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Der Mythos System Of A Down lebt

Mit einer eindrücklichen Show meldet sich die Band System Of A Down nach sechs Jahren Abwesenheit von den Schweizer Konzertbühnen zurück. Für wie lange weiss niemand. Die Alternative-Metal-Band pendelt zwischen Auflösung und neuem Album. Genau das macht ihre Konzerte zu einem einzigartigen Erlebnis.

Südostschweiz
02.06.17 - 18:49 Uhr
Kultur

Tausende mehrheitlich schwarz gekleidete Menschen strömen aus allen Richtungen zum Hallenstadion in Zürich-Oerlikon. Heute ist der Tag gekommen, auf den sie alle seit über einem halben Jahr gewartet haben. Die Warteschlangen vor den Eingängen werden von Minute zu Minute länger, die Vorfreude steigt gleichermassen. Die Musikfans stehen nicht für irgendein Konzert an. An diesem ersten Juniabend spielen System Of A Down. Viele der Besucher sehen die Band vermutlich zum ersten Mal. Und keiner weiss, ob es auch das letzte Mal sein wird.

Um die Alternative-Metal-Band aus Kalifornien schwebt ein Mythos, den sich die vier Jungs selbst aufgebaut haben. Ihre Konzerte sind weltweit eine wahre Seltenheit. Ihr letztes Studioalbum haben System Of A Down im Jahr 2005 herausgebracht. Der Mythos System Of A Down wird an den Konzertbesuchern direkt sichtbar: Anders als beispielsweise an einem Metallica-Konzert trägt die Mehrheit von ihnen kein Bandshirt – von welcher Tour auch?

«Meine Damen und Herren, wir sind heute ausverkauft», verkündet ein Sprecher durch die Stadionlautsprecher. Nachdem die Band ihre Handvoll Stadionkonzerte in Europa letzten Oktober angekündigt hatte, waren sämtliche Karten für Zürich innerhalb eines Tages weg.

Das Publikum im Sturm erobert

Und dann beginnt die Show. Mit maschinengewehrartigen Klängen eröffnen System Of A Down ihr Konzert, noch immer strömen Besucher ins bereits gut gefüllte Hallenstadion. Von der ersten Sekunde an sind Sänger Serj Tankian und seine drei Kollegen da, wo sie sein wollen. Sie hauen einen Song nach dem anderen raus, sie tun dies laut, kraftvoll und humorlos. Eine unglaublich abgetrocknete Vorstellung, mit der sie das Publikum im Sturm erobern.

Viele Worte vonseiten der Band braucht es auch nicht. Wer nach sechs Jahren Abwesenheit von den Schweizer Bühnen wieder dahin zurückkehrt, lässt die Musik sprechen. Allerspätestens nach fünf Liedern, als «Prison Song» mit Ach und Krach angestimmt wird, steht auch das ganze Publikum auf den Sitzplätzen. Eindrücklich daran ist: Ab diesem Moment setzt sich so gut wie kein Besucher mehr hin. System Of A Down haben jeden einzelnen in ihren Bann gezogen.

Eine Band mit zwei Gesichtern

Nebst der eindrücklichen Performance auf der Bühne ist es eben dieser Mythos, der ein Konzert von System Of A Down so speziell macht. Immer wieder kursieren Auflösungsgerüchte um die Band. Dann tauchen Serj Tankian, Daron Malakian, Shavarsh Odadjian und John Dolmayan plötzlich wieder aus den Tiefen ihres eigenen Schaffens auf – sämtliche Bandmitglieder arbeiten neben System Of A Down an diversen Soloprojekten. Wenn es wieder mal soweit ist, macht die Rockmusikszene jeweils grosse Augen, es folgen beachtliche Konzerte wie dieses in Zürich – bevor die Band dann wieder von der Bildfläche verschwindet.

Darf man sich denn nach nunmehr zwölf Jahren Durststrecke auf ein neues Album freuen? Noch wird nur darüber spekuliert. Laut Schlagzeuger John Dolmayan liegen zwar 15 fixfertige Songs vor. Warum diese aber noch nicht zu einem Album verarbeitet wurden, weiss er selbst nicht. «Es fühlt sich so an, als gäbe es zwei Versionen von System Of A Down», gab er letzten Monat gegenüber einem amerikanischen Radiosender zu. Einerseits arbeite man sehr kreativ, andererseits käme man nicht voran. Handelt es sich also um einen Mythos, den sich nicht mal seine Schöpfer erklären können?

Sie kratzen an Grenzen

Tatsache ist, dass das bisher Veröffentlichte längst Kultstatus besitzt. Nahezu jeder der live in Zürich gespielten Songs ist ein Evergreen. Ob System Of A Down einen Klassiker wie «Chop Suey» servieren oder einen vermeintlich weniger bekannten «Highway Song» – das Publikum singt lauthals mit und das Hallenstadion wird akustisch zu einem wahrlich hallenden Stadion.

So verzichtet die Band denn auch auf grosses Feuerwerk oder sonstiges Brimborium. Eine schön gestaltete Lichtkulisse und eine Leinwand tun ihr Nötiges, um eine runde Show abzuliefern. Im Zentrum stehen die Musik und ihre Botschaften. Man darf System Of A Down ruhig als politische Band bezeichnen. Die vier Musiker sind allesamt armenischer Herkunft, eines ihrer Kernanliegen ist denn auch, auf den Völkermord an den Armeniern im frühen 20. Jahrhundert aufmerksam zu machen. Das tun Leadsänger Serj Tankian und Gitarrist Daron Malakian in ihren Texten, aber ihr armenischer Ursprung bricht auch immer wieder im Musikalischen auf. Die Vermischung von Elementen der Metalmusik und des Punkrock mit armenischer Folklore macht den Stil von System Of A Down einzigartig.

Und die Kalifornier überqueren nicht nur musikalische Stilrichtungen, sie kratzen auch sonst gerne an Grenzen oder überschreiten diese. Zwei andere grosse Themen in ihren Songtexten sind die amerikanische Politik, speziell ihr Verhältnis zum Krieg, und die Massenmedien. Mit eindrücklichen Bildern auf der Bühnenleinwand geben sie ihrer Anklage an frühere und aktuelle Machtinhaber der Vereingten Staaten zusätzliche Tiefe. So lassen es sich Tankian und Co. nicht nehmen, inmitten von Gewehren und skurrilen Medieninhalten das Konterfei Donald Trumps zu zeigen und damit ihre Meinung zum amtierenden US-Präsidenten kundzutun.

Was bringt die Zukunft?

System Of A Down nehmen ihre Fans an diesem Abend mit auf eine Reise durch ihr gesamtes musikalisches Schaffen. Und als nach fast zwei Stunden und rund 30 Liedern die letzten Klänge ihres Debüt-Hits «Sugar» ertönen, ist das Konzert auch schon wieder vorbei. Für wie lange weiss niemand. Vielleicht für immer? Wir malen die Zukunft nicht schwarz. Was aber die Zukunft der Welt anbelangt, zeichnen zumindest die Jungs von System Of A Down kein gutes Bild. Ein riesiger Atompilz, der sich langsam gen Himmel emportürmt, bildet den Schlusspunkt eines wunderbaren Konzerts. Zum Glück geschieht dies nur auf der Leinwand.

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