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Der verzwickte Weg zum neuen Standardwerk zum Basler Münster

Jahrzehntelang hat die Fachwelt und die interessierte Öffentlichkeit wegen Fachstreitigkeiten und wissenschaftlichen Fehlschlägen auf ein Standardwerk zum Basler Münster warten müssen. Zum 1000-Jahr-Jubiläum des Kirchenbaus wird diese Lücke nun geschlossen.

Agentur
sda
25.07.19 - 13:56 Uhr
Kultur

Plötzlich ging es schnell: «2007 wurde uns bewusst, dass 2019 ein grosses Jubiläumsjahr bevorsteht; das war die Gelegenheit, einen neuen Anlauf für eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung des Münsters zu wagen», sagt die Kunsthistorikerin und Münster-Kennerin Dorothea Schwinn Schürmann.

Schwinn Schürmann ist neben Hans-Rudolf Meier Hauptautorin des Werks «Das Basler Münster», das die Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK) in ihrer Reihe «Kunstdenkmäler der Schweiz» herausgibt. Seit 2012 vertiefen sie sich zusammen mit fünf weiteren Autorinnen und Autoren in die Geschichte des Baus.

«Es war ein Glücksfall, dass in kurzer Zeit das Geld zusammenkam, die entscheidenden Institutionen mit an Bord stiegen und wir unsere Wunschautoren gewinnen konnten», sagt sie. Die Kosten für die wissenschaftliche Aufarbeitung betragen 1,7 Millionen Franken. Eine Million davon stammt aus dem Swisslos-Fonds des Kantons Basel-Stadt.

Dazu kommt, dass die Wissenschaftler unverhofft auf Materialien und Dokumente zurückgreifen konnten, mit denen sie ursprünglich gar nicht gerechnet hatten. Die Vorgeschichte des aktuellen Werks zum Münster, das laut GSK zu den «Schlüsselwerken der romanisch-gotischen Baukunst» zählt, ist nämlich von Fehlschlägen und Fachstreitigkeiten geprägt.

Das führte zu einer grossen Lücke in der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschichte dieses wichtigen Baus. Das letzte Standardwerk zum Kirchenbau stammt aus dem Jahr 1895. Nach vielen Jahren kann diese Lücke nun geschlossen werden. «Wir liegen gut im Zeitplan», sagt Schwinn Schürmann, «der Veröffentlichung am 11. Oktober steht nichts im Weg.»

Lange unzugängliches Gebiet

Das Datum vom 11. Oktober für die Vernissage des Werks ist nicht zufällig gewählt. An diesem Tag jährt sich die Weihung des vom ottonischen Kaiser Heinrich II. gestifteten Münsters zum tausendsten Mal. Aber eigentlich ist die Baugeschichte rund 1200 Jahre alt, wenn man den karolingischen Vorgängerbau mit einbezieht, wie Co-Hauptautor Meier sagt, der an der Bauhaus-Universität in Weimar als Prorektor für Forschung Baugeschichte und Denkmalpflege lehrt.

Auch Meier bezeichnet es als Glücksfall, dass die Publikation nun zustande kommt und er als aus Basel stammender Kunsthistoriker und Archäologe mit von der Partie sein kann. «Das lange Warten hat endlich ein Ende», sagt er. Das Thema sei forschungsmässig viele viele Jahre besetzt und damit für andere Wissenschaftler unzugängliches Gebiet gewesen.

Verantwortlich für die lange Verzögerung waren zwei an sich renommierte Kunstwissenschaftler und Kirchenarchäologen. Beide landeten aber mit ihren Forschungs- und Publikationsprojekten zum Basler Münster in der Sackgasse.

Rechtsstreit um Forschungsergebnisse

Der eine war der 2013 verstorbene Basler Kunsthistoriker François Maurer. Der Mittelalterspezialist publizierte über viele Jahre unter anderem für die GSK zahlreiche Werke und Schriften zu historischen Bauten und Bauensembles in Basel - darunter auch mehrere über Detailthemen zum Basler Münster.

1968 erhielt Maurer vom Basler Erziehungsdepartement den Auftrag, für die Kunstdenkmal-Reihe der GSK die Gesamtbetrachtung zum Basler Münster zu verfassen. Maurer kam mit dieser Aufgabe aber nicht zurande. 1996, im Jahr seiner Pensionierung, stoppten das Erziehungsdepartement und die kantonale Kunstdenkmäler-Kommission der GSK das Projekt und lösten das Auftragsverhältnis mit Maurer nach 28 Jahren auf.

Die zweite missglückte Geschichte hängt mit dem Kunsthistoriker Hans Rudolf Sennhauser zusammen, eine anerkannte Kapazität für Kirchenarchäologie. Er führte 1966 und 1973/74 mit seinem Team umfassende Ausgrabungen im Münster durch, ebenso an fast hundert weiteren Orten in der Schweiz.

Bei Sennhauser häuften sich so viele Fundstücke, Dokumente und Pläne an, die er unmöglich alle aufarbeiten konnte. So warteten neben den Baslern auch viele weitere Kantonsarchäologen gut 50 Jahre vergeblich auf Resultate. Aber Sennhauser, der sich seine Arbeit von den Kantonen hatte vergüten lassen, weigerte sich, diese herauszurücken.

Basel-Stadt musste vor Gericht ziehen und hatte 2015 über zwei Instanzen vor dem Bezirksgericht Zurzach und dem Aargauer Obergericht Erfolg. Sennhauser musste die Fundstücke, 700 Pläne und 8000 Dokumente, die er am Sitz seiner Stiftung in Zurzach gehortet hatte, schliesslich dem Kanton übergeben.

Später Einbezug alter Grabungsbefunde

Als die Grabungsresultate in Basel eintrafen, war das Autorenteam am neuen Münster-Band schon längst am Arbeiten. «Wir starteten in der Annahme, dass wir an die Objekte und Unterlagen nicht herankommen», sagt Schwinn.

Umso erfreuter waren die Verantwortlichen, dass der Archäologe im Autorenteam die Dokumente und Funde letztlich doch noch verwerten konnte. «Wir sind beim Aufarbeiten des Materials aber zum Teil zu ganz anderen Erkenntnissen gelangt als Sennhauser», sagt Co-Hauptautor Meier.

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