Die Magie zwischen Realität und Fiktion
An einer Lesung in der Alten Fabrik in Rapperswil-Jona verriet der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm, was der Auslöser für seinen neuesten Roman war und woher dessen Titel «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» stammt.
An einer Lesung in der Alten Fabrik in Rapperswil-Jona verriet der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm, was der Auslöser für seinen neuesten Roman war und woher dessen Titel «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» stammt.
von Elvira Jäger
Zwölf Kisten Bordeaux. Darum hat Peter Stamm mit einem Kollegen gewettet, sollte dereinst eine Homestory über ihn erscheinen. Soweit ist es noch nicht gekommen, aber Stamms Medienpräsenz ist zurzeit gross. Kein Wunder. Sein neuer Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» ist für den Schweizer Buchpreis nominiert, der anfangs November verliehen wird.
Auf seiner Lesereise machte Stamm am Dienstagabend Halt in Rapperswil-Jona, und auch das ist kein Wunder. Simone Hotz, Leiterin der Stadtbibliothek, und Peter Stamm sind beide in Weinfelden aufgewachsen – ihr Thurgauer Dialekt verrät es – und kennen sich seit ihrer Jugend.
Stamm, der Meister der Reduktion, möchte in seinen Werken von allem immer weniger: weniger Personen, weniger Handlung, weniger Drama.
Vor dem schwarzen Vorhang in der Alten Fabrik wechselt Stamm, der heute in Winterthur lebt, ins Bühnendeutsch und liest eine Dreiviertelstunde lang aus seinem jüngsten Werk. Das rund 80-köpfige, überwiegend weibliche Publikum erfährt schon nach wenigen Sätzen, weshalb Stamm als einer der bedeutendsten Schweizer Gegenwartsautoren gilt: Seine Fähigkeit, mit wenigen Worten Stimmungen, Atmosphären und Räume zu kreieren, ist meisterhaft.
Doppelte Doppelgänger
«Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» ist die Geschichte eines doppelten Doppelgängerpaars. Christoph verabredet sich in Stockholm auf einem Friedhof mit einer viel jüngeren Frau und erzählt ihr, dass er vor 20 Jahren eine andere geliebt habe, die ihr sehr ähnlich, wenn nicht sogar gleich gewesen sei.
Stamm liebt das Verwirrspiel mit Spiegelungen, Alter Egos und Doppelgängern. Das Verhältnis von Realität und Fiktion beschäftigt alle seine Romanfiguren seit seinem gefeierten Erstling «Agnes», der 1998 erschien.
Die Parallelen zwischen den beiden Werken sind offensichtlich, und Peter Stamms Erklärung ist so verblüffend wie einleuchtend. Als «Agnes» vor vier Jahren verfilmt worden sei, habe er die Hauptdarstellerin in Stockholm auf dem Waldfriedhof getroffen. «Ich traf auf eine Frau, die Agnes ist, aber eben nicht meine Agnes.» Die von ihm geschaffene Figur sei durch den Film zu einem neuen Leben erweckt worden. Das wiederum sei zum Auslöser für seinen neuen Roman «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt» geworden.
Immer weniger
Der Titel stammt aus dem Roman «Der Fremde» von Albert Camus. Camus sei für ihn als junger Mann extrem wichtig gewesen, erzählt Stamm. Die Existenzialisten hätten ihn stark geprägt. Ob er sich beim Schreiben nicht manchmal selber in seine Vexierspiele verwickle, will eine Zuhörerin wissen. In der Tat ist es während der Lesung nicht immer einfach, sich im Geflecht der Zeit- und Erzählebenen zurechtzufinden.
Er schreibe sehr langsam, vielleicht zwei A4-Seiten am Tag, erklärt der Autor. Das helfe ihm, den Überblick zu bewahren. Stamm, der Meister der Reduktion, möchte ohnehin von allem immer weniger in seinen Werken: weniger Personen, weniger Handlung, weniger Drama. Ideal, so sagt er zum Schluss, wäre ein Roman ganz ohne Personen.
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