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Porträts von frühen Glarner Fotografen zum ersten Mal in Farbe

Jarryd Lowders Leidenschaft ist die Fotografie. In seinem neuesten Projekt hat er alte Schwarz-Weiss-Bildern aus dem Glarnerland digital eingefärbt. Die Resultate sind erstaunlich.

Südostschweiz
23.03.23 - 04:30 Uhr
Kultur
Schick gemacht: Für ein Porträt haben sich die Menschen früher herausgeputzt, wie diese unbekannte junge Frau, aufgenommen von Joachim Knobel zwischen 1888 und 1891.
Schick gemacht: Für ein Porträt haben sich die Menschen früher herausgeputzt, wie diese unbekannte junge Frau, aufgenommen von Joachim Knobel zwischen 1888 und 1891.
Originalbilder Schönwetter und Landesarchiv | nachkoloriert von Jarryd Lowder

von Jarryd Lowder*

Zum ersten Mal sind zwei ungenannte Personen in Farbe zu sehen, die vor rund 130 Jahren in Glarus fotografiert wurden. In mehrstündiger Arbeit hat der Autor die Schwarz-Weiss-Fotos mit modernster Digitaltechnik restauriert und nachkoloriert. Die Absicht ist nicht, das authentische Originalporträt zu ersetzen, sondern sich die Person auf dem Foto mit der Lebendigkeit vorzustellen, die Farbe mit sich bringt.

Die späten 1800er bis frühen 1900er-Jahre waren eine sehr aktive Zeit für das aufkommende Medium der Fotografie im Kanton Glarus. Der Familienbetrieb Schönwetter ist vielen bekannt, dessen Name prangt noch heute über einem Schaufenster in der Stadtmitte, aber auch viele andere Fotografen hatten ihre Ateliers in Glarus.

Die in diesem Artikel gezeigten Porträts stammen von vier in der Stadt ansässigen Fotografen: Philipp Beckel, Fridolin Glarner-Feiger, Emil Jeanrenaud-Gaschen und Joachim Knobel. Ab etwa 1860 war das Visitformat als Medium für Studio-Porträts weltweit sehr beliebt. Der fotografische Abzug – auf einer etwas grösseren Kartonkarte – war etwa so gross wie eine heutige Businesskarte und wurde üblicherweise unter Verwandten und Freunden ausgetauscht, um sie in deren persönliche Fotoalben aufzunehmen.

«Das Fotoatelier als Traumfabrik»

Jahrzehnte bevor die meisten Menschen eine eigene Kamera besassen, mussten sie einen örtlichen Fotografen aufsuchen, um ihr Porträt aufnehmen zu lassen. August Berlinger, Autor des Buches «Strom fürs Glarnerland», hat während rund 20 Jahren die Geschichte der frühen Glarner Fotografen erforscht und Informationen über die Standorte ihrer Betriebe und die Zeitspannen, in denen sie tätig waren, zusammengetragen.

Berlinger erklärt: «Fotografien waren – auch für vermögende Menschen – keine Alltagsprodukte. Für die hohen Kosten wollten die Kunden auch etwas haben, und ganz wichtig, dieses seltene Ereignis wurde dementsprechend auch zelebriert – es bildete nicht den Alltag, sondern die Ausnahme ab.» Auf Seite der Abgebildeten zeige sich das an deren besten Kleidern, einer sorgfältigen Frisur oder Kopfbedeckung und allenfalls auch Schmuck. «Auch wurden verschiedene gemalte Bildhintergründe, romantische Landschaften, herrschaftliche Gärten oder Vorhangdekorationen, zur Auswahl bereitgehalten, mit entsprechend vornehmen oder modischen Möbeln und Teppichen. Das Fotoatelier als eine Art Traumfabrik», führt der Lokalhistoriker weiter aus

Die Herstellung solcher Porträts war nicht billig. «1897 kostete eine Aufnahme mit einem halben Dutzend Porträt-Kärtchen bei Glarner-Fieger sechs Franken», so Berlinger. Zum Vergleich: Ein Gemeindearbeiter verdiente im Verlaufe dieser Jahre pro Tag (9 bis 10 Stunden) 2,5 bis 4 Franken.

Porträts ohne Namen versehen

Die Identität der gezeigten Personen ist nicht bekannt, da Porträts nur selten mit dem Namen des Porträtierten versehen wurden. «Für den Empfänger oder die Empfängerin war klar, um wen es sich handelte. Was klar ist, muss nicht festgehalten oder aufgeschrieben werden», so Berlinger. Dieses menschliche Prinzip beziehe sich nicht nur auf Personen, sondern auch auf Situationen, Gegenstände oder Landschaften.

Für die vier hier erwähnten Fotografen war das Porträtieren im Atelier nicht die einzige Einnahmequelle. Fridolin Glarner-Feiger und Emil Jeanrenaud-Gaschen zum Beispiel produzierten beide attraktive Postkarten von Glarus und seiner Landschaft. «Ein Geschäftsfeld waren die Schulklassen- und Vereinsaufnahmen sowie, seltener, Firmenbelegschaftsaufnahmen», so Berlinger. Er ergänzt: «Dazu kamen Aufnahmen von besonderen Anlässen wie etwa Schützen- oder Turnfeste, Fahrtsjubiläen oder auch Ereignisse wie Unwetterverheerungen, Postkurs- oder Bahnlinieneröffnungen. Auch Werbeansichten von Gastronomiebetrieben kamen vor.»

Eine Medaille gewonnen

Phillip Beckel war von 1886 bis 1900 in Glarus tätig, zuerst in der Untererlen 32 und dann in der Sandstrasse 24, vis-à-vis der Stadtkirche. Als Beckel nach Zürich umzog, übernahm Emil Jeanrenaud-Gaschen das Atelier «bei der Kirche» von Beckel.

Joachim Knobel war von 1867 bis 1902 in Glarus an drei aufeinanderfolgenden Orten tätig: Waidlistrasse 10, Rosengasse und Gerichtshausstrasse 14. Knobel wurde an der Exposition internationale de photographie Genève 1893 mit der Bronzemedaille in der Kategorie «Landschaften, Schnappschüsse» ausgezeichnet. Das Geschäft von Fridolin Glarner-Feiger befand sich ab 1893 an der Unterpressistrasse 37, gleich gegenüber dem Haus Insel (Glarner Musikschule). In den 1920er-Jahren übernahm sein Sohn Hermann das Geschäft.

* Jarryd Lowder stammt aus den USA. Vor neun Jahren zog er ins Glarnerland. Er unterrichtet an der Fachhochschule Graubünden digital Multimedia.

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