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Die Prinzipalin

Die Direktorin des Theaters Chur lotst uns zum Zmorga überraschend nach Fläsch. Ute Haferburg verrät, warum sie sesshaft geworden ist. Und sie erklärt, warum ein Saumagen und ein Skandal zur rechten Zeit ihr Gutes haben.

Südostschweiz
28.10.18 - 04:30 Uhr
Kultur
Schlemmen wie nicht alle Tage: Ute Haferburg greift im «Bistro Fläsch» herzhaft zu.
Schlemmen wie nicht alle Tage: Ute Haferburg greift im «Bistro Fläsch» herzhaft zu.
YANIK BÜRKLI

Als wir Ute Haferburg, seit acht Jahren Direktorin am Theater Chur, in Fläsch treffen, hat sie ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Die Theaterbar im eigenen Haus sei doch gerade so schön umgebaut worden, und das hätte sie gerne gezeigt. Da dort aber jeweils nur zu den Vorstellungen geöffnet ist, zog die Redaktion ihren zweiten Vorschlag, das «Bistro Fläsch», vor. Es scheint ein beliebter Treffpunkt zu sein: Mütter vor einem Cappuccino, spielende Kinder am Boden und Rentner beim Zeitunglesen. Der Tisch ist üppig gedeckt mit Birchermüesli, Brot, Schinken, Käse und hausgemachter Konfitüre. Haferburg greift gern zu, betont aber, dass sie beileibe nicht jeden Morgen so schlemme.

Warum sind wir eigentlich hier?

Seit diesem Frühjahr wohne ich mit meinem Partner in Fläsch in einem alten Winzerhäuschen. Da habe ich das «Bistro Fläsch» kennen- und lieben gelernt. Es ist Teil des Pilotprojekts Wohnenplus, das von Margrit Weber geleitet wird, die uns gerade dieses köstliche Frühstück hier auftischt. Sie kocht aber auch extrem fein und managt mit ihrem Team das Betreute Wohnen im Alter hier in diesem Haus. Das Bistro ist wichtig für die Fläscher, und ich finde das ganze Projekt eine wunderbare Sache.

Es klingt ganz nach Sesshaftwerden. Schaut man sich Ihre Biografie an, ist das etwas Neues.

Als Theatermensch ist man ja mehr oder minder Nomade. Das hier hat schon einen neuen Charakter für mich. Ich habe lange etwas in der Bündner Herrschaft gesucht und bin glücklich, es jetzt gefunden zu haben. Ja, ich habe vor, zu bleiben.

Ute Haferburg, Jahrgang 1961, war aber auch schon früher einmal länger «hängen geblieben». Zwölf Jahre hielt sie es in Basel; zuerst als Dramaturgin des Theaters Basel und dann als Leiterin des Gare du Nord, einer Spielstätte für Neue Musik. Dann folgte sie aber dem Ruf an die Flämische Oper Antwerpen.

Als Sie 2010 aus Antwerpen kommend Prinzipalin des Theaters Chur wurden, gab es da nicht einen Provinzschock?

Antwerpen hat mir extrem gut gefallen. Das ist eine Weltstadt mit Leuten aus hundert Nationen und mit einer enorm spannenden Kulturszene. Aber irgendwie hatte ich doch immer Heimweh nach der Schweiz. Als nach dem plötzlichen Tod von Markus Luchsinger in Chur die Direktion frei wurde, habe ich mir das sehr gut überlegt. Aber dass eine so kleine Stadt ein solch innovatives Theaterkonzept unterstützt, hat mir gezeigt: Hier denkt man gar nicht provinziell.

Wann erlebten Sie den ersten Zusammenstoss mit den harten Bündner Grinden?

Kein Zusammenstoss, aber als unser Technischer Leiter Hannes Fopp mit mir die erste Hausführung machte, da dachte ich mir schon: Aha, das ist jetzt steinbock-bündnerisch. Selber mit einem gehörnten Sternzeichen geboren, habe ich schnell begriffen, dass bei ihm hinter der Wortkargheit eine echte Leidenschaft zum Theater steckt.

Sie sind ja von daheim wahrscheinlich schon einen ganz anderen Menschenschlag gewohnt.

Ich bin in Kaiserslautern aufgewachsen. Das ist in der Pfalz – ja, da redet man so wie einst Helmut Kohl. Und dessen Lieblingsgericht Saumagen schmeckt übrigens, wenn es gut gemacht ist, ganz fein. Ein bisschen wie Beinwurst. Aber meine Eltern waren Vertriebene aus den Ostgebieten. Wir sprachen zu Hause keinen Dialekt und gehörten nie so richtig dazu. Das zieht sich irgendwie durch mein ganzes Leben. Jetzt ist es so, dass ich zwar kein Schweizerdeutsch spreche, aber trotzdem einen guten Schweizer Freundeskreis habe und mich zu Hause fühle.

Als «Fremde mit dem Blick von aussen» stellte sich Haferburg 2010 auch vor, als sie das Haus übernahm. Das Theater Chur hatte eine bewegte Geschichte hinter sich, die immer wieder von finanziellen Notlagen geprägt war. Das klassische Stadttheater mit eigenem Ensemble gab es bis in die Neunziger- jahre. Dann folgte eine Phase als reines Gastspielhaus. Luchsinger schaffte ab 2006 dann die Wiederbelebung, indem er zeitgenössisches Theaterschaffen nach Chur holte und Koproduktionen anstiess.

Vermissen Sie es eigentlich, hier in Chur keine eigenen Ressourcen zu haben, sondern immer auf externe Gruppen angewiesen zu sein?

Das sind zwei ganz unterschiedliche Theatersysteme. Eigene Schauspieler unter Vertrag zu haben und mit denen eigene Produktionen machen zu können, ist natürlich etwas Schönes. Aber das hiesse, man hätte hier nur Schauspiel und kein Musiktheater, keinen Tanz, kein Figurentheater. Ich bin überzeugt, dass es für Chur die bessere Lösung ist, mit freien Theatergruppen zusammenzuarbeiten und dadurch eine viel grössere Vielfalt bieten zu können. Das Spannende am Theater ist ja gerade, den Blick in die Welt öffnen zu können.

Man erwartet von Ihnen aber auch, Identitätsstiftendes für die Bündner mit Bündnern zu realisieren.

Das heisst ja nicht nur, Altbewährtes zu reproduzieren. Sondern man kann neues Theater mit den Stoffen machen, welche die Menschen hier ganz direkt angehen. Ich denke da an unsere Bündner Produktionen «Fremdenindustrie», «Bergpiraten», «Dunkelheit in den Bergen», «Hotel Viktoria», «Dorfladen», «Stündchen» oder nun im Januar «Kulturrevolution», die mit überwiegend Bündner Theaterschaffenden und Autoren ganz spezifische Probleme von Randregionen auf die Bühne holt.

Sie kamen ja ursprünglich vom Musiktheater. Konnten Sie diese Liebe hier weiterpflegen?

Ja, der Oper als Kraftwerk der Gefühle gilt meine besondere Leidenschaft. Grosse Oper ist kaum bezahlbar. Da sich aber für ein Haus wie das Theater Chur besser neue Musiktheaterformen eignen, konnte ich die Szene schon bereichern, zum Beispiel mit szenischen Bachkantaten in der Regie von Peter Konwitschny als Eigenproduktionen oder nun im Mai mit dem grosse Monodram von Frank Martin mit Maria Riccara Wesseling, Nigel Lowery und der Kammerphilharmonie. Gern denke ich auch an die fein gesponnenen Musiktheaterabende von Tom Lutz, Christoph Marthaler, Anna Sophie Maler und Ruedi Häusermann.

Eine Reihe von klingenden Namen aus Schauspiel und Musik hat Haferburg dank ihres guten Netzwerks in den letzten Jahren hierhergeholt. Als jedoch am 30. September Theaterlegende Claus Peymann an einer Diskussion im Rahmen des Festivals zum 70-Jahr-Jubiläum von Brechts «Antigone» am Theater Chur teilnehmen sollte, kam es zum Eklat. Der als Gesprächsleiter agierende Zürcher Regisseur Samuel Schwarz beleidigte Peymann aufs Gröbste. Dieser verliess daraufhin die Bühne und gab am gleichen Abend dieser Zeitung ein Interview. Die Affäre wurde in den folgenden Tagen von nationalen und internationalen Medien breit aufgegriffen.

Mit nichts kamen Sie mehr in die Schlagzeilen als jetzt mit dem Festival «Brecht! – BB18». Ihre 15 Minuten Ruhm haben Sie sich wahrscheinlich anders vorgestellt?

(Lacht.) Das war keine Kommunikationsstrategie. Man sagt ja immer, die Skandale bringen am meisten Aufmerksamkeit. In dem Moment, als der Peymann-Eklat passierte, war es ganz entsetzlich. Aber im Nachhinein muss man sagen, dass es dem Theater Chur überhaupt nicht geschadet hat. Im Gegenteil. Für die folgenden Produktionen – etwa das fantastische «Antigone :: Comeback» – haben sich plötzlich ganz renommierte Kritiker angemeldet. Auch hat Claus Peymann schon signalisiert, dass er nächstes Jahr zurückkommt. Da ist jetzt ein schöner Kontakt entstanden.

Eine erneute Zusammenarbeit mit Peymann wird dann in Ihre letzte Saison fallen. Warum?

Ich habe immer gesagt, man sollte nicht länger als zehn Jahre am gleichen Haus bleiben. Das ist meine innere Schallgrenze. Für meine persönliche Absicherung ist das natürlich nicht klug. Aber da muss ich die Prinzipien höher gewichten. Unter Umständen mache ich mich wieder auf den Weg. Aber Ziel wäre schon eine Führungsposition in der Schweizer Theaterlandschaft. Und Fläsch soll dann meine Heimatbasis bleiben.

Wenn Sie zum Abschied einen schönen Batzen Geld für eine Wunschproduktion bekommen würden - was würden Sie machen wollen?

Ich habe mit Ausdauer vieles umsetzen können von dem, was ich mir vorgenommen hatte. Mein grösster Wunsch wäre es, für mein Team endlich ein etwas besseres Lohnniveau zu erreichen. Wenn sich die kantonale Leistungsvereinbarung entsprechend erhöhen würde, das wäre das schönste Abschiedsgeschenk.

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