannte Publizistin und Germanistin. In ihren Romanen erwecke Hasler Aussenseiter, öfter noch Aussenseiterinnen, von den Toten. Dies sind neben Anna Göldin weitere Figuren mit Glarner Wurzeln wie Melchior Thut im Roman «Der Riese im Baum» oder die Brasilien-Auswanderer aus der Ostschweiz und dem Kleintal in «Ibicaba. Das Paradies in den Köpfen». Etwas auferstehen lässt von Matt auch «Wachsflügelfrau» Emily Kempin-Spyri (1853–1901), die erste doktorierte Juristin Europas, die im Irrenhaus endete. Sogar Henry Dunant gehöre in die Reihe der von Hasler wieder zum Leben erweckten, zunächst schmählich verkannten Visionäre, so von Matt.

«Der gerade Blick einer Frau» habe die Herrschaft des Mannes oder «der gerade Blick einer Magd» habe die Herrschaft infrage gestellt, analysiert sie weiter. Wie andere frühe Akademikerinnen muss eine Emily Kempin-Spyri abstürzen, weil sie höher strebt, als das den Frauen von den Männern gestattet wird. In Haslers Romanen gehe es somit um Formen der Unterdrückung. Manche Auffassungen ihrer oft eigenwilligen Protagonisten seien heute selbstverständlich.

«Tiefenbohrungen im Lokalen»

Eveline Hasler habe ihr Psychologie- und Geschichtsstudium in Fribourg und Paris für ihre schriftstellerische Arbeit fruchtbar gemacht. «Mit poetischer Intuition» und «mit detektivischen Recherchen» verleihe sie ihren Figuren Gestalt und Sprache. Wobei sie jeweils zum Ort der Handlung reise, um solange zu bleiben, bis dieser zu ihr gesprochen habe. «Tiefenbohrungen im Lokalen», sagt von Matt dazu.

Hasler scheue sich nicht, in ihrem expressiven, einfühlsamen Schreiben auch leidenschaftliche Töne anzuschlagen, und verstehe es, virtuos mit heutiger Sprache und den recherchierten Quellen zu spielen. Eine «sanfte Aufklärerin» sei Eveline Hasler, die keine gewaltigen Historienbilder male, sondern vielmehr literarische Alltagsgeschichte betreibe. Und da in von Matts Laudatio nur einige markante Figuren aufscheinen können, ist ihr Rat zum Schluss klar: «Lesen Sie selber!» Die wunderbare Erzählerin Eveline Hasler mache dies leicht.

Die vollständige Laudatio von Beatrice von Matt findet ihr hier.

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