×

Simone Lappert: «Schreiben bedeutet für mich Fragen»

Simone Lappert ist mit ihrem zweiten Roman, mit «Der Sprung» für den Schweizer Buchpreis nominiert, der am 10. November vergeben wird. Angestossen hat den Roman eine reale Situation, welche die Autorin nicht mehr losliess.

Agentur
sda
05.11.19 - 10:59 Uhr
Kultur
Simone Lappert ist mit ihrem zweiten Roman "Der Sprung" für den Schweizer Buchpreis nominiert. Dem Werk liegt die Frage nach Empathie mit dem Mitmenschen zugrunde; es beruht auf einer realen Begebenheit, die die Autorin nicht mehr losgelassen hat.
Simone Lappert ist mit ihrem zweiten Roman "Der Sprung" für den Schweizer Buchpreis nominiert. Dem Werk liegt die Frage nach Empathie mit dem Mitmenschen zugrunde; es beruht auf einer realen Begebenheit, die die Autorin nicht mehr losgelassen hat.
Keystone/ENNIO LEANZA

Als Simone Lappert das Büchercafé Sphères in Zürich betritt, wird sie von ihrem eigenen Buch willkommen geheissen. Es ist an prominenter Stelle auf dem Stehtisch im Eingangsbereich ausgestellt. Ihr Herz macht immer noch einen kleinen Satz, wenn sie ihren Roman ausliegen sieht, wie sie im Gespräch mit Keystone-SDA erzählt.

Auch wenn sie sich inzwischen daran gewöhnt hat, dass dies nun nicht mehr allein ihr Text ist, den sie nach Belieben bearbeiten kann, sondern eben ein Buch mit zwei Deckeln, die es zu einem fertigen Werk erklären. Um es als solches wahrnehmen zu können, musste Lappert erst einmal loslassen und Abstand nehmen. Das erste gebundene Exemplar, das per Post bei ihr zuhause ankam, beliess sie noch wochenlang in der Schutzfolie, bis zum Tag der Veröffentlichung Ende August.

Kaum war «Der Sprung» erschienen, erfuhr die 34-Jährige: Ihr Buch ist für den Schweizer Buchpreis nominiert. Zuerst konnte Lappert die Nachricht kaum glauben. Dann begann das Herzklopfen. Jetzt ist ihr Terminkalender so voll, dass sie gar nicht mehr darüber nachdenken kann.

Fast jeden Tag steigt sie vormittags in einen Zug, kommt nachmittags in einer neuen Stadt an, bezieht ihr Hotel und bereitet sich dort auf die jeweilige Lesung vor. Am nächsten Tag dasselbe von vorn. Jetzt aber, im Garten des Cafés gleich um die Ecke ihrer Wohnung, wirkt Lappert keineswegs gehetzt. Sie trinkt Eistee, hört aufmerksam zu und erzählt aus ihrem Leben als Schriftstellerin.

«Schreiben bedeutet Fragen»

«Ich bin kein Seismograph, ich brauche Zeit», sagt sie. Simone Lappert ist eine langsame Schreiberin. Für ihr erstes Buch «Wurfschatten» (2014) brauchte sie sieben Jahre, für das zweite nun fünfeinhalb. Begegnungen, Stimmungen, Szenen, die sie aufnimmt, setzen sich bei ihr über Monate und Jahre. Manche Eindrücke schreibt sie nieder, andere schlummern in ihrem Hinterkopf, bis sie irgendwann wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins gespült werden. Das passiert meist dann, wenn sie die richtige Frage gefunden hat.

«Schreiben bedeutet für mich Fragen. Ich habe eine Frage ans Leben und versuche, mich immer präziser in diese Frage hineinzuschreiben», sagt sie. Oft wirkt ein begonnener Text dabei wie ein Magnet: «Wenn erst mal eine Idee da ist, zieht sie viele weitere Ideen, Bilder und Bruchstücke an. Der Haufen wird immer grösser - und am Ende muss man wieder aussortieren.»

In ihrem aktuellen Roman hat Lappert vor allem die Frage nach Empathie beschäftigt. Wie reagieren wir, wenn Mitmenschen gewohnte Verhaltensmuster durchbrechen? Und was lernen wir dabei über uns selbst? Der Auslöser zu diesem Thema war der Bericht über eine Person, die fast zwei Tage lang auf einem Hausdach gestanden und sich geweigert hatte, herunterzukommen. Unter dem Gebäude bildete sich eine Menschenmenge, es gab Menschen, die riefen: «Spring doch!».

«Das erschütterte mich», erzählt Lappert. «Die Ohnmacht, die Brutalität, die Vielschichtigkeit dieser Situation, das hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe mich gefragt, was dahinter stecken könnte, wie es soweit kommen kann.» Wenn sie über ihr Buch spricht, wird ihre Stimme schneller und entschlossener. Ihre Fragen bewegen sie noch immer und es ist ihr wichtig, sie präzise zu formulieren.

Senkrechtstart im Literaturbetrieb

Als erste Schweizer Romanautorin beim renommierten Diogenes Verlag und Buchpreisnominierte hat Simone Lappert im Literaturbetrieb so etwas wie einen Senkrechtstart hingelegt. Wie reagiert man nun auf sie? «Sehr unterschiedlich», sagt sie lachend. «Wenn ich mich als Schriftstellerin vorstelle, werde ich manchmal schon kritisch von oben bis unten gemustert.»

Es ist auch vorgekommen, dass ältere Männer sie fragten, ob ihre «Frauenliteratur» denn auch für sie interessant sei. «Als junge Autorin muss man sich einiges anhören und wird oft nicht ganz ernst genommen.» Das hänge wohl auch mit einem Klischee des Berufes zusammen: «Beim Wort Schriftsteller denken viele immer noch an das Bild des einsamen, graubärtigen Genius, der in seiner Dachkammer brütet», sagt sie. «Ich brauche mein stilles Kämmerchen zwar auch, aber wir jüngeren Autorinnen und Autoren funktionieren teilweise anders. Viele von uns schätzen den Austausch, Texte werden schon während ihrer Entstehung diskutiert. Der ganze Prozess findet dann offener statt.»

Lappert selbst gibt ihre Erfahrung an Prosa- und Lyrik-Workshops weiter, zudem ist sie als Literaturveranstalterin, Kuratorin und Jurymitglied tätig. Literatur lesen, hören, diskutieren, analysieren, geniessen, schreiben, das gehört für sie alles zusammen.

Viel Gelegenheit dazu wird sie auf der Lesereise mit den anderen Nominierten haben. «Ich bin sehr gespannt darauf», sagt sie strahlend. Ebenfalls freut sie sich auf die Zeit danach, wenn sie sich in neue Fragen hineinschreiben kann. In ihrem Hinterkopf brodeln sie bereits.*

*Dieser Text von Martina Kammermann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Kultur MEHR