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Mike Müller: «Man geht da raus und fertig»

Der Sturm «Burglind» rüttelt an der Signaltafel vor dem «Bsinti». Auf dieser steht «Heute Gemeindeversammlung». Nicht Glarus Süd, sondern Mike Müller lädt mit seinem neuen Soloprogramm an seine Gemeindeversammlung ein.

Südostschweiz
08.01.18 - 08:00 Uhr
Kultur
Mike Müllers Gemeindeversammlung  im «Bsinti» ist zweimal ausverkauft.
Mike Müllers Gemeindeversammlung im «Bsinti» ist zweimal ausverkauft.
FRIDOLIN WALCHER

Mit Mike Müller sprach Willy Girolimetto.

Sie waren heute als hart gesottener Wintersportler trotz Sturm auf den Skiern am Kurzschwingen, richtig?

Nein. Das ist eine grauenhafte Vorstellung. Ich habe mich bei dem Wetter in mein Zimmer zurückgezogen und gearbeitet. Trotz dem verlockenden Hallenbad Bellevue.

Haben Sie etwas vom instabilen Terrain in Braunwald gespürt, vielleicht an der gestrigen Vorstellung?

Nein . Ich hatte gestern eine Super-Vorstellung hier im «Bsinti» vor einem grossartigen Publikum. Ich habe mich schon mit der Glarner Politik beschäftigt, aber nicht im speziellen mit der Hanglage hier.

Gibt es Unterschiede zwischen dem Stadt- oder Land Publikum?

Ich spiele in sehr unterschiedlichen Gemeinden. Das geht von 1000 bis 600 000 Menschen . Aber die Unterschiede sind eigentlich nicht gross. Ich baue überall einen anderen lokalen Politteil ein. In Schangnau erzähle ich etwas anderes als in Zürich oder Braunwald. Entscheidender ist viel mehr der Veranstalter. Was bringt er für Leute ins Theater? Solche, die gerne und viel ins Theater kommen, aufgeschlossene Menschen?

Sie spielen Ihr neues Soloprogramm «Gemeindeversammlung». Was war die Inspiration für dieses fiktive Stück, so nah am Puls der Kommunaldemokratie?

Die letzten Programme basierten auf Recherchen und waren sehr arbeitsaufwendig. Ich hatte nach neun Jahren Late-Night-Show wieder das Bedürfnis, etwas rein Fiktionales zu machen über Politik, jedoch nicht auf nationaler Ebene. Da ist die Gemeindepolitik ein guter Teppich, um Schweizer Eigenheiten und Figuren zu spielen. Vor zwei Jahren hatte ich diese Idee, startete mit den Arbeiten, und die Überzeugung wuchs stetig, dass damit ein grösseres Bühnenstück zu machen wäre.

«Das «Abverreckte» ist immer viel einfacher zu erklären, als wenn einem etwas gelingt.»

Waren Sie für die Arbeiten zu diesem Stück besonders oft an Gemeindeversammlungen?

Nein. Das wollte ich gar nicht. Ich habe nur einen Recherche- und Faktencheck gemacht beim Gemeindepräsidenten von Illnau-Effretikon. Denn ich wollte bewusst Figuren erfinden und freie Bahn haben. Freie Bahn kann auch erschreckend sein, weil du einfach vor weissem Papier sitzt.

An Gemeindeversammlungen hat es oft mehr Männer als Frauen auf der Bühne und im Saal. War dies auch Stoff für das neue Stück?

Meine erste, einzige und letzte Gemeindeversammlung war vor 35 Jahren. Schon damals war es eher ein Männergeschäft. In meinem Stück treten jedoch auch Frauen auf. Sie werden von einem Mann gespielt. Bleibt die Frage, wie das auf der Gender-Rechnung gewertet würde. Aber auch bei mir ist die Versammlung männerlastig.

Gibt es eine Figur, die man besonders gut parodieren kann?

Nicht wirklich. Spannend ist, das zu spielen, was das Stück vorwärtstreibt. Und das tolle bei diesem Stück war für mich, dass wenn mir eine Figur fehlte, ich diese einfach erfunden habe. Zum Beispiel der Schulkommissionspräsident; der sagt zwar etwas, aber man versteht ihn nicht. Es geht auch nicht darum, die Realität abzubilden. Das würde ich mir nie anmassen. Ich bin Unterhaltungskünstler, und es geht darum, dass ich die Zuschauer 80 Minuten lang unterhalte.

Wie ist der Arbeitsprozess bei so einem neuen Stück?

Ich bin weggereist, um dieses Stück zu schreiben; nach Amerika, zu einer Kollegin, und zwar in die Wüste von Südkalifornien. Dort war ich zwei Monate in einem Atelier, stand jeweils sehr früh und diszipliniert auf; dann trainieren, Einkäufe machen, arbeiten, Süppli am Mittag und am Abend weiter arbeiten. Ab und zu machte ich Wanderungen im Joshua Tree National Park. Dieses Leben hat mir extrem gut gefallen.

«Ich staune, dass das mittelalterliche Prinzip ‘wie mache ich aus Scheisse Gold?’ immer noch funktioniert.»

Und dann kam bald einmal der Moment, in dem dann vor Publikum gespielt wurde?

Ich kam zurück und sandte die Texte dem Regisseur. Dann war in Köln jeden Tag proben, proben, proben angesagt. Beim Ausprobieren habe ich gemerkt, dass es funktioniert. Dann gab es drei Probeaufführungen. Dann habe ich das Stück parkiert, weil ich den «Bestatter» gedreht habe. Danach nochmals drei Tage Proben und «usähauä, das Züg» war dann das Motto.

Gibt es so etwas wie «Horror» für einen Komiker, dass ein Stück beim Publikum nicht ankommt?

Ab und zu nimmt man etwas in die Hand das auch einmal «abverreckt», aber das halte ich für völlig normal. Man muss sich an dem freuen, das gelingt. Und sich vielleicht beim «Abverreckten» fragen, warum bin ich da gescheitert. Das «Abverreckte» ist immer viel einfacher zu erklären, als wenn einem etwas gelingt.

Was machen Sie die letzten 15 Minuten vor der Vorstellung?

Ich bin ruhig und konzentriert. Keine Musik vor meinem Auftritt. Ich trinke Wasser, esse nicht salzig und schaue, dass ich mich schön aufladen kann. Wichtig ist, dass ich diese Spannung vor dem Publikum habe. Die sind gekommen und haben bezahlt. Das ist ein sehr reales Geschäft, das wir hier betreiben, Komiker sind Kleinunternehmer ohne Subventionen.

«Ich bin Unterhaltungskünstler. Es geht darum, dass ich die Zuschauer 80 Minuten lang unterhalte.»

Gibt es so etwas wie einen inneren Schalter, den Sie bei einem «Scheisstag» drücken können, um trotzdem eine gute Show zu liefern?

Nein. Das gibt es einfach ab und zu und gehört dazu. Auch ältere Schauspieler sagen da «der Lappen muss hoch», es wird gespielt. Es kann sein, dass du vom Tod eines geliebten Freundes erfährst, kurz vor der Vorstellung. Aber man geht da raus und fertig. Das ist der Beruf. Zuschauer haben nicht bezahlt, um die private Empfindlichkeit von Mike Müller abzutasten.

Das Giacobo-Müller-Format haben Sie und Viktor Giacobbo vor bald einem Jahr begraben mit der Begründung, es sei nun genug. Nun kehren Sie «schon» wieder zurück mit einer Bühnen-Tournee. Wieso?

Privat vertragen wir uns nicht so gut. Es ist besser, wenn wir beruflichen Umgang haben miteinander. Darum machen wir jetzt wieder ein Stück zusammen . Nein, wir wussten schon lange, dass wir zusammen ein Stück machen werden, wenn diese Sendung zu Ende sein wird.

Worüber können Sie richtig herzhaft lachen und wo oder wann vergeht es Ihnen definitiv?

Das ist schwer zu sagen, weil lustig ist, was unerwartet kommt. Und dann gibt es im Leben einfach auch viele Dinge, die nicht lustig sind. Darüber lassen sich dann auch nicht auf Teufel komm raus Witze reissen.

Zum «Bestatter»: Wie sieht die Zukunft aus, oder wann ist fertig bestattet?

Es ist kein Selbstläufer und keine «Never-Ending-Story». Wir überlegen uns jedes Jahr, wie es weiter gehen soll. Wenn «No Billag» angenommen wird, arbeiten wir alle etwas anderes ab dem Sommer. Bei einer Serie muss man sich überlegen – wie bei einer Late-Night-Show» –, wie lange kann man sie noch interessant machen? Oder muss man einmal sagen, «so, jetzt ist es vorbei»?

Aber der Gradmesser sind die Einschaltquoten.

Für den Sender ja, für mich sicher nein.

Mike Müller unter der Bettdecke: Gehören die Kuss und Bettszenen zu den Kernkompetenzen des «Bestatters» oder von Mike Müller?

Über die Bettszenen werde ich regelmässig von jungen Journalistinnen ausgefragt. Und ich sage jeweils: «Fragen sie doch jemanden, der das viel spielen muss.» Ich muss das ab und zu auch spielen, aber nicht Sexszenen, sondern Szenen im Bett. Und das ist nicht immer so einfach, weil man sich im Bett nicht so gut bewegen kann.

Zum Schluss ein paar Stichworte und Ihre Kurzantworten dazu: Nathalie Rickli und «No Billag»:
Ich finde sie persönlich nett. Ich verstehe nicht, dass sie nicht dazu steht, für wen sie arbeitet.

Bitcoin:
Ich staune, dass das mittelalterliche Prinzip «wie mache ich aus Scheisse Gold?» immer noch funktioniert. Das Produkt kommt von chinesischem Kohlestrom, und wir reden hier von Katalysatoren oder über mehr Velofahren.

Fake News:
Wird mehr und mehr ein Problem.

Mee to:
Wird nicht so schnell vorbeigehen, wie das gewisse Herren gerne hätten.

Zum Schluss: Wäre Braunwald nicht auch super für eine Folge des «Bestatters»; mit wilder Verfolgungsjagd und einer Leiche im Bestatter-Elektromobil?
Doch, klar! Ich werde das so weiterleiten.

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