Verbotene Früchte: Wieso Obstbäume keine Selbstbedienungsläden sind
Obst vom Baum zu stehlen, ist auch heute noch ein Delikt. Die Präsidentin des Obstvereins Mittelbünden verrät, wie man dennoch guten Gewissens Früchte stibitzen darf.
Obst vom Baum zu stehlen, ist auch heute noch ein Delikt. Die Präsidentin des Obstvereins Mittelbünden verrät, wie man dennoch guten Gewissens Früchte stibitzen darf.
Von Andri Dürst
«Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!» Schon in der Bibel (genauer im 1. Buch Mose, Kapitel 3) geht es um Obst, das man nicht pflücken sollte. Bekanntlich verführte eine Schlange Eva dazu, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Zusammen mit Adam verspeiste sie das leckere Stück und die beiden wurden infolgedessen aus dem Paradies vertrieben. Glaubt man der Bibel, ist dies das wohl älteste Verbrechen der Menschheit. Auch heute noch ist das Klauen von Obst ein Thema. Gerade jetzt, wo an einigen Orten noch reife Früchte an den Bäumen hängen. «Mundraub» lautete früher der strafrechtliche Begriff dazu. In alten Rechtsbüchern wurde damit die «Entwendung von Feld- oder Gartenfrüchten oder anderen Esswaren oder Getränken zur Befriedigung augenblicklicher Lüsternheit» bezeichnet. Heute sind diese altertümlichen Wörter verschwunden. Strafbar ist das Ganze aber immer noch. Doch was gilt genau?
Jede fremde Frucht ist gestohlen
Martina Mändli ist Präsidentin des Obstvereins Mittelbünden. In dieser Funktion kennt sie sich mit den biologischen Aspekten des Obstbaus sehr gut aus. Juristin ist sie hingegen keine. «Ich musste mich zuerst beim Plantahof erkundigen, was in Sachen Mundraub genau gilt», schickt sie voraus. «Grundsätzlich ist es so: Jede Frucht, die man ungefragt von einem fremden Grundstück nimmt, ist gestohlen.» Heisst also: Nicht nur am Baum hängende Früchte darf man nicht nehmen, sondern auch solche nicht, die am Boden liegen. «Der Besitzer oder die Besitzerin eines Apfelbaums zum Beispiel hat grundsätzlich das Recht, die Äpfel am Boden verfaulen zu lassen und sie der Natur zurückzugeben.» Fallobst habe nämlich viele Nährstoffe und diene verschiedenen Lebewesen als Nahrungsquelle. «Bienen, Wespen, Hornissen und auch Schmetterlinge sieht man häufig auf Fallobst. Doch auch Fuchs, Dachs und Schalenwild bedienen sich gerne daran», weiss Martina Mändli. Sie ergänzt, wie man rein rechtlich gesehen dennoch legal an das begehrte Obst komme: «Man sollte in Kontakt mit dem Grundbesitzer oder der Grundbesitzerin treten und fragen, ob man vom Obst nehmen darf. Wichtig ist aber, dass man einen Austausch – in der Regel Geld – anbietet.»
Eine pragmatische Faustregel
Soweit die Theorie. In der Praxis schaut das Ganze etwas anders aus. Die Obstvereinspräsidentin hat da ihre eigene Faustregel: «Früchte, die am Baum hängen, müssen dort bleiben. Wenn ich eine Frucht begehre, also mund-raube, nehme ich eine vom Boden. Denn da liegen die reifen Früchte. Vielleicht ist die Frucht frühreif, da sie bereits einen Wurm beherbergte oder sonst einen vorteilhaften Platz an der Sonne hatte.» Insbesondere wenn man beispielsweise Äpfel von einer Strasse aufliest, die jeden Moment von Autos zerquetscht werden könnten, habe man wohl kaum mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Aus ihrer Sicht habe das auch viel mit der Wertschätzung gegenüber der Natur zu tun. «Wenn in der heutigen, schnelllebigen Zeit Menschen wahrnehmen, dass da etwas Köstliches am Boden liegt, ist das für mich viel wert.»
Martina Mändli besitzt selber diverse Obstbäume. Unter anderem einen Aprikosenbaum an einem Veloweg in Unterrongellen. «Ich habe dort auch schon angebissene Früchte neben dem Baum gefunden. Da hat wohl jemand eine Frucht essen wollen, dann aber gemerkt, dass sie noch nicht reif war und den Rest einfach auf den Boden geworfen.» Solche Sachen würden sie ärgern, denn: «Ein Obstbaum steht nicht von alleine da.» Erstens müsse man ein Grundstück besitzen, zweitens die Pflanze kaufen und drittens sich um sie kümmern. «Man muss das Gewächs setzen, schützen und pflegen. Nach wenigen Jahren trägt der Jüngling vielleicht mal eine Frucht. Bis der Baum aber einen namhaften Ertrag abwirft, gehen 15 bis 20 Jahre ins Land. Schlussendlich steckt da viel Herzblut drin.» Wenn nun also ungefragt Früchte von einem solch liebevoll gepflegten Baum wegkommen, sei dies nicht nur ärgerlich, sondern teilweise auch finanziell problematisch.
Heiss begehrte Nüsse
Zwar verkaufen in Graubünden nur wenige Bäuerinnen und Bauern Obst. Doch heuer kamen die Früchte, die an Märkten oder in Hofläden feilgeboten wurden, weg wie warme Weggli. «Wir waren mit unseren Äpfeln aus dem Sortengarten Rodels zweimal an Märkten und haben gemerkt, dass die Nachfrage nach einheimischem Obst gross ist», erzählt Martina Mändli.
Ebenfalls begehrt seien auch einheimische Baumnüsse. Diese sollte man ebenfalls nicht einfach klauen. In Landquart beispielsweise würden die Nüsse auf dem Areal Birkholz bei Igis und auf der Forstweide jährlich versteigert, weiss die Obstvereinspräsidentin. «Bei der sogenannten Baumnuss-Gant wird die Ernte jedes einzelnen Baumes versteigert.» Dass die Nüsse danach nicht einfach ungefragt mitgenommen werden dürfen, wird auf der Internetseite der Gemeinde deutlich gemacht: «Nach erfolgter Gant sind die Nüsse Eigentum des Ersteigerers oder der Ersteigererin und kein Allgemeingut mehr. Entwendungen durch Dritte werden als Diebstahl geahndet.»
Das gelbe Band als Zeichen
Wer nun trotzdem Lust auf Baumnüsse hat, kann sich in Chur bedienen. Neben dem Fussballplatz auf dem Gelände der Pädagogischen Hochschule an der Kantenstrasse steht nämlich ein Walnussbaum, der auf der Internetseite «mundraub.org» eingetragen ist. Dort können ungenutzte Obstbäume und -sträucher kartiert werden. Wer also einen Baum besitzt und keine Möglichkeit hat, die Früchte selber zu ernten, kann die Ernte über diese Internetseite freigeben. Eine ähnliche Aktion sei das gelbe Band, das sich mittlerweile in Deutschland und Österreich verbreitet habe, ergänzt Martina Mändli. Ein gelbes Band signalisiert: Hier darf kostenlos und ohne Rücksprache geerntet werden. Es ist zu hoffen, dass auch in Graubünden diese einfache Massnahme Verbreitung findet. Denn wer die Augen öffnet, sieht schnell mal viele Leckereien, die da und dort an den Bäumen hängen. Und so wähnt man sich schon fast im Paradies, aus dem die Menschheit ja eigentlich vertrieben wurde.
Auf www.mundraub.org sind weitere Standorte von ungenutzten Obstbäumen und -sträuchern zu finden.
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Kleiner Scherz aus Entenhausen.