Tag 2 als Mönch im Kloster Disentis

Mittlerweile kenne ich den Alltag der Mönche. Ich weiss, welches Gebet wann stattfindet, nehme das richtige Buch und schlage es meistens auf der richtigen Seite auf. Das ist eine Kunst für sich. Denn während der Gesänge geht es im Buch hin und her. Ich bin komplett orientierungslos.

Gott sei Dank helfen mir die Benediktiner. Sie wissen, wo es langgeht. Ich jedenfalls muss das noch lernen. Kennenlernen muss ich auch noch den Weg zum Frühstücksraum. Ich laufe los. Die Klostergänge werden zur Wanderung. Ausser Atem nehme ich den Aufzug und drücke irgendwo. Die Türe öffnet sich, und vor mir steht Abt Vigeli Monn. Er ist der Chef im Hause. Jetzt gibt es Ärger, denke ich. Doch er fragt seelenruhig: «Wie kann ich helfen?» Ich sage: «Wo ist der Frühstücksraum?» Er sagt es mir.

Am Nachmittag treffe ich Abt Vigeli im Innenhof des Klosters zu einem Gespräch. Wir plaudern, lachen, der Abt raucht eine Zigarette, die Zeit vergeht. Der Alltag rückt in den Hintergrund, und der Kopf wird frei für das eigentliche Leben hier in der Gemeinschaft. Der Weg ins Kloster sei keine Flucht vor dem Leben, sondern ein Schritt auf der Suche nach etwas Höherem, sagt Abt Vigeli. Dann geht er.

Eine weitere schöne Stunde meines eigenen Lebens mit lieben Menschen ist vergangen, denke ich. Die Erinnerung daran lässt mich demütig werden. Ich frage mich, warum ich das im Alltag so oft vergesse.