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Die geheimnisvolle Villa Sumatra

Scheinbar verlassen steht ein prachtvolles Haus nur wenige Schritte vom Bahnhof in Chur entfernt. Es war nicht leicht herauszufinden, was dahintersteckt. Die «Südostschweiz» konnte exklusiv einen Blick ins Innere werfen.

Ruth
Spitzenpfeil
03.12.17 - 04:30 Uhr
Kultur

Über dieses Haus rätselt Chur schon lange. Es liegt da an allerbester Stadt lage an der Engadinstrasse, unweit vom Bahnhof. Man weiss nicht so recht, was man da vor sich hat. Traumschloss oder Geistervilla? «Sumatra» steht in einem geschwungenen Schriftband über einem der grossen Fenster der Strassenfront. Die Vorhänge sind zugezogen, nie öffnet sich die Tür zwischen den zwei Säulen des Haupteingangs. An den Rosensträuchern im grossen, gepflegten Park trotzen noch einige Blüten der Kälte. Nachts versinkt das wuchtige Gebäude in Dunkelheit. Nur ganz oben unter dem Dach sieht man Licht hinter den Fenstern. Was ist das bloss für ein Besitz, der so ganz aus der Zeit gefallen scheint und sich der baulichen Entwicklung von Chur der letzten 100 Jahre stoisch widersetzt hat?

Zutritt nur für die Denkmalpflege

Es brauchte einiges an hartnäckigem Nachfragen, um dem Geheimnis der Villa Sumatra auf die Spur zu kommen. Zu den wenigen, die das Haus vor uns in den letzten zwei Jahren betreten haben, gehörten die kantonalen Denkmalpfleger. Im November 2015 war die alleinige Besitzerin des unter höchstem Schutz stehenden Gebäudes verstorben, was eine Bestandsaufnahme automatisch nach sich zog. Den Experten verschlug es fast die Sprache. Im Grunde war die Zeit in dem Haus 1923 stehengeblieben. Seither wurde kaum mehr etwas verändert, nichts weggenommen, kaum ein moderneres Möbelstück hinzugefügt. Letizia Piaggio-Müller wohnte seit Kindesbeinen darin. Sie wurde 82 Jahre alt und das Leben, das sie führte, war so ganz anders als das der meisten von uns.

Bündner Schokolade

Tatsächlich gibt es in Chur wenig Privatgebäude, die es mit der Villa Sumatra aufnehmen können. Da befinden wir uns schon fast in der Liga einer Villa Planta oder dem Alten Gebäu. Ursprünglich war das Haus von einem 6000 Quadratmeter grossen Park umgeben, heute sind es nur noch 2000 Quadratmeter. Bis 1986 war auch die Umgebung noch durchaus standesgemäss. An der Ecke zur Steinbockstrasse stand das «Café du Nord» und daneben die Villa Müller-Sartori. Selbst heftige Proteste hatten 1983 und 1986 nicht verhindern können, dass diese beiden Häuser abgerissen wurden. Das an ihrer Stelle hingesetzte Pax-Versicherungsgebäude passt heute mehr denn je wie die Faust aufs Auge.

Nun aber zu den Menschen hinter den Mauern der Villa Sumatra. Erbauen liess sie 1903 Charles Müller-Hähl. Der Schaffhauser war mit einer Tabak-Plantage auf Sumatra reich geworden und gründete 1893 zusammen mit dem Chemiker Carl Georg Bernhard in Chur die erste und einzige Bündner Schokoladenfabrik, die bis 1997 bestand. Aber erst als Bernhard 1905 ebenfalls sein Schloss baute und es nach seiner schwedischen Frau «Villa Svea» taufte, griff Müller zum klingenden Namen «Sumatra». Die Villa Svea, die wir auch schon vorgestellt haben,  ist also so etwas wie das Schwesterhaus. Aber Müllers Bau ist – besonders nach der Erweiterung durch den bekannten Architekten Otto Manz 1923 – noch um einiges wuchtiger und herrschaftlicher. Das sieht man schon am zweigeschossigen Vestibül und dem separaten Treppenhaus für die Dienstboten, die im Dachgeschoss untergebracht waren.

 

Villa Sumatra
1908: Der Erbauer der Villa mit Frau und drei Söhnen. Die einzige Tochter, welche das Haus schliesslich erbte, fehlt auf dem Bild.
YANIK BÜRKLI

Nobelpreisträger zu Gast

Nach dem Tod des Erbauers 1929 waren es die Frauen, welche die weitere Geschichte des Hauses prägten. Zuerst führte die Witwe von Charles Müller in dem grossbürgerlichen Ambiente Regie. Es muss Anfang der Vierzigerjahre gewesen sein, dass bei ihr in den Sommerferien jeweils Enkel Karl Alex auftauchte. Dabei handelt es sich um niemand anderen als den späteren Physik-Nobelpreisträger K. Alex Müller. Der Vater des heute 90-Jährigen war einer der drei Söhne der Müllers, die jedoch alle die Villa früh hinter sich liessen. Dort wohnen blieb die einzige Tochter. Anna Müller heiratete den italienischen Mediziner Manlio Piaggio. Der liess sich offenbar aber nur höchst selten in Chur blicken. Zwar gab es zwei Kinder, aber nur die Tochter hielt es im Haus. Letizia Manon Piaggio-Müller blieb ledig, kümmerte sich bis 1990 um ihre Mutter und lebte seither allein in den zehn Zimmern des Haupttraktes.

Manche Churer erinnern sich noch an die kleine, etwas gedrungene Dame, die viele klassische Konzerte besuchte, ins «Obelisco» oder ins «Va Bene» zum Mittagessen ging und nur im Globus einkaufte. Sie gehörte zu der aussterbenden Art der höheren Tochter, die es nicht nötig hat, einen Beruf zu erlernen. Sie lebte vom ererbten Vermögen, den schönen Dingen des Daseins zugetan. Von den Hausangestellten blieb zuletzt ein Gärtner, der aus Iran stammt. Er kümmerte sich bis zu ihrem Tod um die anspruchsvolle alte Dame. Heute mietet er die Wohnung im Dach und hält das Haus in Schuss, bis über dessen Schicksal entschieden ist. Denn als Piaggio starb und es ans Erben ging, wurde es schwierig. Es gibt verschiedene theoretisch Erbberechtigte. An wen der Nachlass geht, muss das Gericht entscheiden.

Abriss und Umbau verboten

Dann wird das grosse Geld mit der begehrten Liegenschaft gemacht, könnte man denken. Wer immer sich das erhofft, hat nicht mit dem Denkmalschutz gerechnet. An der Villa Sumatra darf praktisch nichts verändert werden, nicht einmal an der Gartenanlage. Abriss kommt sowieso nicht infrage und auch sonst dürfte es als Renditeobjekt höchst ungeeignet sein. Es in mehrere Wohnungen einzuteilen, ist wegen der grosszügigen Raumstruktur kaum möglich. Eigentlich ist es nur für jemanden geeignet, der es sich leisten kann, darin so zu leben wie ein Patron vor 100 Jahren.

Ruth Spitzenpfeil ist Kulturredaktorin der «Südostschweiz» und betreut mit einem kleinen Pensum auch regionale Themen, die sich nicht selten um historische Bauten drehen. Die Wahl-St.-Moritzerin entschloss sich nach einer langen Karriere in der Zürcher Medienwelt 2017, ihr Tätigkeitsfeld ganz nach Graubünden zu verlegen. Mehr Infos

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Meine schwester Roesli war eine Freundin von Letizia Piaggo, sie gingen zusammen ins Konsti (Konstantineum in Chur. Manchmal hat sie mich mitgenommen wenn sie Letizia besuchte zum spielen. Ich bin mit einem Tretauto im Park herum gefahren. Die Koechin hat uns immer Kakao gekocht, Es war wonderschoen, Litizia ein liebes Maedchen. Meine Schwester und Letizia sind gleich alt, jetzt im 84igsten Jahr. Ich 5 Jahre juenger. Es sind gute Erinnerungen.

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