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Nostalgisch inszenierte Kunst am Teig

Das grösste Bäckerei/Konditorei/Confiserie-Museum der Schweiz steht in Benken. Entstanden 2005, wurde es Ende 2018 aufgefrischt und erweitert. Das Kleinod unter den Themenmuseen ist so etwas wie Seele und Heimat einer der ältesten Berufsgattungen.

Südostschweiz
16.07.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Zurück in die Vergangenheit: Das Museum beherbergt eine komplett eingerichtete Bäckerei/ Konditorei mit Holzofen und transmissionsbetriebenem Maschienenpark.
Zurück in die Vergangenheit: Das Museum beherbergt eine komplett eingerichtete Bäckerei/ Konditorei mit Holzofen und transmissionsbetriebenem Maschienenpark.
BÄCKERMUSEUM BENKEN

von Heini Hofmann

Die Vorgeschichte dieser historischen Dokumentation des täglichen Brotes ist speziell, eine Hefe-im-Teig-Story sozusagen, wobei die Hefe hier Liebe zum Beruf wenn nicht gar Leidenschaft für den Berufsstand heisst. Da hat einer seinen Traum wahr und seinen Berufsstolz sichtbar gemacht – nostalgisch-museal.

Als einziges von acht Kindern, die in der Benkner Käserei aufwuchsen, mochte klein Paul Wick den Käse nicht. Zudem überzeugte ihn sein Götti, der Dorfbeck von Benken, von der Wichtigkeit des Brotes als Grundnahrungsmittel. Also begann Paul 1960 in Richterswil die Lehre als Bäcker-Konditor. Anschliessend holte er sich während zehn Wanderjahren Erfahrung in Aushilfestellen im In- und Ausland, wobei er alle Sparten von Bäcker über Konditor und Confiseur bis zu Chocolatier kennenlernte.

1971 galt es ernst: Paul Wick übernahm in Rapperswil eine Bäckerei-Konditorei im Einmannbetrieb, unterstützt von seiner Frau Marianne. Damals gab es in Rapperswil und Jona noch stolze 16 Bäckereien und dazu drei Konditoreien. Heute, im fusionierten Rapperswil-Jona mit viel mehr Einwohnern, sind es nur noch drei Betriebe, wobei die reinen Bäckereien ganz verschwunden sind.

Paul Wicks erster und bester Mitarbeiter damals – die alte Zeit vielseitiger handwerklicher Begabung lässt grüssen – war Schuhmacher August Gübeli, Dorforiginal aus Jona. «Tagsüber», erinnert sich Wick, «hat er ‘gschuhmächerlet’, nachts wog er bei mir den Teig ab.» Die spassige Begrüssung bei Arbeitsantritt am Abend habe deshalb gelautet: «Wir machen zuerst Schwarzbrot, und dann, sobald deine Hände sauber sind, Weissbrot.»

1992 erstes kleines Museum

Der Vorläufer der Wick’schen Bäckerei hatte sich früher in einer alten Liegenschaft nebenan befunden. Als diese baufällig wurde, suchte Paul Wick nach dem alten Holzbackofen – und fand ihn hinter einer Verputzwand.

1976 restaurierte er ihn liebevoll, womit ein alter Traum wahr wurde: Der erste Schritt Richtung Bäckereimuseum war getan. Jetzt begann die Jagd auf weitere alte Bäckereiutensilien und -maschinen. Als passioniertem Grünrock lag ihm das erfolgreiche Ansprechen im Blut, und den Sammeltrieb verspürte er schon seit der Lehre.

Zudem war die Zeit seinem Unterfangen hold: Damals begann in der Schweiz das grosse Bäckereisterben, ein analoger Vorgang wie bei den Käsereien. Betriebe, die zu klein waren zum Überleben, gingen ein, sodass ständig alte Gegenstände anfielen, für die sich niemand mehr interessierte. 1992 eröffnete Paul Wick in Rapperswil ein kleines, handgestricktes Bäckereimuseum mit Besichtigung auf Voranmeldung. Weil die Nachfrage gross war und auch noch Sammelstücke vom Schweizerischen Archiv für Brot- und Gebäckkunde dazukamen, drängte sich eine neue Lösung auf.

Ein Traum wird wahr

Um sich ganz aufs Endziel des Sammlertraums – ein richtiges, öffentliches Bäckereimuseum samt Themenrestaurant – konzentrieren zu können, übergaben Paul und Marianne Wick ihr Geschäft in Rapperswil den Jungen und zogen nach Benken. Dort, in der ehemaligen elterlichen Käserei, liess sich der Wunschtraum verwirklichen – in Eigeninitiative und ohne Subventionen.

Das Museum samt einem mit Bäckerutensilien drapierten Partyraum (80 Plätze) befindet sich im einstigen Schweinestall, während das Restaurant «Brezelstube» mit «Ofenstübli» (gut 50 Plätze), «Bäckerstübli» (40 Plätze) und «Mürtschenstübli» (20 Plätze) in der ehemaligen Käserei platziert ist, ergänzt mit lauschiger Gartenwirtschaft und Kinderspielplatz mit Blick auf die Hausberge Speer und Mürtschen.

Eine komplette Bäckerei

Auf über 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche finden sich Bäckereiutensilien aus vier Jahrhunderten (1550 bis 1950). Als imposante Brocken präsentieren sich eine komplette Bäckerei-Konditorei mit transmissionsbetriebenem Maschinenpark sowie vier historische Ofenfronten, eine davon über hundert Jahre alt. Dabei lernt man die zwei Ofentypen kennen, den direkten (mit etwas umständlichem Feuern und Backen im gleichen Raum) und den indirekten (Feuern und Backen in getrennten Abteilen). Vorteil beim Letzteren: Der Backraum wird nicht durch Russ und Asche beschmutzt, und man kann ohne Unterbruch backen.

Exquisite Apparaturen

Dann die diversen Maschinen in Bäckerblau: 15 Misch-, Rühr- und Knetmaschinen, 20 Teigteilmaschinen (fürs Portionieren statt Abwägen des Teiges). Daneben Mehlsieb-Maschinen, Teigausrollmaschinen, Maschinen fürs Reiben und Mahlen von Mandeln, Nüssen, Kernen und Käse, Mandelschälmaschinen (für weisses Marzipan), Walzen-Reibmaschinen, Passiermaschinen, Schneeschlag- und Massenrührmaschinen für Eier, Rahm und Cremen, Bisquitmaschinen für die Guetzliherstellung, Speculatius-Maschinen für Gewürzgebäck, Bonbonmaschinen, ferner Kaffeeröster, Frittierpfannen und Mörser (Vorläufer der Reibemaschinen) sowie Holzmulden (zum Kneten und Lagern des Teiges).

Daneben sind auch ganz exquisite Apparaturen zu bestaunen: Suppenbrot-Schneidemaschinen (altes Brot wurde damals fein geschnitten, braun geröstet und als Suppenbeilage verkauft), ein mit Eisstangen vom See bestückter Holzkühlschrank oder – was die Sparsamkeit damaliger Bäcker belegt – ein Mehlsack-Entstaubungsgerät in Form einer Kiste mit Rütteleinrichtung. Nicht zu vergessen die Brot-Austraggeräte: von Körben, Kräzen und Hutten übers Fahrrad mit montierten Bisquit- und Glacedosen bis hin zum Brotwagen für den Pferdezug.

Tausende von Backformen

Enorm ist auch das Sammelsurium an bunten Gefässen, und geradezu überwältigend sind die Tausende von Bäckerei-, Konditorei- und Schokoladeformen. Denn Bäcker, Konditoren und Chocolatiers waren immer sowohl Handwerker als auch Künstler, deren Endprodukte Gaumenfreude und Augenweide waren. Davon zeugen die unzähligen Muster der Waffel- und Brezeleisen, die variantenreichen Bisquit- und Gugelhopfformen, Lebkuchen-Ausstecher, Holzmodel für Biber, Tirggel und Schafböcke sowie die Heerscharen von Schokoladeformen für Osterhasen, Weihnachtskläuse und all den kunterbunten Christbaumschmuck, der dann in Staniolpapier eingepackt wurde. Dabei erfährt man, dass Osterhasen bereits in Tonformen aus Bisquit kreiert wurden, bevor man die Schokolade kannte und dass die ersten Schokoformen aus Kupfer, die späteren aus verzinktem Blech waren, während sie heute aus Chromstahl oder Plexiglas bestehen.

150-jährige Glacemaschine

Ein ganz besonderes Objekt in der Ausstellung ist auch eine 150-jährige Glacemaschine, bei der in einem äusseren Mantel ein Eis- und Salzgemisch eine Temperatur von minus 18 Grad Celsius erzeugte, während im inneren Hohlraum die Glaceflüssigkeit durch ständiges Rühren sämig gemacht wurde. Diese Masse füllte man in Früchte-, Blumen und Tierformen.

Im Museum leben jene Zeiten auf, als es noch Fünfer- und Einerstückli gab. Das ist heute kaum mehr vorstellbar: ein Kleingebäck für einen Rappen. Zudem finden sich in einer Bibliothek voller alter Schmöker der Berufskunde originelle Rezept-Trouvaillen und ganze Sammlungen Lebkuchenherz-Sprüche, von «Mädchen, mach dir Locken, sonst bleibst du hocken» über «Ich bleibe dir treu – bis zum Bahnhof» bis zu «Schönste, liebe deinen Diener, sonst wird er Kapuziner». Es liegt auf der Hand: Hätte Paul Wick damals nicht seine Marianne angelacht, sondern dem Pfefferkuchen-Spruch «Mensch, sei helle, bleibe Junggeselle!» gehuldigt, stünde heute in Benken wohl kein Bäckerhaus.

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