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Sandra Staub: «Ich bin fasziniert vom Nicht-Perfekten»

Er stand einst in vielen Schulhäusern und geriet dann in Vergessenheit: der Matrizendrucker. Nun ist das Vervielfältigungsgerät Gegenstand einer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste geworden. Wiederentdeckt hat es die Visuelle Gestalterin Sandra Staub.

Agentur
sda
25.07.19 - 08:29 Uhr
Kultur
Sandra Staub mit einem Schnapsmatrizendrucker. Dieser Drucktechnik hat sie ihre Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste gewidmet.
Sandra Staub mit einem Schnapsmatrizendrucker. Dieser Drucktechnik hat sie ihre Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste gewidmet.
Keystone/CHRISTIAN BEUTLER

Manchmal kommt das Wichtige auf leisen Sohlen daher, und wer nicht achtsam ist, droht es zu verpassen. Bei Sandra Staub war es eine ihr beiläufig gestellte Frage, ganz am Schluss eines Gesprächs. «Hast du schon mal eine Schnapspresse ausprobiert?» Sandra Staub, damals Masterstudentin an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, fragte zurück: «Nein, was ist das?»

Trommel, Kurbel, Alkohol

Die Schnapspresse, bekannt vor allem unter dem Namen Matrizendrucker. 1923 in Deutschland erfunden, kompakt, um die 15 Kilogramm schwer, je nach Modell. Herzstück: die Trommel. Um sie wird eine Matrize mit dem Negativ-Motiv gespannt, die zuvor mit Hilfe eines Kohlepapiers erstellt worden ist.

Zweites markantes Element: die grosse Kurbel. Mit ihr wird die Trommel in Bewegung gesetzt und der Negativabzug auf einen in das Gerät eingelegten Papierbogen abgerollt. Das Ganze unter Zugabe einer alkoholhaltigen Flüssigkeit. Deren unverwechselbarer Geruch wehte Mitte letztes Jahrhundert durch die Schulhäuser der Schweiz. Landauf, landab wurden mit der Schnapspresse Berge von Unterrichtsunterlagen vervielfältigt.

Als Sandra Staub Mitte der Neunzigerjahre eingeschult wurde, hatte die Schnapspresse längst ausgedient. Sie begegnete ihr zum ersten Mal 2017, mit bald dreissig Jahren, und war sofort «hin und weg» von diesem aus der Zeit gefallenen Objekt, in dem ihr unbekannte Möglichkeiten schlummerten.

Ein neues Feld finden

Sandra Staub war damals frisch zurück aus Kolumbien, dem Heimatland ihrer Mutter, nach acht Jahren in der Hauptstadt Bogota. Dort hatte sie Grafik Design studiert und in einem Kleinverlag als Art Director gearbeitet. «Mein absoluter Traumjob», sagt sie dazu. «Das einzige Problem war, dass ich ihn schon sehr früh im Leben, mit 23 Jahren gefunden hatte. Mit 27 wurde mir klar, dass ich ihn aufgeben musste, wenn ich mich weiterentwickeln wollte.»

Der Verlust schmerzte, und entsprechend intensiv war Sandra Staubs Wunsch nach Neuem, das sie ausfüllen und inspirieren würde. Der Entscheid für ein Masterstudium in Visueller Kommunikation an der ZHdK fiel ihr leicht, aber die Suche nach einem Master-Thema dauerte lang. Der Funke wollte und wollte nicht springen. Die Schnapspresse änderte dann alles. «Ich war fasziniert vom Nicht-Perfekten dieser Drucktechnik und von der Autonomie, die das Gerät ermöglicht. Für mich tat sich damit ein neues Feld auf.»

Das Metaprojekt

In Sandra Staubs Atelier steht das Gerät an prominenter Stelle. Ein Objekt im 50er-Jahre-Look, in schlichtem Anthrazitgrau. Im Oktober 2017 hat sie es im Internet für 15 Euro gekauft. Gebrauchsanweisung gab es keine dazu.

Es begann ein langer Prozess des Ausprobierens und Austestens. «Die Möglichkeiten einer Schnapspresse sind beschränkt, der kreative Umgang mit der Limitierung war ein Lernprozess für mich.» Sandra Staub bezog später auch Techniken des 21. Jahrhunderts in ihre Experimente mit ein; eine Zeitlang erwog sie gar, mit einem 3D-Drucker eine brandneue Schnapspresse herzustellen.

In der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft mit der Schnapspresse ging sie das Projekt allerdings ruhig an. Zuerst schraubte sie am Gerät herum und montierte diverse Teile zum Reinigen ab und dann wieder an. Anschliessend folgten systematische Erkundungen geeigneter Materialien, denn auch dazu fanden sich nirgends Angaben. Es ging um Papiersorten, um Instrumente, mit denen sich die Vorlage auf die Druck-Matrize übertragen liess, um die Zusammensetzung der alkoholhaltigen Flüssigkeit. «Dass ich bei null anfangen musste, hatte den Vorteil, dass ich eigentlich nichts falsch machen konnte.» Auch Misserfolge waren Schritte auf dem Weg zum Ziel.

Sandra Staubs Masterarbeit ist unter anderem zu entnehmen, dass sich auch mit Wodka, Whisky oder Gin drucken lässt, wenn auch nicht mit optimalem Resultat. Und dass sich Schraubenzieher gut eignen, um Linien auf die Matrize zu übertragen, aber Fonduegabeln weniger.

Was so lustvoll und verspielt tönt, mündete schliesslich in eine akribisch genaue Gebrauchsanleitung fürs Arbeiten mit einer Schnapspresse, gedruckt auf der Schnapspresse selbst - «ein Metaprojekt», wie Sandra Staub sagt. Ein von Hand gebundenes Buch, Seite für Seite sorgfältig gestaltet. Indigoblau auf Hellrosa. Titel: Under Pressure – unter Druck.

Pale Pink Paper Press

An der ZHdK habe sie mit ihrer Schnapspresse ein bisschen als Exzentrikerin gegolten, sagt Sandra Staub. Dabei sei es gar nicht so abwegig, was sie da mache. «In Teilen der Designszene beginnt das Digitale an Attraktivität zu verlieren, Drucktechniken aus dem letzten Jahrhundert erleben eine Renaissance.» Die Schnapspresse ist noch nicht wiederentdeckt worden, und das möchte Sandra Staub nun ändern. Daneben will sie mit ihr weiterhin neue gestalterische Wege gehen. «Meine Masterarbeit war erst der Anfang.»

«Pale Pink Paper Press» nennt sie ihr Projekt und knüpft damit unter anderem an die Zeit der Underground-Literatur in den USA der 50er- und 60er-Jahre an, als Schriftsteller ihre Werke auf kleinen Geräten selber druckten, zum Teil auf billigem rosafarbenen Konstruktionspapier. «Als ich davon erfuhr, hatte ich den Eindruck, dass sich für mich alles zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügt.»

Wie weit es die Schnapspresse im 21. Jahrhundert bringt, wird sich zeigen. Wer sie verwendet, muss damit leben, dass das Gedruckte relativ rasch zu verblassen beginnt. Für Sandra Staub ist die Flüchtigkeit einer der Reize dieser Drucktechnik. Ihr Sinn liegt im Hier und Jetzt, sie verweigert sich der Dauerhaftigkeit. «Manchmal stelle ich mir vor, dass jemand in ein paar Jahren im Lesesaal der ZHdK mein Buch durchblättert und nur noch weisse Seiten vorfindet. Ich finde, das hat was.»

www.sandrastaub.com

Verfasserin: Ursula Binggeli, ch-intercultur

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