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«Ich will mit ethischen Methoden die Wahrheit filmen»

Während Jahren hat der französisch-schweizerische Fotograf und Filmemacher Laurent Geslin im Jura Luchse aufgesucht. Heute kommt sein Dokumentarfilm «Lynx» in die Deutschschweizer Kinos.

Agentur
sda
24.02.22 - 17:21 Uhr
Kultur
Vermittelt mit seinem Film "Lynx" die Faszination der Luchse und gibt Aufschluss über die Mentalität in der Produktion von Wildlife-Filmen: Fotograf und Filmemacher Laurent Geslin.
Vermittelt mit seinem Film "Lynx" die Faszination der Luchse und gibt Aufschluss über die Mentalität in der Produktion von Wildlife-Filmen: Fotograf und Filmemacher Laurent Geslin.
Keystone/ANTHONY ANEX

2014 veröffentlichte Laurent Geslin ein Buch. Einen Fotoband über Luchse im Jura, der vor allem Reaktionen von Fotografinnen, Fotografen und Wildlife-Bloggern hervorrief. Sie alle wollten wissen, wie man die seltenen Tiere fotografiere. Geslins Absicht war aber eine andere: Er wollte auf die Problematik der Luchse und deren Rolle in einem ganzen System aufmerksam machen.

Ende 2014 begann er, die Tiere zu filmen. Kein leichtes Unterfangen, denn die jurassische Population ist klein. Auf rund 150 Tiere schätzt er sie, «es ist jedes Mal ein Wunder, wenn man einen Luchs zu sehen bekommt». Und: «Wenn einer stirbt, bekommt die ganze Population ein Problem.»

Sein Ziel war nun, einen Dokumentarfilm zu drehen, mit dem er ein grösseres Publikum, eins ausserhalb seiner Berufsgattung erreichen kann. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, ob er Tiere finden und ausreichend Material sammeln könne, um einen ganzen Film zusammenzustellen, sagte Geslin im Zoom-Interview mit Keystone-SDA.

Vor zwei Jahren war es dann soweit. Das Filmmaterial, das nicht nur Luchse, sondern auch andere Tiere aus den jurassischen Wäldern zeigt, gab genug Stoff für eine Story her. Laurent Geslin schrieb das Drehbuch. «Natürlich hätte alles schneller und einfacher gehen können», gibt der Filmemacher zu. «Ich hätte einen Biologen bei seiner Arbeit begleiten oder mich selber filmen können», sagt er. Letzteres sei sehr populär. «Denn so lässt sich auch aus wenig Tierbildern ein Film produzieren.»

Auch Naturfilme können Fake sein

Er habe aber bewusst nie einen Film machen wollen, in dem man seine Person auf Streifzügen sehe, oder wenn er Hunger habe, lacht Geslin. «Mein Ziel war von Anfang an, den ersten Film über wilde europäische Luchse zu drehen.» Und wer jetzt denkt, das gebe es bestimmt schon - in dieser Form vermutlich nicht.

Geslin erklärt dies an einem Beispiel. Kürzlich habe er in einer Tierdoku eine Szene gesehen, in der Luchse ein anderes Tier angreifen. «In zwölf Jahren in der freien Wildnis habe ich so etwas nie beobachtet.» In Naturfilmen sind Jagdszenen keine Seltenheit - «weil sie mit Tieren gedreht werden, die dressiert sind oder zumindest in Gefangenschaft leben», so Geslin.

Bei grossen Produktionen, etwa für das Kino, gebe es riesige Budgets, und die Drehbücher würden oft schon vor den Dreharbeiten geschrieben. Die Szenen können dann entsprechend gefilmt und zusammengeschnitten werden. «Ich will genau das Gegenteil - ich will mit ethischen Methoden die Wahrheit filmen.» Er glaubt, dass das auch zunehmend ein Bedürfnis ist - sowohl bei den Filmemachenden wie auch beim Publikum.

Natürlicher Entertainment-Faktor

Die Wahrheit sei allerdings nicht immer nur schön, so der Naturfilmer. Während seiner Arbeit fand er etwa einen erschossenen Luchs. Ein anderer wurde überfahren und einer von einem Biologen eingefangen und woanders hingebracht. «Man muss nichts aussergewöhnliches schreiben, um die Menschen zu fesseln. Ich glaube, die Wahrheit reicht aus», sagt Laurent Geslin.

Entsprechend sei für ihn auch der Entertainment-Gedanke, der bei Tierfilmen immer auch eine grosse Rolle spielt, nicht präsent gewesen. Die witzigen Momente hätten sich ohnehin automatisch ergeben. Als die Eulen wie neugierige Nachbarn aus ihren Löchern guckten oder ein kleiner Vogel im Nest noch die Eierschale auf dem Kopf trug beispielsweise. Oder als «ein komplett verrückter Hermelin» wild im Schnee herumsprang. So schnell und unberechenbar, dass Geslin ihn kaum mit der Kamera einfangen konnte. «Lynx» ist ein sehr witziger Film.

Ob er auch wichtig sei und falls ja, für wen, könne er nicht beurteilen, sagt Laurent Geslin. Dass er ihm persönlich am Herzen liegt, ist allerdings spürbar. Etwa, wenn er erzählt, dass er die Luchse «im Moment ganz besonders vermisst», dass es jedes Mal ein Wunder sei, einen zu sehen, und dass er mit dem Film nicht nur die Tiere selbst, sondern die Wichtigkeit des gesamten Waldes zeigen wolle.

«Lynx» ist auf jeden Fall ein sehr sehenswerter Film. Für Kinder und erwachsene Tierfreunde ebenso wie für Menschen, die sich beruflich mit Luchsen oder dem Ökosystem des Waldes auseinandersetzen. «Ich habe für diesen Film während Jahren mit Fachpersonen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen zusammengearbeitet und die Thematik der Luchse aus allen möglichen Perspektiven beleuchtet», sagt Lauren Geslin. Auch aus jener des Jägers - jeder soll einen Ansatz finden können.

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