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Unternehmerin mit 1000 Jahren im Rücken

Schloss Salenegg gilt als Europas ältestes Weingut. Helene von Gugelberg blickt allerdings lieber in die Zukunft. Konsequent schafft sie Raum für Neues.

Ruth
Spitzenpfeil
25.12.19 - 04:30 Uhr
Kultur

Vater Pfau ist heiss. Weihnachten kann beginnen. Die Vorbereitungen dafür laufen auf Schloss Salenegg schon seit Wochen. Der erstmals durchgeführte Weihnachtsmarkt im alten Torkel war ein voller Erfolg. Viel wichtiger für das private Fest der Familie von Gugelberg ist allerdings die richtige Betriebstemperatur eines 1634 von David Pfau erbauten Kachelofens. Weil auch der Sohn des berühmten Hafners 20 Jahre später nochmals im Schloss tätig wurde, bezeichnen die Bewohner die beiden Öfen heute als Vater und Sohn. Lebende Pfauen gibt es übrigens auch im weitläufigen Anwesen auf der Sonnenterrasse von Maienfeld.

Drei Wochen vorglühen

Helene von Gugelberg führt uns in das Herzstück ihres Heims. Hier, in der sogenannten Grossen Stube, wird der Christbaum stehen. Kaum zu glauben, was es an Vorlaufzeit braucht, dass es bei der Bescherung auch gemütlich wird. Gut drei Wochen vor Heiligabend muss schon mit dem Einheizen begonnen werden, damit sich zuerst der Ofen und dann langsam die eiskalten Wände erwärmen. «Zusammen mit den Kerzen und den menschlichen Wärmestrahlern kommen wir dann schon auf 20 Grad», sagt die 60-jährige Schlossherrin schmunzelnd.

Wie gut das uralte Prinzip funktioniert, musste vor einiger Zeit auch ein übereifriger Brandinspektor einsehen. Er wollte ihr untersagen, das historische Prachtstück noch zu gebrauchen. Der Holztäfer sei viel zu nah an den Kacheln meinte er. Sie lud ihn kurz nach Weihnachten ein. Erstaunt stellte er fest, dass die Kacheln am Rand trotz Höllenhitze im Innern tatsächlich nur lauwarm wurden.

Sowieso einmalig

Es ist einer der kleinen Kämpfe mit den Behörden, an die sich von Gugelberg erinnert, seit sie nach dem Tod ihres Vaters 1997 die Verantwortung für Salenegg trägt. Die meisten konnte sie für sich entscheiden. Inzwischen habe sich auch das Verhältnis zur Denkmalpflege entspannt. «Ich würde mir nur wünschen, dass die Sonderstellung eines solchen Gebäudes auch gesetzlich verankert wird», sagt sie. Dann hätte man eine viel bessere Verhandlungsbasis und müsste nicht ständig dagegen anrennen, ein unerwünschter Präzedenzfall zu sein.

Schloss Salenegg mit seiner mehr als 1000-jährigen Geschichte ist sowieso einmalig. Da muss man nicht einmal den unbestechlichen Kunstführer Poeschel bemühen, der es «eines der reizvollsten Herrenhäuser von ganz Graubünden» nennt. Die Anfänge gehen auf das Kloster Pfäfers zurück, welches auf der Sonnenseite des Tals eine Art Erholungsheim für Mönche mit Gebrechen (Presten) errichtete. «Prestenegg» hiess es deshalb zuerst, bis ein späterer Besitzer, ein von Salis, es in «Salenegg» umtaufte. Ob denn von dem ursprünglichen Gebäude von 950 noch etwas da sei, wollen wir wissen. «Sie sitzen gerade darin», sagt von Gugelberg lachend. Tatsächlich ist der Kern des stattlichen Baukörpers immer noch das alte Hospiz, es wurde aber stets so geschickt erweitert, zuletzt 1782, dass es heute wie aus einem Guss wirkt.

Im Besitz des Geschlechts der Gugelberg von Moos ist Salenegg schon seit 365 Jahren. Von grossen Gestalten gäbe es da einiges zu berichten, vom Ritter «Rotbart» Hans Luzi Gugelberg oder der gerade wieder hoch im Kurs stehenden frühen Frauenrechtlerin Hortensia von Gugelberg. Hübsch ist auch die Geschichte von den zwei Brüdern, die im 19. Jahrhundert zufrieden als Junggesellen im Schloss lebten und schliesslich auswürfelten, wer sich nun für die Fortsetzung der Ahnenreihe opfern und heiraten müsse.

«Wenn die Leute zu neidisch werden, erzähle ich von den 152 Fenstern, die geputzt werden müssen.»

Die historischen Räumlichkeiten des Schlosses zeigt Helene von Gugelberg immer weniger. Die öffentlichen Führungen konzentriert sie inzwischen mehr auf den Weinbau, und da steht der gigantische Torkelbaum von 1658 im heutigen Verkaufs- und Degustationsraum sowie ihr eigener kühner Keller-Neubau im Mittelpunkt. Eine Frage hört sie jedoch immer wieder: Wie es denn sei, in einem Schloss zu leben? «Genau das kann ich am wenigsten beantworten», sagt sie. Denn sie sei ja so aufgewachsen. «Wenn ich merke, dass die Leute zu neidisch werden, erzähle ich von den 152 Fenstern, die geputzt werden müssen», so Gugelberg, die für den Unterhalt des Schlosses drei, für das Weingut fünf Personen angestellt hat. Es gibt 79 Räume, aber nur sieben sind modern beheizbar. Das schränkt ein. «Mir käme es im Winter einfach nicht in den Sinn, barfuss einen Kaffee machen zu gehen».

Das Schloss als USP

Helene von Gugelberg hängt an ihrem Schloss, aber sie versteht es eben auch als Teil ihres Unternehmenserfolgs. «Ich muss das Produkt leben; und mein Alleinstellungsmerkmal ist nun mal das Anwesen», sagt die Frau, die Salenegg zu einem der drei führenden Weinbaubetriebe Graubündens gemacht hat. Als sie das Gut übernahm, kelterte man einzig einen traditionellen Blauburgunder. Sie hat die Angebotspalette mutig erweitert; neben zeitgemässen Weinen auch noch um delikaten Essig. Und gerade jetzt tüftelt sie mit ihrem jungen Kellermeister daran, ob aus den fantastischen 2018er-Trauben nicht der eine Wein zu machen sei, von dem man immer träumt.

Ist Schloss Salenegg nun wirklich das älteste Weingut Europas? Die im Stadtarchiv von Maienfeld verbürgte Jahreszahl von 1068 benutzt die Patronin gerne für ihr Marketing. «Geschichte und Herkunft sind gut und schön», resümiert sie, «ich schaue aber lieber in die Zukunft». Und die gehört ihren Kindern. Der 35-jährige Markus und die 30-jährige Helene seien bereits involviert, obwohl beide beruflich mit Maschinenbau und Psychologie ganz anders orientiert sind. Sie wolle den Besitz wirtschaftlich selbsttragend übergeben, sodass die Eigentümer frei wären, ihren eigenen Neigungen zu folgen. Das hat sie selbst auch stets getan. Ihre geliebten Maultiere geniessen jetzt das Altenteil, doch da gibt es die Seidenraupen, die sie seit drei Jahren züchtet. Wenn sie von deren Eigenschaften schwärmt und von den ungeahnten Einsatzmöglichkeiten des kostbaren Rohstoffes, dann spürt man wieder jugendliche Aufbruchstimmung. Die Geschichte von Salenegg ist noch längst nicht zu Ende geschrieben.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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