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Schlüsselroman wird zum Unbehagentheater

Das Theater St. Gallen bringt mit «Matto regiert» ein Schauspiel nach dem Roman von Friedrich Glauser auf die Bühne. Am Freitag feierte die Gesellschaftsstudie Premiere und vermochte rundum zu überzeugen.

Agentur
sda
13.01.18 - 14:11 Uhr
Kultur
In den Fängen des Wahnsinns: Patient Caplaun (Tobias Graupner, links) und Wachtmeister Studer (Hans Jürg Müller) auf dem Sofa des Seelenarztes Ernst Laduner (Marcus Schäfer, hinten). Frau Laduner (Birgit Bücker) singt für die Patienten.
In den Fängen des Wahnsinns: Patient Caplaun (Tobias Graupner, links) und Wachtmeister Studer (Hans Jürg Müller) auf dem Sofa des Seelenarztes Ernst Laduner (Marcus Schäfer, hinten). Frau Laduner (Birgit Bücker) singt für die Patienten.
Iko Freese/Theater St. Gallen

«Matto regiert» ist der dritte Wachtmeister-Studer-Roman des Schweizer Autors Friedrich Glauser. Dieser Krimi ist neben «Gourrama» der autobiografischste Roman des Schriftstellers, da Glauser darin seine wiederholten Internierungen in Psychiatrischen Kliniken thematisiert. Er gilt als Glausers Schlüsselroman und löste bei seinem Erscheinen 1937 einen Skandal im bernischen Gesundheitswesen aus.

Christina Rast (Inszenierung) und Armin Breidenbach (Dramaturgie) haben den Roman in eine zweistündige Theaterfassung gepackt. Schauplatz des Stücks ist die Heil-und Pflegeanstalt Randlingen. Die Bühnenränder sind mit Hodler-Bildern gesäumt. Vorhänge werden auf- und zugezogen, dienen als Abgrenzung und Beobachtungspunkt. Ein übergrosses Telefon schrillt immer wieder.

Man kann sich über die Auswahl der Hodler-Bilder für die Bühne streiten, die Schauspielerinnen und Schauspieler stellten die «Urkraft» des Nationalmalers schnell einmal in den Schatten. Nicht die Kriminalgeschichte steht im Vordergrund, sondern die Befindlichkeit der Menschen. Ihre Angst, ihre Einsamkeit, aber auch ihre Hoffnungen.

Der Geist des Wahnsinns

Matto, der Geist des Wahnsinns, regiert in der Anstalt und erweist sich als erfolgreicher Rattenfänger geschundener Seelen. Im Stück wird eine Radiorede Hilters eingespielt. Sie stammt aus dem Roman-Kapitel «Matto erscheint» und stellt Hitler als Psychopathen dar, der ganze Nationen beeinflusst.

Die Ambivalenz der Beziehung zwischen Patient und Analytiker übertrug Glauser auf die Figuren Laduner und Studer. Wachtmeister Jakob Studer (Hans Jürg Müller) soll den Tod des Direktors Ulrich Borsteli aufklären, taucht aber immer tiefer in die widersprüchliche Welt des Irrsinns ein. Die Zeit in der Anstalt wird für Studer zum Alptraum.

Sein Versuch, sich mit Doktor Ernst Laduner (Marcus Schäfer), stellvertretender Direktor der Anstalt Randlingen, zu messen, scheitert kläglich. Laduner scheint Studer immer einen Schritt voraus zu sein. Mit in Dialoge verpackte Erzählpassagen und akustischen Misstönen wird die Auseinandersetzung mit der Psychiatrie überzeugend auf die Bühne gebracht.

Stoff für eine Theater-Serie

Bei Christina Rast sind frühere Zusammenarbeiten als Regieassistentin von Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief unverkennbar. Trotz der Ausweglosigkeit der Insassen der Irrenanstalt bleibt viel Platz für urkomische Momente.

Zum wiederholten Male arbeitet die Regisseurin mit ihrer Schwester Franziska Rast (Bühne und Kostüme) zusammen. Den beiden ist es gelungen, immer wieder bildgewaltige Gruppenszenen mit Ärzten und Pflegern, Patienten oder einem Chor zu schaffen, in denen es um die Grundatmosphäre der Anstalt geht.

Die Anstalt Randlingen bevölkerten im Roman rund 800 Patienten und zig Pfleger, Ärzte und Helfer. «Natürlich muss man bei der Bearbeitung Schwerpunkte setzen und auch leider auf den einen oder andern Darling verzichten. Es sei denn, man macht daraus eine 10-stündige Serie», sagte die Regisseur Christina Rast in einem Interview.

Die Idee wäre gar nicht so abwegig: in einer Zeit, wo nicht nur Streaming-Dienste auf Serien setzen, könnte auch das Theater mit einer mehrteiligen Bühnenproduktion beim jungen Publikum punkten. Bei der Premiere von «Matto regiert» war der Altersdurchschnitt auf jeden Fall erfreulich tief.

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