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Ein Haus wie ein Zauberwürfel

Der Architekt der heutigen «Chasa Rumantscha» ist unbekannt. Auch über den Bauherrn weiss man nicht viel. Doch es müssen originelle Köpfe gewesen sein, die sich dieses eigenwillige Haus erdachten.

Ruth
Spitzenpfeil
09.02.18 - 18:45 Uhr
Kultur

Das bürgerliche Schloss, das wir heute in Chur besuchen, ist diesmal kein Privathaus, zu dem man nur über Gartenmauern hinweg sehnsüchtige Blicke werfen darf. Nein, dieses Gebäude steht im Prinzip allen o en. Zumindest, wer irgendetwas mit der romanischen Sprache zu tun hat, fand sich vielleicht schon einmal wieder in diesem prachtvollen Treppenhaus. Es liegt hinter einem ungewöhnlich grossen Jugendstilfenster, das auf die Obere Plessurstrasse hinausgeht. In dieses Haus kommt man, wenn man einen Sprachkurs besucht, sich aus der hier befindlichen romanischen Buchhandlung ein Werk besorgen möchte, oder weil man vielleicht ein neues Wort in der vierten Landessprache kreieren lassen möchte. «Chasa Rumantscha» steht auf dem Messingschild am Eingang. Aber so hiess die Villa nicht immer.

Von altem Schrot und Korn

Den Namen des Bauherren kennen wir zwar. Es ist ein gewisser Rudolf Wassali und seine Villa «Zur Heimat» wurde im Jahr 1861 fertig. Sehr viel über das, was er sonst noch im Leben gemacht hat, ist aber nicht bekannt. Allein sein Haus lässt aber einen originellen Geist vermuten. Denn es ist so speziell konstruiert, dass es eigentlich ohne Beispiel ist. Hatte Wassali selbst die Idee oder liess er einem Architekten freie Hand? Doch wie hiess jener? Man weiss es nicht.

Wassali war sicher ein tüchtiger Kaufmann, zeitweilig Stadtvogt von Chur, ein Bürger «vom alten Schrot und Korn», wie es später in seinem Nachruf im «Bündner Tagblatt» hiess. Ihm sei ein «lebhafter Sinn für die Annehmlichkeiten des Landlebens» eigen gewesen, liest man dort. Auf jeden Fall bewies er Sinn für architektonische Experimente. Denn sein Haus folgt durchgehend einer Geometrie, die an den einst so beliebten Zauberwürfel von Erno Rubik erinnert.


 

Grundriss der Chasa Rumantscha bzw. Villa zur Heimat.
Grundriss der Chasa Rumantscha bzw. Villa zur Heimat.
Bündner Monatsblatt

Im Zentrum steht ein quadratischer Vorraum, an den sich kreuzförmig vier gleich grosse Zimmer anschliessen. Zudem finden sich in den Ecken tunnelartige Gänge, die zu den vier Eckzimmern mit gleichem Grundriss führen. Das ergibt also drei mal drei Räume in jedem der drei Hauptetagen. Dazu kommt noch ein Dachgeschoss, in dem früher die Dienstboten untergebracht waren. Es ist heute eine Mietwohnung.

Die Dichter im Ecksaal

Leider ist rein gar nichts überliefert, was hinter dieser Idee steckte, und wie es sich schliesslich in dem Haus mit der eigenwilligen Raumaufteilung lebte. Das am schönsten gestaltete Zimmer ist der Ecksaal im Untergeschoss, welches sich zum tiefer als die Strasse liegenden Garten ö net. Doch was machten die Bewohner früher dort unter den mit Dichterporträts verzierten Stuckdecken?

Gut 100 Jahre später hörte man hier vor allem romanische Kinderverse. Bis 2009 war der Kindergarten der Lia Rumantscha in diesem Stockwerk untergebracht. Hauptquartier der romanischen Sprachorganisation sowie Sitz des romanischen Verlagshauses ist die Villa seit 1954. Eigentümerin ist eine eigens für das Haus gegründete Stiftung.

Erben Wassalis hatten die Villa bis ins 20. Jahrhundert hinein bewohnt, ihr um 900 gar eine Jugendstil-Au rischung verpasst. Heute ist lediglich die vor acht Jahren vorbildlich restaurierte Hülle zu bewundern. Statt bürgerlicher Wohnkultur findet sich im Zauberwürfel jetzt die unverwüstliche schweizerische Büromöbel-Moderne. Die eigenwillige Geometrie beeindruckt aber noch immer.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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