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Schreibende und die komplexe Beziehung zu ihren Roman-Figuren

Alexandra von Arx und Demian Lienhard stellen an den Solothurner Literaturtagen ihre Debüts vor. Ihre Roman-Figuren sind ihnen zwar nahe, auch im Alltag. Doch die Beziehung ist unterschiedlich.

Agentur
sda
22.05.20 - 11:30 Uhr
Kultur
Auch beim Spaziergang begleiten Roman-Figuren ihre Autorinnen und Autoren. Doch während etwa Demian von Lienhard die Welt durch die Augen seiner Figuren sieht, beobachtet Alexandra von Arx ihre Figuren aus der Distanz. (Archivbild)
Auch beim Spaziergang begleiten Roman-Figuren ihre Autorinnen und Autoren. Doch während etwa Demian von Lienhard die Welt durch die Augen seiner Figuren sieht, beobachtet Alexandra von Arx ihre Figuren aus der Distanz. (Archivbild)
Keystone/STEFFEN SCHMIDT

Einmal erschien ihm Alba im Traum. Die Hauptfigur seines Romans «Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat» bescherte Demian Lienhard keine angenehme Nacht. «Ich habe mich im Traum mit Alba auf der Zürcher Rentenwiese getroffen. Ich wusste, dass wir nur literarische Figuren in einem Roman waren und sozusagen in der Fiktion feststeckten», sagt der Aargauer Schriftsteller gegenüber Keystone-SDA. «Wir wollten uns befreien. Doch bei jedem Fluchtversuch aus der Fiktion erschien über uns gottgleich der Autor, der natürlich Demian Lienhard hiess. Er packte uns mit seinen riesigen Fingern und setzte uns wieder auf der Wiese ab. Es war zum Verzweifeln.»

In intensiven Schreibphasen seien die Figuren immer da, sagt der Gewinner des Schweizer Literaturpreises 2020, «beim Kochen, unter der Dusche, in der Stadt, abends in der Bar.» Er betrachte dann die Welt mit den Augen dieser Figur und gelange so zu neuen Ein- und Ansichten. In seinem Debütroman erzählt Lienhard die Geschichte der jungen Alba, die in den Achtzigerjahren in der Zürcher Drogenszene auf die schiefe Bahn gerät.

Schreiben aus der Distanz

Auch Alexandra von Arx, Autorin von «Ein Hauch von Pink», denkt in intensiven Schreibphasen ständig an ihre Figuren, «zum Beispiel unter der Dusche oder auf Spaziergängen. Manchmal entwickle ich bessere Ideen, wenn ich nicht am Pult sitze und nach Ideen suche.» Zu ihren Figuren hat von Arx, die in Olten aufgewachsen ist und heute im Appenzellerland lebt, eine distanzierte Beziehung. Sie verstehe sich als Beobachterin.

Die Hauptfigur ihres Debütromans ist Markus, 54 Jahre alt, Versicherungsangestellter. Entstanden sei Markus während einer Schreibübung. «Ich habe auf der Strasse einen Mann in einer pinkfarbenen Jacke beobachtet, der Inserate einer Immobilienagentur studierte. Er kam mir wie jemand vor, der mit einem Umbruch liebäugelt.» Diese Szene hat Eingang in ihren Roman gefunden.

Im Rahmen einer zweiten Schreibübung versetzte von Arx den Mann in Gedanken in ein Musikgeschäft. «Dort überlegt er, ob er ein Instrument erlernen soll. Abgesehen von der pinkfarbenen Jacke ist der Mann unauffällig. Der Kontrast zwischen Pink und Unauffälligkeit interessierte mich. Daraus entwickelte sich der Kontrast zwischen Tagträumen und Alltag.» In diesem Spannungsfeld sei Olivia entstanden, eine Jugendliebe, die sich in der Gedankenwelt von Markus einniste. «Die Figuren haben sich beim Schreiben entwickelt. Dabei hatte ich immer den Film im Kopf, der durch die beiden Schreibübungen losgetreten wurde», sagt von Arx.

Über die Sprache zur Figur

Für Demian Lienhard war die Sprache der Ausgangspunkt für die Figuren in seinem Debütroman: «Meist war zuerst der Dialog zweier Stimmen in meinem Kopf, woraus ich die Figur nach und nach entwickelt habe. Die Sprechweise charakterisiert die Figuren stark, dann wurden jeder Figur passende Attribute angehängt, und meistens auch eine Geschichte. Und so, gewissermassen voll ausgestattet, stiegen sie in den Text ein.» So hatte er zuerst von seiner Hauptfigur Alba ein scharfes Bild, habe sie «in sich getragen, während von der Geschichte nur ein vager, nebulöser Faden vorhanden war.» Die Figur habe die Handlung mitbeeinflusst.

Auch der Autor selbst kommt in seinem Roman vor, als kleiner Junge Demian, der von der Hauptfigur einen Kuss bekommt. «Die Szene ist eine metaphorische Verbildlichung des Vorgangs, wie der Stoff zum Autor kommt», sagt Lienhard. Sie stehe aber im Kern auch für seine Überzeugung: «Der Autor ist heute nicht mehr von der Fiktion zu trennen, er und alles, was er in der Funktion als Autor aussagt, ist genauso Teil seiner Werke wie diese selbst.»*

*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert

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