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Freudentränen überall

Die Rapgruppe Breitbild feierte am Samstag ihr 20-Jahr-Jubiläum. Das Konzert in der rappelvollen Churer Stadthalle war ein einziges Fest.

Südostschweiz
11.11.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Breitbild lockte knapp 6000 Fans in die Churer Stadthalle.
Breitbild lockte knapp 6000 Fans in die Churer Stadthalle.
STEVE WENGER

Von Valerio Meuli

Freitagabend. In den Churer Bars lacht, trinkt und redet man – und stellt sich früher oder später immer dieselbe Frage: «Kommst du morgen ans Breitbild-Konzert?» Die meisten Antworten lauten: «Ja, sicher».

Samstagabend, 19 Uhr. Der ganze Vorplatz der Churer Stadthalle ist mit Menschen gefüllt. Die Vorfreude ist spürbar, ein Ruck geht durch die Stadt. Und was die Vorverkaufsstatistiken schon angedeutet haben, bestätigt sich beim Anstehen: Die Fans sind aus der ganzen Schweiz angereist, Zürich, Bern, Basel.

Breitbild – die Bündner Rapgruppe, die nun also 20 Jahre alt geworden ist. Die Gruppe, die den Schweizer Rap über Jahre hinweg entscheidend prägte. Die ihre Jubiläumsshow mit grossen Worten angekündigt hat. Konnte sie die riesigen Erwartungen erfüllen?

Ein Sprung mitten ins Konzert. Nach eineinhalb Stunden wird es still und dunkel in der Halle. Breitbild-Member Valerio Priuli rappt, ohne Begleitung. Auch wenn die meisten Rapper diesen Vergleich sehr ungern hören, die nächsten Minuten sind ein Gedicht. Priuli denkt nach über sein Leben, seine Tage, seine Nächte. Seine Tage, an denen er nach Wissen strebt, an denen er verstehen will, in Büchern versinken. Seine Nächte, in denen er den Rausch sucht, tanzen möchte. Und so passt es sehr gut, wenn Breitbild-Kollege Claudio Candinas zwischen Priulis Strophen ins Mikrofon sagt: «I weiss nia, vu wo das Kopfweh kunnt, vom Denka oder vom Trinka?»

«Also flüg, Gedanka, flüg!»

Vom Nachdenken übers Leben wandert der Text zum Austeilen: «Iar züchend sona Show ab für es Spotify-Release.» Priulis Abneigung gilt Künstlern, die den schnellen Erfolg durch viele Streams suchen. Es ist eine Zeile, die Breitbilds Position im Musikzirkus gut wiederspiegelt. Man merkt, die Jungs sind erwachsen, reflektiert, und wollen keinen Trends folgen. Doch es schwingt eben auch die Erkenntnis mit, dass gewisse Entwicklungen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Wenn Priuli also seine Zeilen rappt, schwelgt man, man denkt, wie schön entspannt diese Musikwelt doch sein könnte ohne Streams, ohne Youtube-Klicks.

Was dann sehr guttut: Der Rapper unterbricht das Schwelgen abrupt, wenn er sagt, während er zur Decke schaut: «Au tuusig Muuerblüamli sind am Schluss a Bluamamuur.» Candinas und Thom Businger treten aus der Dunkelheit, um Priuli bei den letzten Zeilen zu unterstützen. Einstimmig rufen sie: «Also flüg, Gedanka, flüg mit goldena Flügel, miar holen hunderttusig und machen Party uf ma Hügel. Hunderttuusig ufma Hügel und i touch the sky!»

Kaum sind die drei mit ihren Zeilen am Ende, erklingt die Stimme des vierten Breitbild-Rappers, Andri Perl: «Tot isch dr Stalin, tot isch dr Hitler, Sunnabluama, Regaböga, Vogelgezwitscher» – der wohl legendärste Breitbild-Track aller Zeiten: D’ Welt isch schön. Die Liveband fährt ihren wuchtigen Sound auf und die ganze Stadthalle singt mit.

Es ist schon ein erstaunlicher Spagat, den die vier da hinbekommen. Sie schaffen es, all ihre Klassiker, auch ihre ältesten, postpubertären Tracks, auf die Bühne zu bringen, ohne lächerlich zu wirken. Sie sind keine verzweifelt Junggebliebenen. Und sie sind auch keine notorischen Früher-war-alles-besser-Sager. Die Jungs sind auf eine angenehme Weise frisch geblieben. Sowohl körperlich – das Konzert dauert über zweieinhalb Stunden – als auch geistig: Priuli zeigt das sehr deutlich, wenn er eine Hymne an die heutige Jugend anstimmt. «Öb d Jugend fit isch? Luag in d Zitig: Es git dr 14. Juni, es git dr Future Fritig.» Trotz der Wichtigkeit dieser politischen Debatten, sind sich das Publikum und die Rapper einig: Ein bisschen Nostalgie darf man sich gönnen. Und so bleiben wenige Augen trocken, wenn Breitbild auf der Bühne ihre Bierbecher in die Luft strecken, der Menge zuprosten und die Halle «für eis häts immer no glangt» singt.

Hier gibt es das ganze Jubiläumskonzert im Video

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