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Die regionale Literatur hat Tiefgang und Pfiff

Die Stadtbibliothek und die Alte Fabrik Rapperswil-Jona liessen Literaturschaffende aus der Region zu Wort kommen. Die Literaturabende «Ort für Wort See-Linth» sollen künftig regelmässig stattfinden.

Linth-Zeitung
21.01.19 - 04:30 Uhr
Kultur
Hat viel zu erzählen: Autorin Romi Cash aus Maseltrangen (links) tritt an der ersten Literaturveranstaltung «Ort für Wort See-Linth» in Rapperswil-Jona auf.
Hat viel zu erzählen: Autorin Romi Cash aus Maseltrangen (links) tritt an der ersten Literaturveranstaltung «Ort für Wort See-Linth» in Rapperswil-Jona auf.
MANUELA MATT

von Elvira Jäger

Hans Schnyder kann den Zeitpunkt genau benennen, an dem er beschloss, sein Buch «Abendweide» zu schreiben. Es war der Tag nach der Beerdigung seines Vaters. Dessen Welt sollte nicht vergessen gehen, sagte sich der heute 62-jährige Netstaler und begann, seine Kindheitserinnerungen niederzuschreiben.

1961, als fünfjähriger Knirps, war er zum ersten Mal mit dem Vater und dem Grossonkel auf der Auernalp, einer kleinen Kuhalp hoch über Glarus. Nach dem Tod des Vaters, der fast 50 Sommer auf dieser Alp verbracht hatte, habe er zunächst einige Tage lang nur Stichwörter notiert, erzählte Schnyder in dem von der Literaturwissenschafterin Kathrin Siegfried moderierten Gespräch vom vergangenen Samstag.

«Danach konnte ich die Schubladen im Kopf öffnen und ein Geschehnis ums andere abrufen.» Das Schreiben sei ihm leichtgefallen, sagte Schnyder, der Text sei förmlich aus ihm herausgeflossen.

Wochenlang nicht gewaschen

Die Schauspielerin Martina Hirzel las den Anfang des Buches vor, das einen detailreichen Einblick in eine Welt gibt, die man sich heute, ein halbes Jahrhundert später, kaum noch vorstellen kann. So habe er sich wochenlang nicht gewaschen, erzählte Schnyder. Fliessendes Wasser gab es in der Alphütte keines, und da war auch keine Mutter, die den Jungen zur Körperpflege aufgefordert hätte. Und weil dem Fünfjährigen die menschliche Wärme fehlte, legte er sich manchmal zum Schlafen auf eine Kuh.

Auch Romi Cash, die zweite Teilnehmerin des Literaturabends «Ort für Wort See-Linth», hat in ihrem Erstling «Kuhreigen» einen Alpsommer literarisch verarbeitet. Inzwischen ist mit «Im Windschatten meiner Schritte» ein zweites Buch mit anderen Episoden aus ihrem Leben hinzugekommen. Sie habe immer Tagebuch geführt, aber daran, ein Buch zu veröffentlichen, habe sie nie gedacht, erzählte die 67-Jährige. Dann machte sie bei einem Projekt mit, das biografisches Schreiben fördern will, und wurde gepackt. Cash hat viel zu erzählen. Sie ist in Schwanden aufgewachsen, lebt heute oberhalb von Maseltrangen und war Hochbauzeichnerin, Innenarchitektin, Lehrerin, Künstlerin. Ihre Bücher bestehen aus kurzen Erzählungen, Gedichten und Collagen.

Erfinden und übertreiben

In ihren Episodenschilderungen bemühe sie sich darum, Spannung zu erzeugen, aber auch Leichtigkeit und Humor zu vermitteln, sagte Cash. Wenn es noch etwas Pfiff brauche, erfinde sie gerne auch mal etwas hinzu. Hans Schnyder geht weniger weit: Er erfinde beim Schreiben nichts, übertreibe höchstens mal ein bisschen.

Die Literaturabende «Ort für Wort See-Linth» sollen in Zukunft regelmässig mindestens zweimal pro Jahr stattfinden. Eingeladen werden Leute aus der Region Zürichsee und Linthgebiet, die schon literarische Texte veröffentlicht haben. Die Dritte im Bunde war am Samstagabend Judith Keller, in Altendorf aufgewachsen und heute in Zürich wohnhaft. Die 34-Jährige, die in Biel und Leipzig literarisches Schreiben studiert hat, las einige Kürzestgeschichten aus ihrem inzwischen mehrfach ausgezeichneten Buch «Die Fragwürdigen».

Die über zehn Jahre hinweg entstandenen Texte kreisen um merkwürdige Personen, die sich in merkwürdigen Situationen befinden und beziehen ihre Spannung daraus, dass Keller eine grandiose Sprachbeobachterin ist. Sie versuche immer, in ihren Texten verschiedene Perspektiven einzunehmen, sagte Keller. In ihrer Lakonik erinnern einige ihrer Geschichten an Altmeister Peter Bichsel.

Eröffnet worden war der Literaturanlass am Samstagnachmittag mit einem offenen Mikrofon, moderiert von Autor Frédéric Zwicker. Zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 12 und 75 Jahren stellten bisher unveröffentlichte Texte vor: Kurzgeschichten, Gedichte, Heiteres und Ernstes. «Ort für Wort See-Linth» will dazu beitragen, dass sich hiesige Autorinnen und Autoren vernetzen, will sie motivieren, weiterzuschreiben. Weiterschreiben wollen auch Judith Keller, Hans Schnyder und Romi Cash. Alle drei haben Ideen und Projekte in der Schublade.

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